Leverkusen – Sie, liebe Leserinnen und Leser, haben uns Fragen geschickt, Mediziner und Epidemiologe Karl Lauterbach hat sie uns in einem zweiten Interview beantwortet. Lesen Sie hier den ersten Teil der Fragerunde.
Ein besorgter Mann einer Lehrerin fragt, was passiert, wenn nach den Osterferien die Schulen wieder öffnen sollten? Wie kann man dort Hygiene gewährleisten und die Ausbreitung des Coronavirus verhindern?
Zuerst müssen wir uns überlegen, ob wir alle Schüler gleichzeitig an die Schule lassen oder ob wir die Schulen aufteilen in einen morgendlichen und nachmittäglichen Unterricht. Es ist auch unklar, ob wir nicht mit den Abschlussjahrgängen beginnen und dann sukzessive andere Klassen an die Schule zurückführen sollen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auch nur im Ansatz eine ausreichende Sicherheit hinbekommen, wenn wir große Klassen mit bis zu 30 Schülern auf engem Raum haben.
Viele Leser diskutieren über den schwedischen „Sonderweg“. Bislang hatte das Land nicht so rigide Ausgangsbeschränkungen wie im restlichen Europe. Doch auch hier ändert sich etwas.
Mich überrascht die Entwicklung in Schweden gar nicht. Wenn Sie mit wenig Beschränkungen versuchen, durch die Krise zu kommen, müssen Sie damit rechnen, dass sich möglicherweise bis zu 50 Prozent oder sogar mehr mit dem Virus infizieren. Wenn Sie selbst in den besten Gesundheitssystemen eine Sterblichkeit von einem Prozent nicht unterschreiten können, wonach es derzeit aussieht, müssten Sie – auf Deutschland projiziert – mit 50 Millionen Infizierten rechnen und hätten etwa 500 000 Todesopfer zu beklagen. Das kann niemand verantworten. Es würde viele ältere Menschen treffen, aber nicht nur: Auch jüngere, Zuckerkranke, Asthmatiker oder Menschen mit Rheuma oder anderen Autoimmunerkrankungen. Daher ist der „schwedische Sonderweg“ immer ein Holzweg gewesen, weil er langfristig gesehen eine zu große Zahl der Bevölkerung opfern würde. Es ist in Schweden nur deshalb einigermaßen gut gegangen, weil große Teile so wenig dicht besiedelt sind.
Das könnte Sie auch interessieren:
Die Heuschnupfensaison geht gerade los. Was empfehlen Sie denn Asthmatikern?
Sich normal behandeln, wie man es sonst tut. Es wäre falsch, die Medikamente abzusetzen. Viele Patienten sind verunsichert, ob sie Cortisonsprays oder -medikamente weiter nehmen sollen oder ob sie damit das Risiko einer Coronainfektion erhöhen. Das ist nicht der Fall. Eine Allergie erhöht das Risiko nicht, wenn man allerdings Asthmatiker ist und beispielsweise eine reduzierte Lungenfunktion hat, dann sollte man besonders darauf achten, dass man sich nicht infiziert, weil man mit einem schweren Krankheitsverlauf rechnen muss.
Unter welchen Umständen und in welchen Situationen stecken sich die Menschen am meisten an?
Dazu gibt es Untersuchungen. Wir müssen davon ausgehen, dass die wichtigste Infektionsquelle die Begegnung von Mensch zu Mensch ist, also die gemeinsamen Gespräche. Hinzu kommt das Anniesen oder Anhusten, aber das ist ja schon sehr stark zurückgegangen. Wir wissen, dass das Virus anderthalb bis zwei Meter weit kommt – beim ganz normalen Sprechen. Wir gehen sogar davon aus, dass, wenn man etwas lauter spricht, mehr von dem Virus übertragen wird. Das Virus hält sich in kleinen Tröpfchen in der Luft auf, diese Tröpfchen fallen nicht sofort nach dem Sprechen zu Boden, sondern schweben, wie ein Aerosol. Abstand halten schützt, auch die medizinischen OP-Masken. Was eine neue Studie, die erst vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, zeigt: Diese Masken schützen nicht nur denjenigen, der angesprochen wird, sondern auch den Maskenträger. Also in beide Richtungen. Wenn OP-Masken für die gesamte Bevölkerung nicht verfügbar sind, ist Abstand das Gebot der Stunde.
Wenn man sich Handschuhe anzieht, damit eine kontaminierte Fläche anfasst und sich dann ins Gesicht fasst: Wie hoch ist das Infektionsrisiko?
Das Risiko besteht, ist aber viel geringer. Die wichtigste Gefahr ist das Gespräch.
Sind flächendeckende Antikörpertest sinnvoll und durchführbar?
Ob Antikörpertests zum jetzigen Zeitpunkt flächendeckend sinnvoll sind, wage ich zu bezweifeln – weil die Zahl derer, die sich bislang in Deutschland infiziert haben, nicht so hoch ist. Wir müssen hier eine Dunkelziffer unterstellen, aber die wird nicht so sein, dass sich beispielsweise bereits zehn Prozent der Bevölkerung angesteckt haben. Dann hätten wir nämlich viel mehr Todesopfer. Es ist wichtig, Antikörpertests zu haben, vor allem, wenn sie schnell funktionieren. Antikörper-Schnelltests können in Kliniken oder Arztpraxen bei jemandem, der eingeliefert wird, schnell feststellen, ob jemand erkrankt ist.
Vor zwei Jahren sind bei der heftigen Grippewelle knapp 25 000 Menschen gestorben. Aktuell liegen wir bei unter 2 000 Corona-Toten. Nach wie vor fragen sich Leser, wie es sein kann, dass bei zwei solcher Krankheitswellen zu so unterschiedlich starken Maßnahmen gegriffen wird?
Die Verhältnismäßigkeit ist hier ganz klar gegeben. Und es ist nicht so, als hätte nach den 25 000 Grippetoten „kein Hahn gekräht“. Wir haben sehr intensiv für die Grippeimpfung geworben und auch versucht, ältere Menschen zu isolieren. Wir haben die Todesfälle auf 25 000 begrenzen können. Wenn wir bei Corona nichts tun, würde sich eine Herdenimmunität aufbauen, dann könnten wir aber nicht ausschließen, dass 500 000 oder sogar bis zu einer Million Menschen sterben. Das wäre 20 oder 40 mal mehr als Grippe.
Das Gespräch führte Agatha Mazur