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Ratgeber GesundheitWas hilft wirklich gegen Schluckauf?

Lesezeit 5 Minuten

Nase zu und durch - wir geben Tipps gegen Schluckauf. (Bild: Fotolia)

Sobald der Lehrer vor einer Klasse zu hicksen begann, nahm das Unglück seinen Lauf. Der erste Schüler fing an zu kichern, andere steckten grinsend die Köpfe zusammen. Nahm ihn überhaupt noch jemand ernst?

Die aufkommende Panik des Lehrers führte dazu, dass sich der Schluckauf erst recht verfestigte.

Diesen Fall beschreibt Dr. Jens Keßler von der Uniklinik Heidelberg, der sich seit Jahren mit dem unfreiwilligen Laut befasst. Das Phänomen des mal peinlichen, mal lustigen Geräuschs ist auch für die Medizin „eine harte Nuss“.

Der „Hicks“ kommt genau 35 Millisekunden, nachdem sich das Zwerchfell abflacht und Luft in die Lungen strömt. Ein blitzschneller Reflex verschließt die Stimmritze. „Der Kehlkopf klappt die Luftröhre zu“, beschreibt Professor Gereon Fink von der Neurologischen Klinik der Uniklinik Köln. Den ersten Schluckauf hat der Mensch schon, wenn er noch winzig klein im mütterlichen Fruchtwasser dümpelt. Vor der Geburt meldet er sich sogar am häufigsten, sagt Experte Keßler: „2,5 Prozent seiner Zeit im Mutterleib hickst das Kind.“

Das nehme mit den Jahren ab. Für den Anästhesisten die wahrscheinlichste Theorie über den Sinn des Schluckaufs: Der Reflex könnte die Atemmuskulatur der Kleinsten trainieren.

Andere Mediziner wie der Neurologe Fink nehmen an, dass der Schluckauf Ungeborene und Säuglinge davor schützt, dass Flüssigkeit „in den falschen Hals“ gelangt. Für Erwachsene jedenfalls besitze der Schluckauf keine Funktion, darüber sei sich die Wissenschaft einig.

„Ein motorisches Programm wird abgerufen, das wir gar nicht mehr brauchen“, sagt Fink. Trotzdem hicksen die meisten Menschen von Zeit zu Zeit. Bei dem gelegentlichen Schluckauf ist häufig der Zwerchfellnerv, der Nervus phrenicus, gereizt. Dieser Nerv verbindet das Zwerchfell mit dem Gehirn; an der Halswirbelsäule tritt er ins Rückenmark ein. Ein übervoller Magen, manchmal in Kombination mit Aufregung oder Stress, bringt den Nerv so in Wallung, dass der Hicks-Reflex ausgelöst wird. Das geschieht meist, weil zu schnell oder zu viel gegessen wurde. Auch sehr kalte oder sehr heiße Nahrung kann den Magen aufblähen, ebenso wie stark kohlensäurehaltige Getränke oder Alkohol. Aus diesem Grund hickst der Betrunkene im Witz auch immer. Empfindliche Personen, die öfters an einem peinlichen Schluckauf leiden, sollten zur Vorbeugung möglichst kleine Portionen verzehren und kohlensäurehaltige Getränke meiden. Wer zudem unter saurem Aufstoßen leidet, könnte sich mit Magensäurehemmern helfen.

Aber was hilft, wenn man von Schluckauf plötzlich übermannt wird? Der Mediziner Fink fasst zusammen: „Hausmittel ergeben Sinn, wenn sie die Atmung beeinflussen.

Man kann eine Minute die Luft anhalten oder in einem Zug ein Glas Wasser trinken.“ Oder der Schluckauf-Geplagte atmet in eine Tüte aus und ein. Dadurch entsteht ein leichter Sauerstoffmangel im Blut und der Körper stellt das Zwerchfell ruhig. „Atmen ist wichtiger als essen“, erklärt Fink.

