Seit Januar leitet Dr. Barbara Decker die Forensische Psychiatrie in Porz des LVR. Für Gerichte arbeitet sie außerdem als Gutachterin.
Forensik-Chefin in Köln„Wenn ich Patienten sehe, denke ich gar nicht über das Delikt nach“

Dr. Barbara Decker (39) ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Vor ihrer Arbeit in Köln war sie auch als Oberärztin in der Jugendforensik der LVR-Klinik Viersen tätig.
Copyright: Meike Böschemeyer
Dr. Barbara Decker arbeitet mit psychisch kranken Menschen, die straffällig geworden sind. Für Gerichte ist sie auch als psychiatrische Gutachterin tätig. Was sie erlebt und warum sie den Blick auf ihre Patienten verändern will, erklärt die Ärztin im Interview.
Was unterscheidet die forensische Psychiatrie von einem Gefängnis?
Die Gitterstäbe und die hohen Mauern erwecken vielleicht den Eindruck eines Gefängnisses, aber wir sind eine Klinik. Wenn Menschen eine Straftat begehen und ein Verdacht auf eine psychische Erkrankung vorliegt, wird vom Gericht geprüft, ob sie zum Zeitpunkt der Tat psychisch krank waren und deshalb möglicherweise schuldunfähig. Sollte das der Fall sein, kommt die Person in eine Klinik wie unsere hier in Köln-Porz. Unsere Aufgabe ist dann die Sicherung der Patienten. Aber es geht genauso sehr um die Besserung, also die Begleitung durch Therapie – unsere Patienten sind ja psychisch krank. Anders als in Justizvollzugsanstalten, hier steht Sicherung, Versorgung und Unterbringung von Häftlingen im Vordergrund. Die Therapiemöglichkeiten sind dort sehr begrenzt.
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Was haben die Menschen getan, die bei Ihnen untergebracht sind?
Das ist die ganze Palette der Straftaten. Hauptsächlich ist es Körperverletzung. Aber es gibt fast alles. Einige Patienten haben versuchten Totschlag oder Totschlag durchgeführt. Es gibt auch Patienten, die haben Brandstiftung begangen. Andere haben Sexualdelikte begangen – das ist bei uns aber ein geringer Teil.
Wie lange bleiben die Patienten bei Ihnen?
Alle Patienten kommen erstmal auf unbestimmte Zeit zu uns. Wie lange sie bleiben, ist sehr individuell. Manchmal sind es zwei oder drei Jahre, was dann aber wirklich kurz ist. Es kann aber auch deutlich länger sein, zum Beispiel 15 oder 20 Jahre. Einmal im Jahr erfolgt eine richterliche Anhörung. Die Klinik nimmt zuvor schriftlich Stellung, berichtete über den Behandlungsverlauf des letzten Jahres und gibt eine prognostische Einschätzung bezüglich dem Behandlungsverlauf, sozialen Faktoren und der Kriminalprognose ab. Zudem wird spätestens alle drei Jahre von einem externen Gutachter ein Gutachten erstellt, welches dazu Stellung nimmt, ob der Patient aus dem Maßregelvollzug entlassen werden kann oder nicht und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. Ein externes Gutachten kann aber auch früher erstellt werden, zum Beispiel wenn der Patient einen positiven Behandlungsverlauf aufweist. Dass es kein genaues Entlassungsdatum gibt, ist für die meisten erstmal sehr schwer.
Wie laufen die Behandlungen?
Viele erfahren erst bei uns, welche Erkrankung sie haben. Wir versuchen sie also im Rahmen der Therapie erstmal aufzuklären. Wir geben die notwendigen medizinischen, therapeutischen, pädagogischen sowie sozialen und lebenspraktischen Hilfen. Neben Einzelgesprächen mit Ärzten und Psychologen gibt es auch Maßnahmen, um den Patienten Regeln und Struktur zu geben. Dafür haben wir verschiedene Angebote: Es gibt unter anderem Arbeitstherapien, wozu auch eine Gartengruppe gehört, tiergestützte Therapien, oder Sporttherapien. Wir bieten aber auch die Möglichkeit an, Schulabschlüsse nachzuholen oder Deutschkurse zu machen.

