Cassius Turvey war fleißig, fröhlich und Aborigine. Der Teenager wurde nur 15 Jahre alt. Eine Gruppe weißer Männer griff ihn und andere indigene Jugendliche an, als sie auf dem Heimweg von der Schule waren. Der gewaltsame Tod hat eine Rassismusdebatte in Australien losgetreten.
Cassius Turvey wurde am 13. Oktober in einem Stadtteil von Perth in Westaustralien angegriffen. Der 15-Jährige war gemeinsam mit anderen Schulkameraden auf dem Heimweg von der Schule, als eine Gruppe weißer Männer in einem Auto neben ihnen anhielt. Ein 21-jähriger Mann soll aus dem Auto gesprungen sein und mit einer Metallstange auf den Teenager eingeschlagen haben. Der 15-Jährige starb zehn Tage später im Krankenhaus.
Vonseiten der Polizei heißt es, es werde derzeit noch untersucht, was die Gründe für den Angriff waren und vor allem, ob Rassismus dahinterstecke. Der westaustralische Polizeikommissar Col Blanch bat in einem Interview mit einem Radiosender, dass die Leute nicht über ein Motiv spekulieren oder „voreilige“ Schlussfolgerungen ziehen sollten. „Es könnte ein Fall von falscher Identität sein, es könnte ein Fall von falscher Ort zur falschen Zeit sein“, sagte er. Doch genau damit trat der Polizist, der sich später für seine Bemerkung entschuldigte, eine Welle der Empörung los.
Premierminister: „Eindeutig rassistisch motiviert“
„Wenn es der ‚falsche Ort‘ ist, mit seinen Kumpels von der Schule nach Hause zu gehen, wo ist dann der richtige Ort?“, fragte die indigene Journalistin Brooke Boney in einem Meinungsstück für die australische Tageszeitung „Sydney Morning Herald“. „Wenn ein schwarzes Kind nicht ohne Angst von der Schule nach Hause gehen kann, dann ist das keine Zivilgesellschaft“, schrieb Boney. „Das ist Gesetzlosigkeit. Das ist barbarisch. Das ist beschämend.“ Auch der australische Premierminister Anthony Albanese sagte, der Angriff sei „eindeutig rassistisch motiviert“ gewesen.
Der gewaltsame Tod von Cassius hat australienweit Trauer und Wut ausgelöst. Zehntausende nahmen in der vergangenen Woche an Mahnwachen für den Teenager teil. Seine Mutter Mechelle Turvey schrieb in einer Rede über ihren Sohn: „Er war gemeinschaftsorientiert, engagierte sich in einer lokalen Fußballgruppe und in zwei Basketballmannschaften. Er hatte so viel Respekt vor den Älteren. Er war das Herz und die Seele der Gemeinde.“ Cassius habe sich immer darum bemüht, dass die Gemeinde erkenne, dass junge Leute keine schlechten Menschen seien und Gutes tun könnten.
„Keine Gewalt im Namen meines Kindes“
Trotz ihrer Trauer appellierte die Mutter, die wenige Monate zuvor auch ihren Ehemann, den Vater von Cassius, nach einer Krebserkrankung verloren hat, für den Zusammenhalt der Gemeinde. Und sie sprach sich bewusst gegen Gewalt aus. „Ich will keine Gewalt mehr“, sagte Turvey. „Ich bin die einzige Person, die Gerechtigkeit für meinen Sohn bekommen kann.“ Sie forderte die Menschen auf, ihr beizustehen und zu ihr zu halten. „Ich bin wütend. Cassius‘ Freunde und Familie sind wütend.“ Aber sie wolle keine Form von Gewalt im Namen ihres Kindes.
Mechelle Turvey hatte ihren Sohn – wie viele andere Aborigine-Mütter im Land auch – immer wieder davor gewarnt, dass die Leute ihn anders ansehen würden, weil er ein kleiner indigener Junge sei. Die indigene Menschenrechtsanwältin Hannah McGlade betonte gegenüber lokalen Medien, wie wichtig es sei, Rassismus beim Namen zu nennen und anzuerkennen, welche Konsequenzen er habe.
Das sei entscheidend für den Abbau von Vorurteilen. „Es gibt nichts Wichtigeres, als die Realität zu sehen und damit umzugehen“, sagte sie. „Wir haben Kinder, die weinend aus der Schule nach Hause kommen, weil sie ausgegrenzt, gemobbt und angegriffen werden.“ Einer der Jungen, mit denen Cassius an dem Tag, an dem er angegriffen wurde, zusammen war, war erst 13 Jahre alt. Der indigene Schauspieler Ernie Dingo sagte während der Mahnwache in Sydney letzte Woche, dass der Junge sein Zimmer nicht verlassen wolle, weil er sich nicht sicher fühle, auf die Straße zu gehen.
Cassius Turvey: Tod ist kein Einzelfall
Der Tod des 15-jährigen Cassius ist zudem kein Einzelfall: Er brachte Erinnerungen an einen weiteren schrecklichen Angriff hoch, der sich 2016 ereignete. Damals tötete ein weißer Mann den 14-jährigen Aborigine-Jungen Elijah Doughty in der westaustralischen Stadt Kalgoorlie, indem er ihn mit seinem Geländewagen überfuhr. Der Mann dachte, dass der Junge zuvor sein Motorrad gestohlen habe. Der Mann wurde letztendlich nicht wegen Totschlags verurteilt, sondern wegen gefährlichen Fahrens mit Todesfolge. Er wurde nach 19 Monaten Haft auf Bewährung entlassen.
Zuletzt gingen Menschen in ganz Australien 2020 auf die Straße, um gegen Rassismus zu protestieren. Damals warf der Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA auch ein Licht auf den Rassismus, dem schwarze Menschen in Australien regelmäßig ausgesetzt sind. Damals ging es speziell auch um das Thema Polizeigewalt: Denn seit Jahren sterben auf dem fünften Kontinent überproportional viele indigene Menschen in Polizeigewahrsam und unter Haftbedingungen.
Und obwohl eine sogenannte Royal Commission die häufigen Todesfälle australischer Ureinwohner in Polizeigewahrsam bereits 1991 untersucht und angemahnt hatte, hat sich wenig verändert. So hat eine Analyse der australischen Ausgabe des „Guardian“ Ende 2021 ergeben, dass seit 1991 über 500 Aborigines in Polizeigewahrsam ums Leben kamen.