Weitere neun Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig halten in Bornheim neuerdings die Erinnerung an ermordete oder vertrieben Mitbürger wach.
Traumata der Nazi-ZeitBornheimer von den eigenen Freunden auf Befehl verprügelt
„Für mich und meinen Mann Hans-Jakob ist das heute ein bewegender Moment“, schilderte Katharina Kessel aus Sechtem. Am Mittwoch verlegte der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig neun weitere Stolpersteine in Bornheim. Einer dieser Steine, vor dem Haus an der Ecke Schillerstraße 1/Königstraße, erinnert nun an Catharina König, die Urgroßmutter von Hans-Jakob Kessel. „Meine Schwiegermutter redete oft und sehr gerne über ihre Oma. Ein Foto von ihr hing immer zu Hause an der Wand. Sie war eine schöne Frau“, sagte Katharina Kessel und zeigte das Porträtbild, das sie mitgebracht hatte.
Bürgermeister Christoph Becker begrüßte zahlreiche Bürger und Vertreter aus Rat und Verwaltung zu der Verlegung der weiteren Gedenksteine. Herzlich willkommen hieß er auch Gunter Demnig, der seit 2006 bislang 78 Stolpersteine in den Bornheimer Stadtteilen verlegt hat. Jeder einzelne ist mit einem Namen und Schicksalsdaten versehen und sichert so das Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten, an die Ermordeten und Vertriebenen.
In Hadamar ermordet
Becker erinnerte an die Opfer. Catharina König war 1881 als Tochter des Bahnwärters Wilhelm König und dessen Ehefrau Christina geboren worden und bekam mit 18 Jahren ein uneheliches Kind. Die junge Frau litt jahrelang an einer psychischen Erkrankung, arbeitete aber als Hutmacherin in Bonn. Als die Nazis an der Macht waren, verabschiedeten sie in ihrem „Rassenhygiene“-Wahn 1933 das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuches“, das die Zwangssterilisierung von körperlich, geistig oder seelisch behinderten Menschen ermöglichte. Mit der „Aktion T4“ gingen die Nazis ab 1940 noch einen schrecklichen Schritt weiter: Sie begannen mit der planmäßigen Ermordung dieser Menschen, die in ihren Augen eine Belastung ihrer „Volksgemeinschaft“ darstellten. Am 20. August 1941 wurde Catharina König zusammen mit 84 weiteren Patienten in eine der extra eingerichteten „Tötungsanstalten“ gebracht: nach Hadamar bei Limburg an der Lahn. Dort wurde sie unmittelbar nach ihrer Ankunft umgebracht. Becker dankte Hans-Jakob Kessel, der sich für die Verlegung des Stolpersteins eingesetzt hat.
Alles zum Thema Landschaftsverband Rheinland
- Inklusion Nettersheimer Prinz sammelt Spenden für rollstuhlgerechten Karnevalswagen
- Sozialarbeit in Oberberg Hilfe für Menschen, die als „Systemsprenger“ abgestempelt sind
- Neues Heim für die Akten Kaller Gemeindearchiv im Geschäftshaus Nord kann bezogen werden
- Vorträge zur NS-Zeit Forschung über Zwangsenteignung jüdischer Oberberger vorgestellt
- Finanzen Bürgermeister im Kreis Euskirchen schlagen Alarm: Kommt der Kommunal-Soli?
- Raummisere Kreis Rhein-Berg will kurzfristig Gebäude für neue Förderschule mieten
- Wegen Wasserschaden Keldenicher Kita muss für sechs Monate in Container umziehen
Vor dem Haus am Servatiusweg 11 verlegte Gunter Demnig vier Steine in Erinnerung an Sally, Paulina, Josef und Maximilian Cahn. Früher stand an dieser Stelle das kleine Fachwerkhaus der jüdischen Familie. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten hatte die Familie laut Becker ein glückliches Leben und besuchte regelmäßig die nur wenige Meter entfernte jüdische Synagoge. Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 habe sich aber alles geändert: „Viele Nachbarn hielten nach der Machtübernahme zunächst zu ihren jüdischen Nachbarn und Freunden, doch manche wandten sich schon ab.“
Keine Zukunft mehr in Deutschland gesehen
Besonders schwer war die Situation für die Söhne Josef und Maximilian. Max durfte nicht mehr in der Schulkapelle mitspielen. Im März 1936 hatte der Junge zudem ein einschneidendes Ereignis, als er mit Freunden in der Straßenbahn zur Schule fuhr. Ein Funktionsträger der Hitlerjugend fuhr mit und forderte die Freunde von Max auf, den Juden zu verprügeln, was sie auch taten: „Max war am Boden zerstört. Jetzt wusste er, dass es für Juden in Deutschland keine Zukunft gibt“, sagte Becker. Am 27. August 1938 verließ die Familie Bornheim und emigrierte per Schiff nach Kolumbien.
