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Professor Dr. Kurt SteuerBonner war als Mannschaftsarzt beim Erfolg der deutschen Handballer dabei

Lesezeit 5 Minuten

Mit Physiotherapeut Peter Gräschus (r.) kümmert sich Professor Dr. Kurt Steuer hier um den verletzten Fabian Wiede.

Bonn – Millionen Zuschauer haben in den vergangenen zwei Wochen am Fernsehen die erfolgreichen Auftritte der deutschen Handballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Polen bewundert. Doch was viele nicht wissen: Großen Anteil an dem sensationellen Abschneiden des Teams hatte auch ein Bonner, denn Professor Dr. Kurt Steuer ist als Mannschaftsarzt des Deutschen Handballbundes (DHB) für das Wohl der Spieler verantwortlich. Und bei dem Turnier in Polen hatte er allerhand zu tun.

Hauptberuflich arbeitet der 59-Jährige im Waldkrankenhaus der Johanniter GmbH in Bonn, wo er als Chefarzt zusammen mit Dr. Christian Paul die Fachabteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie leitet. Für die DHB-Auswahl wird Steuer 60 bis 80 Tage im Jahr freigestellt. „Da braucht man einen Arbeitgeber mit Verständnis“, dankte Steuer den Johannitern, Krankenhausdirektor Dr. Bernhard Schöffend und ganz besonders seinem Kollegen Paul, „der mich in meiner Abwesenheit stets vertreten muss“. „Wir sind in den vergangenen Wochen alle Handballfans geworden und können jetzt mit Stolz sagen, dass der Teamarzt der Nationalmannschaft bei uns arbeitet“, antwortete Paul.

„Vor der EM war ich optimistisch, aber der Endspielerfolg hat doch eine unterwartete historische Dimension“, sagte Steuer. Mitentscheidend für den Triumph von Krakau seien aus medizinischer Sicht zwei Dinge gewesen: Der niedrige Altersdurchschnitt des Teams mit 24,8 Jahren und die gelungene Regeneration zwischen den Spielen. „Damit ist nicht nur die schnelle Regeneration des Körpers gemeint, sondern auch die des Kopfes. Handball ist wie Schach auf höchstem Niveau – eine anspruchsvolle intellektuelle Leistung.“ Mit Hilfe seines medizinischen Teams sei es gelungen, die Verletzung wichtiger Spieler und die große Anzahl von Vereinsspielen in Bundesliga, Pokal und internationalen Wettbewerben im Vorfeld der EM zu kompensieren. „Es ist Bundestrainer Dagur Sigurdsson zu verdanken, dass er der Regeneration der Spieler bewusst großen Platz einräumt.“ Zwei Stunden pro Tag sei konzentriert gearbeitet worden, die restliche Zeit hätten sich die Spieler erholen und auf das nächste Spiel vorbereiten können. Trotz der Pausen hätten Steffen Weinhold und Co. bei dem Turnier aber an die Grenzen gehen müssen: „Tobias Reichmann beispielsweise musste im Endspiel ab der 45. Minute behandelt werden, weil seine Muskulatur zugemacht hat. Bis zu acht Spiele bedeuten eine extrem hohe körperliche und psychische Belastung. Je besser die Muskeln und die Sprunggelenke trainiert sind, desto geringer ist die Verletzungsgefahr auch bei intensiven Spielen“, sagt der 59-Jährige, der in Bad Honnef lebt.

Auf den „unbeschreiblichen“ Nationaltrainer aus Island hält Steuer ohnehin große Stücke : „Er spricht kaum, aber wenn er etwas sagt, ist das wie ein Gesetz.“ Außerdem habe Sigurdsson der Mannschaft auch eingeimpft, wie wichtig die Defensivarbeit ist: „An der deutschen Abwehr führte kein Weg vorbei. Das junge Team hat nach dem Motto gehandelt, geht nicht gibt’s nicht.“Aber auch im Hinblick auf die Spieler ist der Bonner Chefarzt voll des Lobes: „Sie waren extrem konzentriert und sehr diszipliniert. Ich habe in Polen keinen von unseren Jungs außerhalb des Hotels gesehen.“ Jeder deutsche Spieler habe vor jeder Partie einen USB-Stick mit den Wurfbildern und den Abläufen des Gegners erhalten, um sie zu analysieren und eigene Strategien dagegen zu entwickeln.

