Kreis Euskirchen – Ein Jahr lang im Dauereinsatz: Viele Helfertruppen sind nach wie vor für Flutbetroffene im Kreis unterwegs, ehrenamtlich und unermüdlich. Denn auch nach zwölf Monaten benötigen Betroffene Hilfe.
Weil die Nachfrage kaum abnimmt, bleibt das Lager der Dachzeltnomaden auf dem ehemaligen Sportplatz bei Rupperath bestehen. „Ich bekomme immer mehr Anrufe, es ist noch nicht zu Ende, wir haben aktuell etwa 80 Baustellen und über 50 Anfragen, aber weniger Helfer als am Anfang“, sagt Andrea Brandt vom Organisationsteam der Dachzeltnomaden.
Direkt nach der Flut hätten Betroffene und deren Bedürfnisse viel Aufmerksamkeit erhalten. Für viele Menschen seien die Betroffenen mittlerweile aber aus dem Fokus gerückt. Immerhin ist die Katastrophe jetzt schon ein Jahr her. Vielen sei nicht bewusst, dass nach wie vor Keller ausgestemmt würden, dass nach wie vor Menschen ohne Heim oder ohne Heizung lebten.
„Hier sind immer noch Leute ohne Haus. Manche bekommen aufgrund des Alters keine Kredite mehr von der Bank und können nicht sanieren“, berichtet Brandt: „Die Flut hat viel davongetragen. Viele Menschen müssen lernen, neu zu denken und sich mit der Frage zu beschäftigen: Was ist mein Zuhause?“
Ein Jahr sei nichts in Anbetracht der entstandenen Schäden, auch der immateriellen, so die Helferin weiter: „Viele Betroffene wollen gar nicht diesen Fokus auf den Gedenktag legen. Sie wollen sich nicht erinnern, da kommen schlimme Gefühle hoch, sie sind traumatisiert. Gerade diejenigen, die jemanden verloren haben.“
Auch die Eheleute Sabine und Hans Mießeler aus Hellenthal sind nach wie vor im Einsatz. Nachdem das von ihnen organisierte Versorgungszelt in Gemünd geschlossen worden war, an dem täglich rund 1500 Essen über die Theke gingen, halfen die beiden in erster Linie beim Ausfüllen von Wiederaufbauanträgen – und das tun sie bis heute.
Betroffenen fehlt die Kraft
„Es gibt noch immer viele Betroffene, die noch gar nichts beantragt haben“, weiß Hans Mießeler. Manche Betroffene begännen sofort zu weinen, wenn man sie darauf anspreche. „Unserer Meinung nach müssten die Institutionen, die Hilfe anbieten, persönlich auf die Leute zugehen – auf der Straße oder sogar von Haustür zu Haustür “, so Mießeler. Viele hätten keine Kraft, sich aus eigenem Antrieb zu kümmern. „Ans Aufhören können wir deshalb noch nicht denken“, so der 65-Jährige.
Jörg Weitz von Eifel für Eifel fasst ein Jahr Fluthilfe so zusammen: „Es hat sich auf der einen Seite eine Menge getan, aber es gibt auch weiter viel zu tun.“ Bis vor etwa vier Wochen habe Eifel für Eifel ein Spendenlager betrieben. Nun leistet Weitz hauptsächlich noch Hilfe auf Anfrage. Vor allem tauchten jetzt immer wieder Einzelschicksale auf von Menschen, die kein gutes soziales Netzwerk hätten, das sie auffange, oder auch von solchen, die sich nicht trauten, nach Hilfe zu fragen.
74-Jährige kocht weiter
Auch der ehemalige Gasthof der Familie Balter in Losheim wurde nach der Flut zur Spendenausgabestelle. Außerdem stand Mutter Roswitha täglich in der Küche des Gasthofes und kochte für die Menschen in den Flutgebieten. Zeitweise 1000 warme Mahlzeiten am Tag, die ihr Sohn Björn nach Hellenthal, Gemünd, Kall und noch weiter auslieferte.
Noch immer steht die 74-Jährige am Herd und versorgt Menschen, die selber noch keine Möglichkeit haben, Essen zu kochen. 25 Mahlzeiten, die Björn Balter von Blumenthal bis Kall liefert und dabei rund 100 Kilometer zurücklegt. Ein Ende ihres ehrenamtlichen Engagements sei eher nicht in Sicht, der Bedarf sei immer noch da.
