Frankfurt/Main – Ob auch ihr Ehemann bei den Spielen der Frauen-Europameisterschaft in England auf der Tribüne sitzt? „Wehe, wenn nicht...”, sagt Martina Voss-Tecklenburg und hebt mehr lachend als drohend ihren Zeigefinger.
Bauunternehmer Hermann Tecklenburg ist - natürlich - „ihr größter Fan”. Sein Daumendrücken vor Ort kann die Bundestrainerin gebrauchen. Am 3. Juli reist die 54-Jährige nach ein paar freien Tagen mit den deutschen Fußballerinnen zur EM. Für Voss-Tecklenburg ist es das zweite großes Turnier als Verantwortliche der DFB-Auswahl - und sie muss liefern.
Trotz des Drucks will die 125-fache Nationalspielerin und frühere Schweizer Auswahltrainerin das Turnier auch genießen. „Diese EM wird aus meiner Sicht großartig werden. Ich hoffe, dass viele Lust haben, dieses Fest mitzufeiern”, sagt Voss-Tecklenburg.
„Sie sieht die Dinge immer realistisch”
Ihre internationale Premiere als DFB-Coach endete vor drei Jahren bitter: Bei der WM in Frankreich scheiterten die deutschen Frauen im Viertelfinale an Schweden und verpassten damit auch die Olympischen Spiele in Tokio. Fehler von der Bank wurden Voss-Tecklenburg damals vorgeworfen.
„Sie versteht sehr, sehr viel vom Fußball - auch vom Männer-Fußball”, sagt der langjährige Leverkusener Bundesliga-Manager Reiner Calmund. Der 73-Jährige ist allerdings nicht ganz unbefangen: Calmund war Trauzeuge, als die frühere Nationalspielerin Voss 2009 Tecklenburg heiratete. „Sie sieht die Dinge immer realistisch. Sie ist keine Traumtänzerin”, erklärt Calmund. Die Vorrunde bei der EM mit Spielen gegen Dänemark (8. Juli), Spanien (12. Juli) und Finnland (16. Juli), das weiß nicht nur er, „wird mit Sicherheit kein Selbstläufer”.
Bierhoff: „Wir haben totales Vertrauen”
Durch die beiden ersten Corona-Jahre kam Voss-Tecklenburg mit ihrem Team mit vielen Erfolgserlebnissen gegen selten wirklich fordernde Gegner. Personell geschwächt gab es dann beim EM-Vorbereitungsturnier im Februar in England ein 1:1 gegen Spanien sowie Niederlagen gegen Kanada und England - und zuletzt das unerwartete 2:3 in Serbien in der WM-Qualifikation.
„Es ist ein recht junges Team, das zuletzt bei dem einen oder anderen Ergebnis ein paar Fragen offen gelassen hat”, sagt DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der auch für die Frauen verantwortlich ist. „Aber wir haben totales Vertrauen und wissen, dass auch bei diesem Turnier Deutschland eine wichtige Rolle spielen will.” Er wisse auch, „dass Martina das mit ihrem Team enorm akribisch angeht”. Die Chefin selbst wünscht sich, dass „dieser Funke überspringt nach Deutschland, dass wir tatsächlich ein großes Fußballturnier vor uns haben - und das ist nicht die WM in Katar, sondern das ist die EM in England”.
Gleich drei Trainingslager hat Voss-Tecklenburg in der Vorbereitung mit dem Rekord-Europameister absolviert. „Offensiven und dynamischen Fußball” will sie spielen lassen. Aber auch sie weiß natürlich: „Wir müssen erstmal durch die Gruppenphase kommen.” Die Zeiten, in denen die DFB-Frauen serienweise Titel holten, sind längst vorbei.
„Martina ist da erfrischend unverklemmt”
Voss-Tecklenburgs Vertrag beim DFB läuft bis zur WM 2023 in Australien und Neuseeland. Mit dem Verband verbindet sie eine überaus wechselhafte Geschichte: Viermal war sie als Spielerin Europameisterin, 1995 auch Vize-Weltmeisterin. Dass sie nach der Geburt ihrer Tochter Dina zurück ins Nationalteam kehrte, war damals alles andere als selbstverständlich. Seit März ist Voss-Tecklenburg sogar stolze Oma eines Mädchens.
Die Bundestrainerin sitzt im Aufsichtsrat von Fortuna Düsseldorf und lebt mit ihrem Mann im niederrheinischen Straelen. Hermann Tecklenburg verriet in der „Bunte” schon mal, dass seine 20 Jahre jüngere Frau es war, die ihm einst den Heiratsantrag machte: „Martina ist da erfrischend unverklemmt. Sie ist nicht so altmodisch, darauf zu warten, dass der Antrag vom Mann kommt.”
Ihre Karriere als Nationalspielerin ging vor den Olympischen Spielen 2000 in Sydney unvermittelt zu Ende. Wegen eines Streits mit ihrer damaligen Lebensgefährtin und Mannschaftskameradin Inka Grings flog Voss aus dem Kader von Bundestrainerin Tina Theune-Meyer. Später bekam sie dennoch ein Abschiedsspiel vom Verband. Und viel später sagte sie in einem „Spiegel”-Interview: „Heute weiß ich, dass ich nie mehr mit einer Frau zusammenleben werde. Ich stehe auf Männer.”
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