- Auch Köln war in den 1920er-Jahren und folgenden geprägt von Lebenslust, politischen Unruhen und Kriminalität.
- In unserer Serie „Babylon Köln“ schildern wir Kriminalfälle der Zeit.
- SS-Führer Kurt Conrad wird in dieser Folge überführt.
Köln – Erschossen worden war 1926 schon sein Bruder. Nun, so erzählte ein beunruhigter Anton Claasen seinen Freunden, drohe ihm sein Nachbar Kurt Conrad, man werde auch ihn irgendwann erschießen. Claasen und Conrad wohnten beide in der Melchiorstraße 11, der eine im Hinterhaus, der andere im Vorderhaus, und lieferten sich regelmäßig politische Streitereien.
Der Arbeiter Anton Claasen war zwar kein eingetragenes Parteimitglied, sympathisierte aber stark mit den Kommunisten. Einmal Kommunist gewesen war hingegen der Mechaniker Kurt Conrad. Dann aber war er dort, wohl wegen Unterschlagungen, ausgeschlossen worden. Also änderte Conrad seine Gesinnung und brachte es bei den Nationalsozialisten bis zum Führer in der Schutzstaffel, der SS.Gegen zwei Uhr morgens verließ der 28-jährige Anton Claasen in der Nacht auf Donnerstag, 4. September 1930, gemeinsam mit drei Freunden die Wirtschaft Küster, Balthasarstraße 25, Ecke Kasparstraße, und wankte stark alkoholisiert heimwärts. Hatte Conrad ihm aufgelauert?
Zeugen wollten jedenfalls gesehen haben, wie jemand kurz vor Claasens Ankunft schnell in Conrads Wohnung im Hochparterre gelaufen war, um Sekunden später wieder herauszukommen. War das Conrad selbst, der seinen Feind kommen sah und seine Waffe aus dem Schlafzimmer holte, in dem seine Familie lag? Eine im Haus wohnende Zeugin berichtete, sie habe in ihrem Zimmer gelegen und Conrad zweimal rufen gehört: „Willste noch ens frech sin?!“
Ein Schuss, mitten ins Herz
Dann habe es auch schon laut geknallt. Als aufgeschreckte Anwohner aus den Fenstern schauten und auf der Straße zusammen eilten, fanden sie Anton Classen quer vor der Haustür liegen, den Kopf auf einer Stufe, getötet von einem Schuss aus einer schweren Armeepistole, der ihn mitten ins Herz getroffen hatte. Den 37 Jahre alten Conrad sah man unter der Schar der Schaulustigen, als die Polizei am Tatort eintraf. Weil jedoch die Aufmerksamkeit irgendwann auf ihn fiel, versuchte er zu fliehen, konnte aber letztlich gegen 9 Uhr morgens verhaftet werden. Er stritt alles ab. „Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten fanden wir“, so berichtete aber später Kriminalkommissar Hugo Brückenhaus vor Gericht, „im Küchenschrank einige Dolche und Seitengewehre und die Pistolentasche gleich vorne in dem Schlafzimmer auf der Wäsche.“Damit nicht genug. Im Keller Conrads fand die Polizei einen illegalen Sprengstoffvorrat, der noch aus Kriegszeiten stammte.
Schon vor der Tat hatte die NSDAP für den Abend dieses 4. Septembers zur Versammlung eingeladen. SA und SS sammelten sich um 19 Uhr vor dem Vereinslokal „Mainz“ in der Helenenstraße 9. Mit etwa 150 Mann zogen sie von da geschlossen erst zum Heumarkt und dann über die Hängebrücke hin zum Böhmer'schen Saal in der Kalker Hauptstraße 216.