Doch aus eigener Erfahrung weiß er: „Was dem einen hilft, ist bei anderen wirkungslos.“ Betroffene können ebenso versuchen Nervenregionen, die mit dem Nervenkreislauf zusammenhängen, zu „kitzeln“. Fink gibt den Tipp, am hinteren Halsmuskel zu zupfen oder an der herausgestreckten Zunge zu ziehen.

Helfen können auch gezielte Ablenkungsmanöver, ganz besonders bei Kindern. Keßler empfiehlt zu fragen: „Was hast du letzte Woche Dienstag gegessen?“ Oder zu versuchen, von der gegenüberliegenden Seite eines Glases zu trinken. Das lenkt die ganze Aufmerksamkeit auf das ziemlich unmögliche Unterfangen.

Meistens kann man auch auf Zeit spielen - plötzlich ist der Hicks verschwunden. Das macht es allerdings schwierig, unsinnige Tipps zu entlarven. Keßler erklärt: „Alle haben mit Sicherheit mal irgendjemandem geholfen. Im Gedächtnis geblieben ist mir der kuriose Tipp, bei Mondschein hinter einen Felsen zu spucken. Allerdings könnte es auch sein, dass ohne Mond oder ohne Felsen der Schluckauf auch verschwunden wäre, wer will das beweisen?“

Doch nicht immer arbeitet die Zeit für einen: Es gibt Menschen, bei denen der Schluckauf stunden- oder wochenlang anhält. Zu 90 Prozent sind die Verzweifelten Männer; manche können über Tage und Nächte hinweg nicht mehr essen oder durchschlafen. Dann wird die Krankheit lebensbedrohlich; Betroffene werden depressiv, manche sogar selbstmordgefährdet.

Fink rät, dann einen Arzt aufzusuchen, wenn der Schluckauf über Monate immer wiederkehrt und als quälend empfunden wird, etwa weil der Bauch schmerzt.

Weil die Beschwerden am häufigsten vom Magen oder der Speiseröhre ausgehen, sollte zuerst ein Internist aufgesucht werden.

Findet dieser keine Ursache, empfiehlt sich der Besuch beim Neurologen. Zu Keßler ins Schmerzzentrum der Heidelberger Klinik für Anästhesiologie kommen viele Fälle, die zuvor von Pontius zu Pilatus gelaufen sind: „Diese Patienten werden von den Ärzten oftmals nicht ernst genommen“. In der Heidelberger Klinik landen jedes Jahr 70 bis 80 chronische Fälle.

Dort können sich ratlose Ärzte und Patienten auch telefonisch beraten lassen. Auslöser bei den Dauergeplagten ist häufig eine Magenschleimhaut-Entzündung oder eine Störung entlang des Nervs, der das Zwerchfell mit dem Gehirn verbindet. In langjähriger Praxis stieß Keßler auf weitere Ursachen: Zum Beispiel eine beginnende Multiple Sklerose, einen Schlaganfall, eine vergrößerte Schilddrüse, Tumore oder einen Herzinfarkt. Zunächst wollen die Mediziner die körperliche Ursache wie eine Magenschleimhaut-Entzündung aufspüren und behandeln. Zudem beinhaltet das „multimodale Konzept“ der Uniklinik Heidelberg auch Entspannungsübungen, Verhaltenstraining oder Psychopharmaka. Erst wenn es der eingangs erwähnte Lehrer schafft, den aufkommenden Stress beim ersten Hicks zu bewältigen, kann er den Teufelskreis durchbrechen.

Nicht immer lässt sich jedoch eine Ursache finden. Dann konzentriert sich Anästhesist Keßler auf den Reflex. Er versucht ihn mit Muskelentspannung, Akupunktur oder Anti-Epileptika auszuschalten. Als letztes Mittel kann er den verantwortlichen Nerv ultraschallgezielt mit lokalen Betäubungsmitteln blockieren. Damit durchbricht er den Reflexbogen. Mit der zeitweisen Stilllegung kann dann endlich Ruhe einkehren.