Vor dem Haus an der Königstraße 138 erinnern seit gestern vier Stolpersteine an das Schicksal der Familie Hermann, Amalia, Grete und Ernst Schmitz. Vor der Machtübernahme Hitlers feierte die Familie gemeinsam mit christlichen Freunden ihre Feste. Durch die Machtergreifung der Nazis sei diese Harmonie zerstört worden: „Anfangs ignorierten viele Freunde der Familie noch die antisemitische Propaganda der Nazis und nahmen die Familie in Schutz. Doch das änderte sich, als die Einschüchterungen und Drohungen zunahmen“, schilderte Becker.
Die Pogromnacht war eine traumatische Erfahrung für alle: „Die Familie vegetierte nur noch von Tag zu Tag“, so beschrieb es Tochter Grete. Ihr Vater Hermann, der im Vorstand der Synagogengemeinde war, musste gezwungenermaßen und schweren Herzens den Vertrag über den Verkauf der ausgebrannten Synagoge an die Zivilgemeinde unterschreiben. Da sah auch er keine Zukunft mehr in Deutschland. Die Familie entschied sich, zu entfernten Verwandten nach Chile zu emigrieren. Zuvor wurden sie noch von den Nazis beraubt und gedemütigt. Als gebrochener Mann floh er mit seiner Familie über Italien nach Chile: „Bis auf zehn Reichsmark und dem, was sie tragen konnten, war ihnen nichts geblieben.“
Grete Schmitz setzte sich zeitlebens gegen das Vergessen ein und berichtete als Zeitzeugin in Interviews immer wieder über ihre Erlebnisse in Bornheim, die Flucht und den Neuanfang in einem fremden Land. 1988 war sie noch einmal zu Besuch in ihrer alten Heimat und führte mit der damaligen Stadtarchivarin Hildegard Heimig eine Brieffreundschaft. Doch die ist inzwischen verstorben, und der Stadt gelang es aktuell nicht, einen Kontakt zu der Familie herzustellen.
Schülerinnen und Schüler der LVR-Ernst-Jandl-Schule haben sich mit der Geschichte der Familie intensiv beschäftigt und eine Graphic Story erstellt. Diese wird am kommenden Sonntag, 10. November, anlässlich des Pogromgedenkens präsentiert. Bürgermeister Christoph Becker dankte allen, die eine Patenschaft für die Stolpersteine übernommen haben: „Die heutige Verlegung zeigt mir, dass wir in einer toleranten und demokratisch gefestigten Stadt leben.“ Es gibt weitere Gelegenheiten, Patenschaften zu übernehmen.
Gedenken in Bornheim
Zum 86. Jahrestag des Novemberpogroms am Sonntag, 10. November, erinnert die Stadt Bornheim an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen im Nationalsozialismus. Die Veranstaltung „Erinnern für Heute und Morgen“ beginnt um 18 Uhr am Standort der ehemaligen Synagoge, in der Königstraße 55. Anschließend gibt es in der LVR-Ernst-Jandl-Schule, Wallrafstraße 4, ab 18.30 Uhr ein Programm, auch gegen Rassismus und Demokratiefeindlichkeit. Schüler der LVR-Ernst-Jandl-Schule präsentieren ihre Graphic-Story über Grete Schmitz und ihre Flucht aus Deutschland.
Siebtklässler der Europaschule zeigen ihren Film zum Schicksal von Philipp Loeb aus Roisdorf. Schüler der Heinrich-Böll-Gesamtschule führen unter der Leitung von Musiklehrerin Csilla Bodoova eine musikalische Performance auf. Der Bornheimer JugendTreff und das Stadtteilbüro haben Interviews zu Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen gesammelt und Plakate sowie eine Sound-Collage angefertigt.
Jugendliche haben mit Theaterpädagogin Monika Timme Zeitzeugenberichten für die Bühne aufgearbeitet. Der Jugendchor der evangelischen Kirchengemeinde Bornheim, geleitet von Marie-Susann Rothschild, begleitet das. Jugendliche des Kulturraums Sechtem unter der Leitung von Achim Stommel steuern einen Film über antisemitische Verschwörungstheorien bei. Musikalisch begleitet wird die Veranstaltung durch eine Klezmer-Gruppe aus Lehrkräften der Jandl-Schule. In der Cafeteria ist für das leibliche Wohl gesorgt.