„Einmal im Monat veranstalten wir im Gasthof einen Flohmarkt, der Spenden einbringt“, sagt der 37-Jährige, damit würden wieder Materialien, Lebensmittel oder Einrichtungsgegenstände angeschafft: „Die Menschen kennen mich mittlerweile, sie brauchen manchmal einfach nur jemanden, der zuhört und für sie da ist.“ Ein Problem bei ihrem Einsatz für die Flutopfer sei, dass es seit Ausbruch des Ukraine-Krieges kaum mehr Sachspenden gebe: „Bis dahin haben wir regelmäßig von Firmen Spenden bekommen, jetzt nur noch von Privatleuten.“
Helfer kommen weiterhin aus ganz Deutschland
Ronny Wachsmuth vom Fanclub Goitzsche Front ist ebenfalls noch im Einsatz. Der Münchner und seine Fanclub-Kollegen kommen weiter in den Kreis, um zu helfen. Denn nach wie vor gebe es verschlammte Keller und Häuser, in denen der Putz von den Wänden geschlagen werden müsse. „Wir hatten erst letztens einen, der hat sich nicht getraut, was zu sagen. Der dachte, er packt das alleine. Der hatte jetzt noch den ganzen Keller voll mit Schlamm, trockenem Schlamm natürlich“, berichtet Wachsmuth: „Der hat sich einfach geschämt. Die Leute schämen sich.“
Vor allem Menschen, die nicht ausreichend versichert waren, hätten noch Probleme zu sanieren. „Da fehlt dann teilweise das Geld“, so der Helfer.
Wenn er ein Fazit aus einem Jahr Fluthilfe ziehen muss, sagt er: „Ja, das ist eine Scheißsituation. Aber wir haben auch Freunde fürs Leben gefunden. Immerhin konnten wir Menschen in einer schweren Zeit auch mal ein Lächeln ins Gesicht zaubern.“
Online Menschen vernetzen
Rebecca Müller ist Mitorganisatorin der Charlie-Truppe, eines Netzwerks an privaten Helfern. Vor allem auf Facebook ist die Truppe aktiv. „Erst habe ich Care-Pakete gepackt. Dann kam der Anruf einer Tochter, die gefragt hat: ’Fahrt Ihr auch raus nach Gemünd? Meine Mutter hat seit Wochen keine Zahnbürste.’“, erinnert sich Müller. „Als ich durch Gemünd gefahren bin, wusste ich: Ich muss helfen. Und das mache ich eigentlich bis heute: Ich fahre mit dem Auto in die Straßen und schaue, was gebraucht wird. Dann mache ich den Kofferraum auf und jeder kann sich nehmen, was er will.“
Weiter erzählt sie: „Es gibt Leute, die wohnen wieder zuhause. Aber es gibt auch Leute, bei denen geht es sehr schleppend voran, und Leute, bei denen hat sich noch gar nichts getan.“
Die Art der Unterstützung habe sich jedoch verändert. „Ich erledige jede Art von Hilfe. Ob es um Haus oder Garten, Tiere oder auch Bürokratie geht.“ Zuletzt habe die Gruppe viele Angebote für Kinder organisiert, wie den „Mal-Zirkus“. „Das ist ein Zirkuswagen, in dem Kinder ihre Erlebnisse mit Unterstützung von Experten verarbeiten können durch Malen, Basteln, Kneten“, so Müller. Solange es nötig sei, wolle sie weiter Hilfe leisten. Denn nach wie vor gebe es tragische Schicksale unter den Betroffenen: „Wir kriegen teilweise Hilferufe, da wird einem schlecht. Auch ein Jahr nach der Flut.“
Zusammenhalt und Solidarität gestärkt
Doch die Katastrophe habe auch etwas Positives hervorgebracht: „Die privaten Helfer, die Solidarität, der Zusammenhalt, das ist unglaublich stark geworden in der Gesellschaft. In unserem Fall in Gemünd ist auch ganz viel Tolles passiert von offizieller Seite aus.“
Müller erklärt aber auch, sie wisse von Kommunen, in denen die Auszahlungen von Soforthilfen nicht reibungslos funktioniert hätten. „Das zu beobachten ist schlimm“, sagt sie.
Auch Emily Miller von der Osten engagierte sich nach der Flut, half beim Ausstemmen der Häuser und betreut eigenen Angaben nach bis heute mit Freunden vier flutgeschädigte Familien. „Wir haben uns ab Januar entschieden, dass diese Art der Hilfe jetzt am sinnvollsten ist. Wenn unsere Familien Handwerker oder Hilfe suchen, dann schließen wir uns in unserer Whatsapp-Gruppe kurz und klappern unsere Gewerke ab“, erzählt sie.
Besonders berührt habe sie nach diesem Jahr der Zusammenhalt zwischen Fremden, die in der Krise zu Freunden wurden. „Wir haben vor allem zu diesen vier Familien eine tiefe Verbundenheit. Es war schön, dass auch wir jungen Leute den Alten zeigen konnten: Unsere Generation ist doch noch zu was zu gebrauchen“, bemerkt sie und lacht.