„Die Bürgersteige der Kalker Hauptstraße waren an beiden Seiten von zahlreichen Kommunisten besetzt, die zum Teil gegen die anmarschierenden Nationalsozialisten eine drohende Haltung einnahmen, aber angesichts des starken Polizeiaufgebotes nicht tätlich zu werden wagten“, schreibt der Polizeipräsident im Bericht für den Regierungspräsident. Vor 300 Personen sprach schließlich Josef Grohé, Chefredakteur des Westdeutschen Beobachters, unter anderem über den armen Conrad, jenen Vater von fünf Kindern, der nicht wisse, wie er seine Familie ernähren könne und mit seiner Familie in ganz kleinen Räumen wohnen müsse.
Wegen Hetze von kommunistischer Seite habe Conrad nachts nicht mehr ruhig zu Frau und Kindern zurückkehren können, habe bei Freunden die Nächte zubringen müssen und sich erst am Tage heimschleichen können. Oder er sei gezwungen gewesen, einen Sturmtrupp von Kameraden mitzunehmen, die ihn auf Umwegen nach Hause gebracht hätten. In der vergangenen Nacht aber sei Conrad allein nach Hause gegangen, als siebzehn bis achtzehn Kommunisten mit erhobener Pistole auf ihn eingestürmt seien. Einen von ihnen habe er da am Kragen gefasst, ihm seine Pistole entrissen und ihn niedergeschossen.
Zuegen beteuern völlige Ruhe
Diese Schilderung Josef Grohés, die im Saal laute Beifallsstürme ausgelöst hatte, brachte schließlich auch Kurt Conrad im Verhör zu Protokoll. Merkwürdig nur, dass niemand in der Gegend vorher oder nachher auch nur die geringste Bewegung auf der Straße bemerkt hatte. „Es herrschte“, versicherte ein Zeuge vor Gericht, „völlige Ruhe!“ Und wenn Conrad, wie er behauptete, aus drei Metern Entfernung abgefeuert hatte, warum wies dann die Jacke des Toten in der Nähe des Durchschusses Pulverkörnchen auf? Die bewiesen doch, dass der Schuss aus einer Entfernung von mindestens 10 Zentimetern, höchstens aber 40 bis 45 Zentimeter abgegeben worden sein muss.
Obwohl der Erste Staatsanwalt, Dr. Otto Ranker, beim Prozess in seinem Plädoyer argumentierte, es handle sich bei der Angelegenheit keineswegs, wie man vermuten könnte, um eine politische Sache, sondern um ein rein persönliches Motiv, inszenierte sich Kurt Conrad während der Verhandlung als Nazi-Märtyrer. Niemand habe gesehen, klagte er in seinem Schlusswort an die Geschworenen, was er in der langen Untersuchungshaft seelisch gelitten habe.
Nazis salutierten, als er abgeführt wird
Er sei von seinem obersten Führer, von Adolf Hitler selbst, nach genauester Prüfung seiner Persönlichkeit auf seinen Posten berufen worden, er würde als Familienvater niemals vergessen haben, was er seinen Angehörigen schuldig sei, und die Geschworenen hätten an seiner Stelle genau gehandelt wie er.
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Das sah das Gericht anders. Schon 22.45 Uhr war es, als am Dienstag, 31. März 1931, das Urteil verkündet wurde: Sechseinhalb Jahre Zuchthaus. Nationalsozialisten salutierten ihrem Kölner Führer mit erhobener Rechten, als man ihn abführte.
Seiner Frau, die zusammengebrochen aus dem Saal wankte, trug man einen Blumenstrauß hinterher. Vor dem Justizgebäude am Appellhofplatz hatte die vorsorglich bereitstehende Schutzpolizei alle Mühe, eine handgreiflich werdende Menge zu zerstreuen, die „Nieder mit der roten Justiz!“ skandierte.
Im März 1933 verfügte die Verordnung des Reichspräsidenten über die Gewährung von Straffreiheit, dass alle Gesetzesübertretungen, die „im Kampf für die nationale Erhebung des deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampf für die deutsche Scholle“ begangen worden waren, zu begnadigen seien. Auch Kurt Conrad wurde aus dem Zuchthaus Rheinbach entlassen.