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Interview zur umstrittenen Umbenennung in Bonn„Guido-Westerwelle-Brücke passt ins Bild“

Lesezeit 7 Minuten
Viktoriabrücke

Die Viktoriabrücke wird nach einem Beschluss der Bezirksvertretung Bonn nun nach dem verstorbenen FDP-Politiker Guido Westerwelle benannt.

Eine Linguistik-Professorin beleuchtet aus sprachwissenschaftlicher Sicht die Umbenennung der Viktoriabrücke in Bonn.

Für reichlich Gesprächsstoff hat die Entscheidung der Bezirksvertretung Bonn gesorgt, die Viktoriabrücke in Guido-Westerwelle-Brücke umzubenennen. Was das aus sprachwissenschaftlicher Perspektive bedeutet, erläutert Claudia Wich-Reif, Bonner Professorin der Linguistik, im Gespräch mit Sascha Stienen.

Die Viktoriabrücke wird in Guido-Westerwelle-Brücke umbenannt. Was können Sie dazu aus sprachwissenschaftlicher Sicht sagen?

Claudia Wich-Reif: Aus fachlicher Sicht gehören die Brückennamen zur Namenforschung. Dabei beschäftigen wir uns mit Personennamen, Ortsnamen und allen anderen Typen von Namen, auch Namen von Objekten aller Art, die der Identifikation oder der Orientierung dienen. Über Brückennamen ist noch nie intensiv geforscht worden. Mit Straßennamen hat sich zum Beispiel mein Kollege Peter Glasner aus der Mediävistik beschäftigt. Er hat die Straßennamen Kölns untersucht.

Und wie verhält es sich aus Ihrer Sicht mit den Brücken?

Bei Brücken ist es so, dass die natürlich auch der Orientierung dienen. So haben wir in Bonn ja Brücken, die zwei Namen haben: Die Südbrücke und die Nordbrücke heißen auch Konrad-Adenauer- und Friedrich-Ebert-Brücke. Häufig ist es so, dass Straßen nach verstorbenen Personen benannt werden. Unsere drei Brücken, die nach Politikern benannt wurden, führen über den Rhein. Da zeigt sich die erste Abstufung. Man hat ja nicht die Friedrich-Ebert-Brücke in Guido-Westerwelle-Brücke umbenannt, sondern die Viktoriabrücke. Wenn wir nach Köln schauen, sehen wir eine größere Varianz. Da spielt dann auch Religion eine Rolle wie bei der Severinsbrücke, die nach dem Heiligen Severin benannt worden ist. Die Viktoriabrücke in Bonn ist schon einzigartig durch die Benennung nach einer Frau. Formal passt sie in das erwartbare Muster: Die Namensgeberin Victoria Adelaide Mary Louisa von Sachsen-Coburg und Gotha, die mit Kaiser Friedrich III. verheiratet war, ist im Jahr 1901 verstorben und die Straße, die da lag, wo die Brücke heute verläuft, wurde Viktoriastraße genannt. Dann wurde die Brücke nach der Straße benannt, die durch den Brückenbau verschwand.

Kritiker sagen, dass Guido-Westerwelle-Brücke ziemlich lang ist – fast schon ein Zungenbrecher.

Man kann sie ja auch Westerwellebrücke nennen, genau wie man von der Kennedybrücke spricht oder von der Adenauerbrücke. Ich habe auch mal nachgesehen, ob ich wirklich kuriose Fälle finde. Am Oberrhein gibt es eine Brücke, die war nach einem verstorbenen Bürgermeister benannt worden. Und dann hat man beschlossen, ihr zusätzlich noch den Namen eines weiteren bedeutenden Bürgermeisters zu geben. Ich meine die Alain-Foechterle-Erich-Dilger-Brücke.

Was sagen Sie zum Kontext der Umbenennung in Guido-Westerwelle-Brücke?

Die Vorgeschichte ist natürlich sonderbar. Man will eine Straße nach ihm benennen, aber die Anwohner sind damit nicht einverstanden. Natürlich hätte sich die Stadt darüber hinwegsetzen können. Aber eigentlich ist es schon gut, wenn man eine Einigkeit mit den Anwohnern herstellt, die sich ja mit ihrer Straße identifizieren. Wenn eine Straße umbenannt wird, muss man doch aufwendige Ämtergänge unternehmen und alle möglichen Leute über die Umbenennung informieren. Wenn man eine Brücke nimmt, ist das einfacher.

Komisch, dass man eine Brücke jetzt nach Guido Westerwelle benennt, die noch nicht mal fertig ist und die in der Vergangenheit auch schon für viele Schlagzeilen gesorgt hat, weil sie aufgrund falscher Kostenkalkulation unverhältnismäßig teuer wurde. Also ich bin jetzt nicht sicher, ob das zum jetzigen Zeitpunkt wirklich eine Ehrung ist. Außerdem: Genscher hat eine Allee bekommen, Guido Westerwelle kriegt eine Brücke? Soll damit etwas und – wenn ja – was soll damit symbolisiert werden?

Die Antragsteller haben das damit erklärt, dass er selbst ein Brückenbauer gewesen sei und zum Beispiel die deutsch-polnischen Beziehungen gestärkt habe. Und weil er hier in der Altstadt gewohnt und das Macke-Haus maßgeblich unterstützt hat.

Macke hat ja die Brücke öfter gemalt, allerdings noch als Viktoriabrücke. Man kann sich aber an neue Namen gut gewöhnen. Das sieht man immer wieder. Gerade nach dem Dritten Reich hat man vieles umbenannt.

Den Adolf-Hitler-Platz in Friedensplatz zum Beispiel.

