Bonn – Es sind Orte wie diese, an denen einen die Erinnerung einholt. So steht Hans Hermann Haferkamp im Haus der Geschichte vor einem Bild, das Konrad Adenauer beim Betreten des Hotels Petersberg zeigt. Hier hatten 1949 die Hohen Kommissare der Alliierten ihren Sitz, und der damalige Bundeskanzler war auf dem Weg, ihnen ein Stück deutscher Souveränität abzuringen. Die Verhandlungen gingen in das „Petersberger Abkommen“ ein, und er, sagt Haferkamp, habe damals in Bonn mit fünf, sechs Kollegen die Texte in Deutsch, Englisch und Französisch „Zentimeter für Zentimeter“ gegengelesen. Klingt langweilig, „war aber spannend“, behauptet der Botschafter a. D., denn er habe damals hautnah große Geschichte miterlebt.
Das haben auch die meisten seiner Kollegen, die sich an diesem Vormittag in dem historischen Museum einfinden: Es ist die 4. Crew des Auswärtigen Amtes, die 1952 in Speyer die Attaché-Ausbildung begann. Von den damals 23 angehenden Diplomaten leben noch sieben. Die Witwen werden aber zu den Treffen, die von 1952 bis 1987 zunächst alle fünf Jahre stattfanden und seither jährlich, ebenfalls eingeladen. Doch nicht einmal alle sieben Überlebende konnten an der 60-Jahr-Feier teilnehmen: Das Alter fordert Tribut.
Als die 22 Männer und eine Frau 1952 nach einem strengen Auswahlerfahren in Bonn in den Auswärtigen Dienst traten und in Speyer ihre zweijährige Ausbildung begannen, waren sie gestandene Persönlichkeiten, der Jüngste 25, der Älteste 34 Jahre alt, Kriegsheimkehrer zumeist und nun bereit, die Bundesrepublik im Ausland zu vertreten und dort zu zeigen, dass es ein besseres Deutschland gibt als das Nazi-Deutschland.
Der Studienort Speyer war angeblich ausgewählt worden, weil Lehrgangsleiter Generalkonsul Peter Pfeifer, ebenda zu Hause, Adenauer davon überzeugt habe, das „Nachtleben“ in Bonn könnte sich nachhaltig auf den Lerneifer der jungen Leute auswirken. Der Crew, streng nach landsmannschaftlichem und konfessionellem Proporz zusammengestellt, hat die Abgeschiedenheit in der Pfalz nicht geschadet, sie hatte auch dort ihren Spaß. Aus Bonn kamen Bundespolitiker, Carlo Schmid etwa oder Fritz Erler, um Vorlesungen zu halten. Die Kurs-Absolventen unternahmen Reisen durch das Land, um Kontakte zur Wirtschaft und Gewerkschaften zu knüpfen.
100 diplomatische Vertretungen, so ist auf einer Tafel im Haus der Geschichte zu lesen, hatte die Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1953, darunter 22 Botschaften und 22 Gesandtschaften. Auf einige dieser Posten schickte das Auswärtige Amt seine Nachwuchsleute nach bestandenem Lehrgang. Leopold Siefker zum Beispiel kam noch unter Papst Pius XII. an die deutsche Vertretung beim Heiligen Stuhl. Er war in Göteborg, Nikosia, Beirut und zuletzt in Los Angeles (als Generalkonsul) im Einsatz. Tochter Birgitta Maria Siefker-Eberle, in Göteborg geboren, ist in die Fußstapfen des Vaters getreten und heute Botschafterin in Beirut, wo sie von 1973 bis 1975 Nah
ostgeschichte und arabische Sprachen studiert hatte.
Hans Hermann Haferkamp war Botschafter in Togo, Trinidad-Tobago und zuletzt in Island. Niels Hansen gehört zu der Crew, unter anderem Botschafter in Israel und bis zur Pensionierung 1989 Ständiger Vertreter der Bundesrepublik bei der NATO. Auch Günther van Well, um noch einen Namen zu erwähnen, war Mitglied jener besonderen Truppe. Der Diplomat, gestorben 1993, arbeitete als Staatssekretär unter Genscher und als Botschafter in Washington.
Einzige Dame im Herrenclub war Helga Stödter, die als fertige Juristin – sie hatte zuvor unter anderem als Verteidigerin am Militärgericht in der französisch besetzten Zone gewirkt – nach Speyer kam. Stödter, gestorben 2011, hat sich später als Frauenrechtlerin einen Namen gemacht.
Für den Zusammenhalt der Crew sorgt Günther Schödel, Botschafter in Indonesien, China und Indien. Er gab eine – hektographierte – „Crew-Zeitung“ mit neuesten Nachrichten über die Mitglieder heraus und war nach seiner Pensionierung 1987 auch Organisator des ersten Jahrestreffens in seinem Heimatort Bischofswiesen (Berchtesgadener Land), dem 25 weitere folgten. „Die 4. Crew hat als einzige diesen Zusammenhalt“, sagt er stolz. Sie sei auch als erste über zwei Jahre ausgebildet worden, während die Attachékurse der Jahrgänge 1949 bis 1951 nur sechs Monate gedauert hätten, weil Bonn damals dringend Diplomaten brauchte.
Im Haus der Geschichte setzen sich die Damen und Herren ins alte Parlamentsgestühl des Bundestages und lassen vor den Bildern und Dokumenten der Nachkriegszeit ihr Leben Revue passieren. Sie haben deutsche Geschichte mitgeschrieben. Nächstes Jahr wollen sie sich wiedersehen.