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Rundschau-Serie WohnträumeStahlhaus am Bahndamm

Lesezeit 3 Minuten

Ein offener Wohntraum: Sibille Wirtz und Manfred Giebel mögen nicht gern zugestellte Räume. (Bild: Schmülgen)

Das Stahlhaus liegt versteckt am Bahndamm. Wenn man den Ausläufern der wuchernden Weinpflanze von der Aachener Straße um die Ecke in die Moltkestraße folgt, durch die unscheinbare Toreinfahrt Nummer 77a geht, dann steht man an den Wurzeln des High-Tech-Refugiums für Großstadt-Dornröschen: ein gläsernes Loft zwischen Backsteinmauern. Der dort vor 17 Jahren gepflanzte wilde Wein führt mittlerweile wie eine grüne Spur durchs Belgische Viertel zum früheren Schrott-Parkplatz.

Auf einem Garagen-Flachdach erhebt sich der Kubus aus schwarzem Stahl, mit Glasfronten und Trapezblechdächern. Großzügig und offen. "An dem Grundstück wäre wohl jeder andere auf der Suche nach einem Platz für einen Neubau vorbei gegangen", sagt Sibille Wirtz (52), während ein Zug vorbeirauscht. "Straßenverkehr ist lauter", findet die Professorin für Architektur an der Universität Siegen. Sie wohnt hier mit ihrem Mann, Bauingenieur Manfred Giebel, und dem 17-jährigen Sohn. "Wir hatten ein urbanes, normales Viertel gesucht - und unsere Oase gefunden. Es ist spannend! Ich könnte nie in einer Reihenhaussiedlung wohnen. Hier ist auch das Klima und die Durchlüftung gut." Das "coole" Haus hat nicht nur Bewunderung und einen Preis gewonnen, sondern auch manch irritierte Reaktion hervorgerufen. Nach der Taufe des Sohnes war auch der Pfarrer zur Feier eingeladen. Als der Kirchenmann in der Wohnhalle stand, sagte er: "Dann hamses ja geschafft!" Was geschafft? "Na, da haben Sie auch die letzte Gemütlichkeit verbannt:" Andere fragten: "Wo ist denn euer richtiges Wohnzimmer?"

Was sich für die einen vielleicht "falsch" anfühlt, ist für die Familie im Glashaus genau das Richtige. Sibille Wirtz entdeckte das Areal in der Zeitung. Die unterkellerte Zufahrt ließ einen Betonbau nicht zu: Zu schwer. "Deswegen haben wir eine Leichtbauweise gewählt", so die Architektin, die sich nach der Projektleitung des Baus der Klinik am Ring vor knapp 20 Jahren selbständig machte. Das Haus ist über den Hof mit Apfelbaum-Wiese zu erreichen. Die Gittertreppe führt zur großen Terrasse, am Bahndamm gesäumt vom Bürobau. Quer dazu liegt das Privathaus mit der 3,80 Meter hohen Wohnhalle und 10-Meter-Fensterfront, mit Blick auf Hofnachbarn und Hortensien. Ein eingeschossiges Loft mit Stahltreppe, schlichten Möbeln, Designklassikern. Esstisch, Flügel, Musikanlage. Ein Ecksofa ist die einzige Kuschelecke. Kunstobjekte sind Hingucker: Ein Hirsch (nicht röhrend) hängt als schwarz-weißes Foto-Triptychon an der Wand. Die Industrie-Küche - aus Stahl.

Auf einem der drei Hocker aus Zedernholz fällt ein Motorradhelm aus der Ordnung. "Der gehört unserem Sohn", sagt Sibille Wirtz und räumt lächelnd ein, dass man schon sehr diszipliniert wohnen muss, damit so wenig herumliegt. . . . "Falls Sie Schränke vermissen: Wir haben hier eine Regel: Für jedes neue Stück muss ein altes verschwinden." Das führe nicht (mehr) zu Konflikten. In der oberen Etage hat der Sohn im eigenen Zimmer seine eigene Ordnung, die Eltern haben ihren Bereich.

Die Familie liebt das Viertel mit Grüngürtel, Aachener Weiher, gemischter Bevölkerung. Auch wenn es mittlerweile zu "in" sei und zu teuer. "Wir waren wohl die ersten hier, die solch ein Grundstück neu genutzt haben." Die Fachfrau nicht nur für Baulücken konzipierte mit Studenten das "Bücherbüdchen" im Stadtgarten, baute eine Villa in der Marienburg und Siedlungshäuser. Urbaner Lifestyle ist Trend. Immer mehr zieht es in die City. Dafür hat die Professorin, die gerade neue Wege wie das Bauen mit Plastik erforscht, viel Verständnis. Allerdings seien die Preise für junge Familien kaum mehr zu bezahlen. Mit Blick auf Bausünden ist für sie etwa das Neubaugebiet Widdersdorf "der Untergang der Baukultur", ohne Individualität. "Die Menschen haben die Stadt wieder entdeckt, weil sie gewachsene Viertel mit Geschichte mögen."