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„Ich wollte doch nur leben“

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REFRATH. Die Hölle kam unerwartet an diesem 28. Juli 1995.

Es war ein ganz normaler Sommertag in der City. Bis um 10.40 Uhr. Reiseleiterin Lieselotte Klein, damals 33 Jahre alt, war mit 26 Touristen auf Stadtrundfahrt. Am Tanzbrunnen wollten sie das Dom-Panorama fotografieren. Leon B. veränderte alles.

Der 31-Jährige stand wortlos von seinem Platz auf, ging nach vorne und erschoss Busfahrer Raimund G. (26). Einfach so. Ohne Vorwarnung. Lieselotte Klein saß unmittelbar neben dem Opfer. „Ich wusste sofort, dass Raimund tot ist“, sagt sie.

Heute wird sie wieder hingehen, nach Deutz, an die Stätte des Grauens. Und sich an die Ereignisse erinnern. Wie in jedem Jahr hat sie sich den Tag freigenommen. Termine hat sie keine, bewusst nicht. „Für mich ist dieser Tag wie ein Geburtstag, den ich erleben darf“, sagt sie. Der Besuch am Tanzbrunnen ist ihre Form der Trauerarbeit.

Eine halbe Stunde war die junge Frau in der Gewalt des Geiselgangsters. Dann gelang ihr die Flucht. Sie schlug eine Scheibe im Fond des Reisebusses ein und sprang ins Freie. „Ich wollte doch nur leben, ja, das war meine Entscheidung.“

Heute kann Lieselotte Klein, Inhaberin des Refrather Bestattungshauses Klein & Mölder, darüber reden. Über den Attentäter, der den Bus kaperte. Über den erschossenen Busfahrer. Über die Geiseln, die mit ihr im Bus saßen. Und die Männer vom SEK, die die Geiseln befreiten. „Das sind meine Helden“, sagt sie. „Diese Männer haben für uns ihr Leben aufs Spiel gesetzt.“

Lieselotte Klein will Menschen Mut machen, die sich plötzlich in einer Ausnahmesituation wiederfinden. „Man kann damit leben“, sagt sie. Verdrängt hat sie die Ereignisse nicht: Sie erzählt von ihrer Intuition, sich als Dolmetscherin für den Attentäter zur Verfügung zu stellen. „Vielleicht habe ich gedacht, dass mir dann nichts passieren kann.“

Für den Täter holte sie den Fallschirm aus dem Gepäckraum. „Zu diesem Zeitpunkt hätte ich flüchten können“, erinnert sie sich. „Dann töte ich die Kinder hier im Bus“, habe ihr der Täter gedroht. „Wenn ich geflüchtet wäre, und den Kindern wäre etwas zugstoßen, hätte ich mein Trauma gehabt. Ein Leben lang.“

Geholfen hat ihr ein besonderer Lebensumstand. Mit 19 gründeten ihre Eltern ein Bestattungshaus in Refrath. Fortan sah sie sich konfrontiert mit Tod und Trauer. Sie spricht von „menschlichem Rüstzeug“, das sie in den Jahren danach erworben habe. „Es gibt das Böse, das habe ich vorher schon gewusst“, sagt die Bestatterin. „Eine harte Schule“, sagt sie. Aber genau das habe ihr an diesem Tag geholfen. „Es gibt keine Garantie fürs Leben. Alles kann sich von einer Sekunde zur nächsten ändern.“