Overath/Rösrath – Waren die Entbehrungen des Ersten Weltkrieges für die Städter bereits hart gewesen, die Inflationsjahre danach wurden zum Kampf ums Überleben. „1923 kam es in Köln bereits zu Plünderungen durch hungernde Menschen“, hat der Overather Eberhardt Dommer herausgefunden. Was lag da näher, als die schnelle Eisenbahnverbindung über Heumar ins Bergische zu nutzen, um dort das Nötigste zum Leben zu ergattern.
In Scharen kamen Anfang der 1920er Jahre die Hamsterer auch nach Overath. Die Ortspolizei sei machtlos gegen die Hungernden gewesen, die die Felder rund um den Ort geplündert hätten, so Dommer, der von einem regelrechten „Kartoffelkrieg“ spricht. Als dann die Bahnbehörde in Köln am 26. Oktober 1923 auch noch einen „Sonderzug zum Kartoffeleinkauf“ einsetzte, eskalierte die Situation. Einige Overather Bürger und Bauern lieferten sich regelrechte Straßenschlachten mit den Ankommenden, weil sie sie am Verlassen des Bahnhofsgeländes hindern wollten. In der blutigen Auseinandersetzung wurden ein Kölner erschossen, ein Overather Landwirt erschlagen sowie zahlreiche weitere Beteiligte verletzt.
Einen Tag später entbrannte abermals ein Kampf zwischen Hamsterern und Einheimischen. Diesmal siegten die Plünderer, besetzten den Bahnhof, enthoben den Bahnhofsvorsteher seiner Funktion und transportierten kurzerhand zehn Waggons mit geraubten Kartoffeln ab.
Franzosen griffen nicht ein
Da die französische Militärbehörde nicht eingriff, bildete sich in Overath schließlich ein bewaffneter Selbstschutz. Er bezog am 29. Oktober 1923 an den Ortsausgängen Stellung. Die Fahrgäste des Frühzugs wurden gleich zurück in den Zug gedrängt, das nächste Dampfross aus Köln fingen die Bewaffneten bereits im Bahnhof Honrath ab und zwangen den Lokführer dort zur Rückfahrt.
Der Ausnahmezustand im Aggertal entspannte sich erst, als die Militärbehörde die Bahnhöfe in Köln durch Schutzpolizei sichern und schließlich den Zugverkehr nach Overath und Bensberg vorübergehend einstellen ließ.
So ungeliebt die Fahrgäste der neuen Bahn in Krisenjahren waren, so begeistert empfing man sie, als sich die Zeiten nach der Währungsreform 1924 besserten. Jetzt kamen die Kölner insbesondere als Ausflügler ins Sülz- und Aggertal - und ließen so manche neue Reichsmark hier.
Ob eine Kahnpartie auf der Sülz, eine Wandertour mit Einkehr in Rösrath oder Schlittenfahren am Hoffnungsthaler Adelenhof, der unter Kölnern bald den Beinamen „Bergische Schweiz“ erhielt - die Domstädter suchten im Bergischen vor allem die Erholung in der Natur. Noch 1929 heißt es im Kölner Wanderbuch: „Die nähere Umgebung Kölns steht in dem Ruf, ziemlich reizlos zu sein.“ Kein Wunder: Zahlreiche großflächige Parks wie der Äußere Grüngürtel sind schließlich erst nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer angelegt worden.
Nonstop vom Kölner Hauptbahnhof ins Bergische
Gastronomen wie Gustav Bongert, der die „Wanderrast Adelenhof“ betrieb, freute das. Neben Wochenendausflüglern zählten in den 20er Jahren auch Kölner Großfamilien zu den Gästen des Hauses, die im Adelenhof die Ferien in der Sommerfrische verbrachten.
Um den Kölner Bahnreisenden zu ersparen, auf der rechten Rheinseite umsteigen, auf Anschlusszüge warten und für die Fahrt ins Bergische verschiedene Fahrkarten lösen zu müssen, setzten sich der Verkehrsausschuss des Kreises Mülheim sowie mehrere örtliche Verkehrsvereine Mitte der 1920er Jahre für die Einrichtung eines Eisenbahn-Rundverkehrs ins Bergische an Sonn- und Feiertagen ein.
Am 15. Mai 1927 rollte der erste Zug auf der durchgängigen Linie, die neben dem Kölner Hauptbahnhof vier weitere Stationen auf Kölner Stadtgebiet anfuhr, um dann über Mülheim nach Bergisch Gladbach und weiter über Bensberg ins Sülztal zu führen, wo der Zug wendete, um über Rösrath und Heumar zurück in die Domstadt zu fahren.
Fremdenverkehrsförderer schlugen wegen Tarifdschungel Alarm
Eigentlich sollte nun eine Fahrkarte pro Wagenklasse für die Benutzung des gesamten Rundverkehrs ausreichen. Einziges Problem: Auf der Rundverkehrsstrecke fuhren Züge in beiden Richtungen, was die Reichsbahn veranlasste, ein kompliziertes System von 172 verschiedenen Rückfahrkarten zu entwickeln. Neben Wagenklassen unterschied die Bahn auch, ob der Ausflügler für Hin- und Rückfahrt zwei mal die längere Strecke, zweimal die kürzere oder einmal die längere und einmal die kürzere nutzte.
Bei so viel Bürokratie schlugen die Fremdenverkehrsförderer schon im Vorfeld Alarm: Das Tarifsystem werde eine Abfertigung an den Schaltern unmöglich machen, monierten sie. Und erreichten immerhin, dass sich die Bahn mit 20 unterschiedlichen Fahrkarten begnügte. Ob's daran lag oder an der Anziehung der bergischen Sommerfrische - der Vorortrundverkehr wurde zum Erfolg. Noch 1937 erwähnt ihn der Rösrather Bürgermeister in einem Schreiben - zwei Jahre, nachdem man in der Sülztalgemeinde mit dem Bau des Freibads Hoffnungsthal einen weiteren Anziehungspunkt geschaffen hatte, für den bis heute Kölner mit der Bahn aufs Land fahren.