So sehen die Gebäude aus, in denen die Patienten leben.
Copyright: Meike Böschemeyer
Wie reagieren Patienten auf das Klinikpersonal?
Das ist immer unterschiedlich. Gerade am Anfang ist es vor allem für die schwer, die selbst nicht einsehen, dass sie psychisch krank sind. Dann finde ich, ist es verständlich, dass sie ablehnend sind. Schön ist es, wenn man dann einen Wandel mitbekommt und das in Dankbarkeit für die Behandlung umschlägt. Obwohl ich natürlich von niemandem Dankbarkeit erwarte. Aber es ist schön zu sehen, wenn die Patienten Fortschritte machen und dann lernen, mit ihrer Erkrankung umzugehen.
Wie ist es, Menschen gegenüberzusitzen, die Schlimmes getan haben?
Wenn ich Patienten sehe, denke ich gar nicht über das Delikt nach. Ich sehe einen erkrankten Menschen und denke darüber nach, wie wir zusammenarbeiten können, damit es ihm möglichst schnell wieder bessergeht und er sich eine Zukunft aufbauen kann.
Kommt dabei manchmal Wut oder Ekel auf?
So etwas vielleicht kurz zu fühlen, ist glaube ich menschlich. Aber die Patienten sind eben psychisch erkrankt und dabei mache ich keinen Unterschied zu einer körperlichen Erkrankung.
Haben Sie Situationen erlebt, in denen Sie Angst hatten?
Ich würde eher sagen, dass man Respekt bekommt. Richtige Angst hatte ich noch nie, weil ich Gott sei Dank immer das Glück hatte, in einem starken Team zu arbeiten, in dem man sich aufeinander verlassen kann.
Gab es mal den Fall, dass jemand Sie angegriffen hat?
Ich wurde natürlich schon öfters verbal beschimpft, aber körperlich angegangen wurde ich noch nie. Ich muss aber sagen, dass die Pflege das wahrscheinlich eher erlebt, weil sie näher dran ist. Generell sind Angriffe eine Ausnahme.
Welche Sicherheitsvorkehrungen gibt es für das Personal?
Wir haben dafür alle dieses Gerät (Anm. d. Red.: ähnlich einem Walkie Talkie). Das muss immer aufrecht stehen. Wenn es für ein paar Sekunden liegt, geht ein Alarm in der Sicherheitszentrale los. Wenn man dann nicht auf die Nachfrage antwortet, kommt sofort jemand. Ich könnte dafür auch den roten Alarmknopf auf dem Gerät drücken.
Gibt es denn Sicherheitsleute?
Tatsächlich nennen wir das Alarmgruppe. Und die Alarmgruppe besteht aus Mitarbeitenden der Klinik, die dafür an dem Tag eingeteilt sind.
Darf dieses Team eine Art Waffe tragen?
Nein, weil wir keine Justizvollzugsanstalt sind, sondern normale Pfleger, Ärzte und Psychologen.
Gab es so eine Situation bei Ihnen?
Ich möchte eher etwas Positives nennen, was mich auch nicht mehr loslässt. In meiner vorherigen Klinik, der LVR Klinik Viersen, gab es einen Patienten, der dort schon um die 20 Jahre lebte. Jahrzehnte hatte der nur den Innenhof gesehen. Dann ging es ihm plötzlich besser und wir konnten mit ihm in die Cafeteria. Das mag sich banal anhören, war aber ein großer Fortschritt und für alle sehr schön.
Welche Erkrankungen haben die Menschen, die hier leben?
Das Häufigste bei uns ist tatsächlich die Psychose. Bei dieser Erkrankung leiden Menschen unter Halluzinationen, hören deshalb zum Beispiel Stimmen oder sehen Dinge, die nur sie sehen können. Sie haben manchmal auch Wahnvorstellungen und fühlen sich verfolgt. Wir haben hier auch Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung oder mit einer Intelligenzminderung.
Sie geben als Gutachterin Ihre Einschätzung, ob eine Person „schuldfähig“ oder „schuldunfähig“ ist. Wie schwer ist diese Aufgabe?
Das ist schon sehr anspruchsvoll, aber auch faszinierend. Ich mache das je nachdem, wann ein Gericht anfragt. Weil ich gerade meine neue Tätigkeit als Chefärztin aufgenommen habe, nehme ich aktuell nichts an. Es kommen aber sonst bestimmt zwei Anfragen pro Monat. Es ist also ein sehr großer Bedarf da.
Wie lange beschäftigen Sie sich mit einem Fall?
Das kommt darauf an, wie komplex der Fall ist. Im Durchschnitt sind es um die 30 Stunden. Man liest die Akten, redet mit dem Patienten und schreibt schließlich das Gutachten. Diesen Aufwand hat die angeklagte Person aber auch verdient. Es steht dabei viel auf dem Spiel.
Haben Sie schonmal eine Person erlebt, die schlichtweg böse schien? Die eine Tat begangen hat, hinter der keine Störung oder kein Trauma steckte?
Ich finde den Begriff „böse“ schwierig. Aber aus meiner Sicht gibt es keine komplett bösen Menschen.

Das Gebäude liegt zwischen einem Waldabschnitt und einem Wohngebiet.
Copyright: Meike Böschemeyer
Was könnte Menschen in so einem Fall also antreiben?
Es gibt eine Persönlichkeitsstörung namens Psychopathie. Diese Menschen sehen die Welt anders und denken oft, dass ihnen mehr zusteht als anderen. Sie sind auch weniger zu Empathie fähig. Die Psychopathie ist aber keine psychiatrische Diagnose. Solche Personen kommen im Falle einer Verurteilung also in eine Justizvollzugsanstalt.
Was möchten Sie als Chefärztin für Ihre Patienten erreichen?
Ich fände es schön, wenn die forensische Psychiatrie oder generell auch die Psychiatrie entstigmatisiert werden würde. Wir möchten, dass die Patienten, die ja nichts dafürkönnen, dass sie psychisch krank geworden sind, und unter diesem Einfluss eine Straftat begangen haben, wieder in die Gemeinschaft integriert werden. Das sind normale Menschen, die leider psychisch krank sind. Ich finde, jeder hat eine zweite Chance verdient und dass es traurig ist, wenn man nur auf Straftaten, und nicht auf den Menschen dahinter blickt.
Was sollte sich noch im Bereich der forensischen Psychiatrie ändern?
Wir sind seit längerem überbelegt, weil sehr viele Menschen Delikte im schuldunfähigen oder vermindert schuldfähigen Zustand begehen. Die Gerichte wenden sich nach der Anordnung der Unterbringung an die zuständigen unteren Maßregelvollzugsbehörden. In NRW sind das der LVR und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die dann die Verteilung auf die entsprechenden forensischen Kliniken organisieren. Die Überbelegung erschwert die Therapie. Auf unserem Gelände steht deshalb schon eine Containerstation, die wir bald eröffnen.
Wo setzt man an, um die Lage zu verbessern?
Ich denke natürlich bei der Prävention, also den Möglichkeiten von psychiatrischer Behandlung, bevor eine erkrankte Person sich strafbar macht.