Wie die Kleidung, die wir tragen, auf natürliche Art entsteht, konnten sich die Besucher auf dem Wollmarkt in Kuchenheim ansehen.
LVR-MuseumRheinischer Wollmarkt in Kuchenheim stand im Zeichen der Nachhaltigkeit
„Blökende Schafe sind mein ASMR“, sagt Gunhild Lohmann-Sistig und lacht. ASMR sei ein Youtube-Trend, erklärt ihre 14-jährige Tochter Juliane Sistig. Dabei handele es sich um Videos, in denen geflüstert oder mit Papier geraschelt werde.
„Es sind Geräusche, die einem Gänsehaut machen und ein Wohlgefühl bereiten.“ Deswegen besuchen Mutter und Tochter am Sonntag, 2. Juni, den 32. Rheinischen Wollmarkt des LVR-Industriemusems in Kuchenheim. Auf dem weitläufigen Museumsgelände und an der Kirche St. Nikolaus dreht sich an diesem Sonntag alles um Schafe, ihre Wolle und Textilien.
Von der Schafzucht träumt man für immer, findet Marion Parting
Eine Besucherin bleibt bei den Suffolk-Schafen von Marion Parting stehen und erzählt ihr, dass sie schon seit vielen Jahren davon geträumt hat, genau diese Tiere zu halten. Aber daraus werde vermutlich nichts werden, sagt die Besucherin resigniert. Schließlich lebe sie in einer Stadtwohnung.
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„Den Traum von der Schafzucht wird man aber nicht los“, erzählt Parting. Bei ihr sei es genauso gewesen. Schon als junges Mädchen habe sie vom Schäfern geträumt. Erst viel später, nämlich als sie ihren heutigen Partner – einen Schäfer – kennenlernte, hat sich dieser Traum erfüllt. Mit ihren Schafen tritt Parting dieses Jahr zum wiederholten Mal bei der „Wahl zur Miss Kuchenheim“ an.
Parting führt ihr Schaf auf die Wiese am Schornstein. Dort können die Besucher abstimmen, welches der vier Schafe das schönste ist. Das Suffolk-Schaf scheint keine Lust auf einen Schönheitswettbewerb zu haben, es ist störrisch. Parting hat Mühe, es zu halten.
„Schafe sind schließlich keine Hunde, die an der Leine laufen“, sagt sie. Bis zu einem gewissen Maße könne man das trainieren, doch hätten die Tiere auch immer ihren eigenen Kopf. Willi Schorns Schaf Bella hingegen steht so ruhig, als sei es Schönheitswettbewerbe gewohnt. Sogar in dem Moment, indem die Besucher durch den Zaun auf die Wiese strömen, um sich hinter ihr Lieblingsschaf zu stellen, steht Bella gelassen.
Das Training eines Border Collies erfordert ein ruhiges Gemüt
Die sechsjährige Besucherin Frida stellt sich hinter Pearl, das Schaf von Iris Beeck aus Hellenthal. In ihrem Arm hält sie ein Plüschschaf, das Pearl ähnlich sieht. „Das Ergebnis steht fest“, ruft der Moderator. „Bella hat gewonnen.“ Schnell wird Willi Schorns Schaf ein Mikrofon hingehalten.
Beobachtet wird das bunte Treiben um die Schafe von einigen Border Collies. Wer Schafe habe, brauche nämlich auch Hütehunde, sagt Sandra Schulten. Seit 15 Jahren ist sie Schäferin – und damit auch Hundetrainerin. „Einen Border Collie zum Hütehund auszubilden, ist nicht so einfach“, sagt sie. Zwar hätten die Tiere von Geburt an schon den Instinkt, die Schafe zusammenhalten zu wollen, doch man müsse die Zusammenarbeit mit dem Menschen gut trainieren, und zwar täglich.
Vor der Wiese sitzen vier Frauen an Spinnrädern. Sie werden heute noch die Wolle der geschorenen Bella durch ihre Finger in das Spinnrad gleiten lassen. Ursula Metten (80), da sind die Frauen sich einig, ist die Beste in dem Handwerk. „Ich spinne etwa eine Stunde pro Tag“, sagt sie. Die Arbeit beruhige sie. Viele Menschen wüssten gar nicht mehr, wie Wolle entstehe und wie viel Arbeit das eigentlich sei.
Der Kleidertausch ist ein Highlight beim Wollmarkt in Kuchenheim
Anne Dockter-Biggs weiß, wie aufwendig es ist, Wolle und Kleidung umweltbewusst herzustellen. Deswegen spricht sich die Berufsposaunistin für die nachhaltige Verwendung von Kleidung aus. In der Mottenburg hat sie zum wiederholten Male das Event „Annes Kleidertausch“ organisiert – für viele Besucher ein Highlight des Wollmarkts.
Zehn ausrangierte Kleidungsstücke können Besucher hier gegen ein komplett neues Outfit eintauschen. „Wir müssen nicht immer shoppen gehen“, sagt Dockter-Biggs. Schließlich häuften sich weltweit die Klamottenberge der Fast-Fashion-Industrie. „Wenn wir sofort aufhörten, Kleidung zu produzieren, würde all das, was wir zum derzeitigen Zeitpunkt besitzen, für die kommenden 15 Jahre reichen“, sagt sie. „Wer Kleider tauscht, hat danach dasselbe Hochgefühl wie der, der zum Shopping gegangen ist“, sagt Dockter-Biggs.
Beim Wollmarkt gibt's auch Schmuck aus Baumrinde
20 freiwillige Helfer hat Dockter-Biggs inzwischen für ihren Kleidertausch gefunden. „Und das sind nicht alles meine Freunde.“ Sie lacht. Es seien Menschen, die überzeugt seien von dem Konzept. „Und dabei hat man mir im Vorfeld gesagt, das Konzept würde in der Eifel nicht ankommen.“ Weil man hier der Ansicht sei, wo kein Geld fließe, sei auch keine Wertigkeit vorhanden. Doch die zahlreichen Besucher auf der Kleidertauschbörse haben ihr das Gegenteil bewiesen. Weil das Ganze so gut ankommt, möchte sie die Tauschbörse demnächst größer aufziehen.
Doch auf dem Wollmarkt gibt es längst nicht nur Textilien aus Schafwolle. Antje Grotfeld und Annelie Fleck machen Taschen, Körbe und filigranen Schmuck aus Birken- und Eschenrinde. Die Idee dazu haben die Swisttaler aus Schweden mitgebracht – das Material auch. Gerade erst sind sie mit einem großen Korb Birkenrinde zurückgekommen, um Taschen und Körbe für den Wollmarkt zu produzieren.
Mit einem vollen Rucksack verlässt Juliane Sistig aus Bonn den Wollmarkt. Vollgestopft hat sie ihn mit Kleidung vom Kleidertausch in der Mottenburg. In der Hand hält sie eine Schale, die sie gemeinsam mit Udo Kreutz aus Blankenheim-Rohr auf der Drehscheibe getöpfert hat. Ihre Mutter, Gunhild Lohmann-Sistig, hat nicht einmal einen Rucksack mit. Sie nimmt vom Wollmarkt nur das Blöken der Schafe mit, das ihr wohl noch eine Weile in den Ohren bleiben wird. Sie lächelt.