Oder nehmen wir die große Umbenennungswelle, als die Mauer gefallen ist. Also so als Vorgang ist es jetzt nichts Ungewöhnliches. Meinetwegen kann man Westerwelle mit einem Ortsnamen ehren. Ich hätte es aber schöner gefunden, wenn man etwas Neues nach ihm benannt hätte. Ich finde aber auch das Gegenargument nicht richtig schlagkräftig, möglichst viele Bauwerke und Straßen jetzt nach Frauen zu benennen.

Jedenfalls wird in Bonn über das Thema diskutiert.

Man könnte positiv   formulieren: Die Guido-Westerwelle-Brücke als vierte Brücke, die nach einem Politiker benannt ist, passt ins Bonner Brücken-Bild, allein dass diese Brücke nicht so eine Bedeutung hat wie die Rheinbrücken. Wenn man es negativ bewerten will: Jetzt kriegt er eine Brücke, die über Eisenbahnschienen führt. Also formal ist nichts falsch gemacht worden. Und es war ja auch das richtige Gremium damit betraut und in Bezug auf den Straßennamen hat man das ja auch richtig gemacht, indem man nicht einfach gegen den Willen der Anwohner eine Straße umbenennt. Das finde ich gut. Hätte Genscher die Brücke bekommen, hätte ich mich weniger gewundert.

Passen Brücken und Politiker zusammen?

Die Brücken über den Rhein fallen auf. Und dass man die dann mit den Namen bedeutender Politiker belegt, hat sicherlich auch damit zu tun, dass Bonn Hauptstadt war. Interessant ist, dass man sich in der Forschung mehr aus rechtlichen und architektonischen Perspektiven mit Brücken beschäftigt. In puncto Namensforschung waren Brücken noch nicht im Fokus. Könnte ich einmal angehen.

Was fallen Ihnen denn noch für berühmte Brücken oder Brückennamen ein?

Die berühmtesten beziehen sich auf Orte: Wir haben die Rialto-Brücke, die Tower Bridge, die Ponte Vecchio. Diese Brücken sind also in der Nähe von X oder Y. Oder die Brücke überbrückt Z. Brücken berühmte Personennamen zu geben, ist dagegen kein so verbreitetes Phänomen. Und in der Namenforschung tauchen Brücken vor allem in Familiennamen auf. So etwas wie Brüggemann oder Brüggemeier wäre dann eine Berufsbezeichnung.

Es gab bei Schalke 04 mal einen Fußballspieler namens Ingo Anderbrügge.

Der hatte sicherlich Vorfahren, die an einer Brücke wohnten. Familiennamen waren ursprünglich Beinamen, mit denen man versucht hat, Leute näher zu charakterisieren, neben der Wohnstätte durch den Beruf oder eine Eigenschaft. Hildegard die Schneiderin wurde irgendwann Maria Schneider, Johann der Große wurde irgendwann Johann Groß. Familiennamen haben sich ab dem Spätmittelalter manifestiert. Später kam dann auch die Pflicht, dass jede Person einen Rufnamen und einen Familiennamen trägt.

Ich habe mal nach umstrittenen Umbenennungen gesucht. Das waren aber auch keine Brücken, sondern zum Beispiel der Ernst-Thälmann-Park in Berlin oder der Hindenburg-Damm auf Sylt. Und es werden ja vor allen Dingen auch Gebäude oder Institutionen nach bedeutenden Persönlichkeiten benannt wie die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität oder das momentan viel diskutierte Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium. Es kommt offenbar häufiger vor, dass bedeutende Persönlichkeiten Häusern zugeordnet werden. Wie auch bei Harry Potter. Aber das ist ja auch fiktional.

Fiktion orientiert sich an der Wirklichkeit. Aber da sieht man dann auch, dass es mehr Diskussionen über Häuser gibt, in denen bestimmte Tätigkeiten verrichtet werden oder in denen Einrichtungen situiert sind. Bei Westerwelle hat man das schon geschickt gemacht: Als man gemerkt hat, dass man mit einer Straße nicht gut weiterkommt, hat man etwas gewählt, was vermutlich zu wenig Diskussion Anlass gibt.

Man merkt auch, dass die Kommunalpolitiker sich schon eine ganze Weile damit beschäftigen und nun überlegt haben, wie sie aus der Nummer eigentlich wieder rauskommen.

Man hätte natürlich auch den Sitz der FDP nach ihm benennen können. Im Falle der Westerwelle-Brücke wird es sicherlich Leute geben, die sie weiter Viktoriabrücke nennen. Ganz abgesehen davon, dass es ja auch schon ein Aufwand ist, jetzt diesen neuen Namen überall einzupflegen, in Karten zum Beispiel.

In der Linguistik gibt es ja auch die Theorie von den Sprechakten. Der Akt einer Benennung ist demnach eine Sprachhandlung. Also: „Hiermit taufe ich dich auf den Namen Guido-Westerwelle-Brücke!“

Aber ich wüsste gar nicht, ob es auch für Brücken solche Taufakte gibt. Das kenne ich eigentlich nur von Schiffen, dass diese mit einem Festakt benannt werden.

Ich habe das bei einer Straße miterlebt, als ein Stück der Helmut-Kohl-Allee im Regierungsviertel in Petra-Kelly-Allee umbenannt wurde. Da wurde das Schild feierlich enthüllt.

Bei Brücken ist das Ver- und Enthüllen ja schon schwieriger ...

Sie haben aus Ihrem Büro ja auch einen ganz guten Blick auf die Brücke. Fahren Sie da selbst regelmäßig hinüber?

Eigentlich eher selten. Ich wohne in Beuel und gehe immer zu Fuß hierher – über die Kennedybrücke.