Rund um die Uhr im Einsatz

Steuers Job ist es, zur Fitness der Spieler beizutragen, die Verletzungsgefahr zu minimieren und die schnelle medizinische Versorgung vor Ort zu gewährleisten. Bei den Spielen sprintet er bei Verletzungen aufs Feld, um Platzwunden zu nähen, Prellungen zu versorgen und die Gelenke mit Tapeverbänden zu stabilisieren. Die Hauptarbeit wartet aber oft nach dem Spiel: „Dann sehen die Kreisläufer beispielsweise so aus, als kämen sie aus einem Sado-Maso-Studio.“ Aber damit nicht genug: „In den zwei Wochen in Polen hatten drei Viertel der Spieler einen grippalen Infekt, ohne dass das groß aufgefallen wäre.“ In einigen Fällen sei er auch als Psychologe gefragt gewesen. Dementsprechend war Steuer auch rund um die Uhr im Einsatz: „Zu vielen Spielern besteht ein sehr enges Vertrauensverhältnis, weil ich sie schon in ihren Jugendteams betreut habe.“ Auch würden einige Bundesligisten ihre Spieler während der Saison zur Behandlung ins Waldkrankenhaus schicken. „Jeder muss ganz individuell behandelt werden. Manchen Sportler müssen wir stoppen, wenn er trotz einer Verletzung weiterspielen will. Es ist oft ein medizinischer Balanceakt. Gerade wenn so viele Menschen längere Zeit auf engstem Raum zusammenleben.“ Das Waldkrankenhaus selbst spielte bei der EM auch eine nicht unwesentliche Rolle. „Jede größere Verletzung ist für unsere Berufssportler ein Arbeitsunfall“, erklärte Steuer. „Diesen müssen wir genau erfassen und an die Berufsverbände weiterleiten.“ Eine Aufgabe, die Steuers Sekretariat im Waldkrankenhaus bei großen Turnieren übernimmt.

Vom EM-Sieg soll auch das Johanniter-Hospiz am Waldkrankenhaus profitieren, das seit über zehn Jahren Sterbende auf ihrem letzten Weg begleitet. Ein Trikot von Niclas Pieczkowski aus dem EM-Finale soll bei einem Mitarbeiterfest zugunsten des Hospizes versteigert werden. Ein zweites Trikot will Steuer der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg für die Flüchtlingshilfe überlassen.

Der Mediziner hofft, dass auch der Handball in der Breite von dem Europameistertitel profitiert. „Wir brauchen einen guten Unterbau. Die Nationalmannschaft muss mit starken Leistungen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche in den Vereinen spielen wollen.“ Nach dem WM-Erfolg 2007 sei das nicht gelungen. Handball habe als Mannschaftsport auch einen integrativen Charakter. Deshalb hoffe er, dass die für Flüchtlinge genutzten Hallen in Bonn und der Region bald wieder geöffnet werden.

Zur Person

Professor Dr. Kurt Steuer ist seit rund 20 Jahren für den Deutschen Handballbund (DHB) tätig. Zunächst als einer von vielen Medizinern im Stab der Verbandsärzte, seit September 2013 als Mannschaftsarzt des A-Teams und als Leitender Verbandsarzt. Damit fallen auch grundsätzliche Planungen zur medizinischen Versorgung, Logistik, Ernährung oder zum Antidopingkampf in sein Aufgabenfeld. Spezialisiert hat sich Steuer auf Schulter- und Kniegelenksverletzungen. (wki)