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Interview

SPD-Co-Chefin Saskia Esken
„Olaf Scholz tut alles, um einen gerechten Frieden zu erreichen“

Lesezeit 5 Minuten
Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD

Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD

Die SPD setzt auf umfangreiche Investitionen in Deutschlands Wirtschaft und eine Reform der Schuldenbremse. Eine stärkere Besteuerung von Spitzenverdienern und hohen Vermögen sieht Esken als notwendig an.

Zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl liegt die SPD in Umfragen bei 16 Prozent, die Union bei 32. Trotzdem glaubt die Partei von Kanzler Olaf Scholz an ihren Sieg. Wie soll das funktionieren? Im Interview mit Tobias Schmidt versucht SPD-Co-Chefin Saskia Esken das zu erklären.

Frau Esken, bei der Neuwahl dürfte die Partei mit dem besten Plan gegen die Wirtschaftskrise klar im Vorteil sein, oder?

So wird es sein. An vielen Küchentischen spielt die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz, aber auch um die Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft eine sehr wichtige Rolle. In der Industrie werden Jobs abgebaut. Zugleich wird der Fachkräftemangel zu einem immer größeren Problem. Es braucht also ein ganz breites Bündel an Maßnahmen, um Deutschlands Wirtschaft fit zu machen.

Was heißt „ein ganz breites Bündel“?

Das reicht vom Einsatz für international faire Wettbewerbsbedingungen für unsere Unternehmen über die Bereitstellung von kostengünstiger Energie und den weiteren Bürokratieabbau bis hin zur Mobilisierung von Milliardeninvestitionen für die Modernisierung und Digitalisierung. Dafür hat Olaf Scholz gerade einen Made-in-Germany-Bonus vorgeschlagen. Und wir haben ein umfangreiches Konzept zur Mobilisierung von Arbeitskräften. Die SPD ist sehr gut aufgestellt.

Na ja. Die SPD will Unternehmen zu Tarifverträgen zwingen, am Lieferkettengesetz festhalten, den Mindestlohn sowie die Steuern für Unternehmen und für Bestverdiener anheben. Wollen Sie mit einem Anti-Konjunkturprogramm die Wahl gewinnen?

Einspruch. Die Anhebung des Mindestlohns und insgesamt die Steigerung der Reallöhne ist nachweislich gut für die Konjunktur. Das stärkt die Kaufkraft, schafft Anreize zum Arbeiten, das gibt den Menschen Sicherheit, und alle Prognosen über Jobverluste haben sich als falsch erwiesen. Eine höhere Besteuerung von Spitzenverdienern und höchsten Vermögen ist für die Finanzierung des Gemeinwesens notwendig und auch ein Gebot der Gerechtigkeit. In den zurückliegenden Jahren wurde viel zu wenig in die Infrastruktur investiert, denken Sie an die maroden Brücken und Schienen und unsanierten Schulen. Also ja: die SPD will alle Kräfte mobilisieren, die wir haben, um das Land zukunftsfest zu machen. Auch durch einen höheren Beitrag der höchsten Vermögen und Erbschaften. Dabei bleiben wir aber nicht stehen. Mit einem Deutschland-Fonds werden wir durch öffentliche Absicherung deutlich mehr privates Kapital mobilisieren.

Olaf Scholz hat versprochen, mit ihm werde es kein „Entweder-oder“ geben: maximale Unterstützung für die Ukraine, zwei Prozent für die Aufrüstung der Truppe, stabile Renten, höhere Löhne, keine Abstriche beim Sozialstaat und bei der Gesundheitsversorgung. Hört sich das nicht auch für Sie zu schön an, um wahr zu sein?

Im Gegenteil. Wir sind ein starkes Land mit einer starken Wirtschaft und einer starken Gesellschaft. Das wollen wir bleiben und deswegen müssen wir das möglich machen! Wir müssen die Kräfte jetzt freisetzen und die notwendigen Mittel einsetzen, denn sonst drohen Spaltung und Zerfall. Wenn Rentnerinnen und Rentner dafür aufkommen sollen, dass wir der Ukraine helfen, dann ist doch klar, dass die Solidarität schwindet. Wenn wir sagen, sorry, wir haben unsere Infrastruktur vergammeln lassen, und deswegen haben wir jetzt kein Geld für Bildung, bringen wir die jungen Menschen um ihre Zukunftschancen. Wir müssen viele Mega-Herausforderungen gleichzeitig anpacken und können nicht sagen: Erstmal die Bundeswehr aufrüsten und danach alles andere.

Mit einer „moderaten“ Reform der Schuldenbremse, wie sie die Wirtschaftsweisen vorschlagen, also einer leichten Anhebung des Kreditrahmens auf 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung, wäre das nicht ansatzweise zu stemmen, oder?

Es reicht nicht aus, bei der Reform der Schuldenbremse an den Kommazahlen ein wenig zu verändern. Es braucht eine Grundsatzentscheidung, konsumtive Ausgaben anders zu behandeln als Investitionen in die Zukunft. Kein Privathaushalt füllt den Kühlschrank mit Krediten. Aber wenn’s zum Dach reinregnet, dann muss für die Sanierung im Zweifel ein Kredit aufgenommen werden. Dass bei den Staatsausgaben dabei nicht unterschieden wird, ist der Konstruktionsfehler der Schuldenbremse, und der muss korrigiert werden. Wenn wir das Land jetzt in Ordnung bringen, profitieren künftige Generationen. Wenn wir es nicht machen, droht Abstieg.

Schmerzhafte Strukturreformen bei Bürgergeld, Rente oder Gesundheitsversorgung braucht es nicht, um Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen?

Nicht Schmerzen und Verzicht sind der richtige Weg, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, sondern dass wir uns auf unsere Stärken besinnen: Innovation, Infrastruktur, Sozialpartnerschaft, Zusammenhalt. Der konsensuale Weg ist immer der Weg des Erfolges gewesen und wir sollten ihn nicht verlassen. Wir müssen Familien stärken, Frauenerwerbstätigkeit erleichtern, die Bildung besser und gerechter gestalten und vieles mehr. Das können wir schaffen. Aber dafür braucht es keine Schmerzen und kein „Entweder-oder“. Nicht jede Medizin muss bitter sein.

Zur Ukraine: In Berlin und Kiew wird Olaf Scholz für sein Nein zu Taurus-Lieferungen scharf kritisiert. Führt die Vorsicht nicht zu einer Verlängerung des Krieges, weil Putin immer weiter machen kann?

Die Vorstellung, durch Lieferung einer einzelnen Waffengattung könne dieser Krieg beendet werden, ist naiv. Die Besonnenheit des Kanzlers, seine Klugheit, die Dinge vom Ende her zu denken, hat in der Bevölkerung breite Zustimmung. Olaf Scholz tut alles, um einen gerechten Frieden für die Ukraine zu erreichen. Aber Putin ist derzeit zu keinen Verhandlungen bereit. Die Lieferung von Taurus an die Ukraine hat der Kanzler ausgeschlossen.

Im Rest der Republik fragen sich immer mehr Menschen, wie lange Deutschland die Ukraine noch mit so viel Geld unterstützen kann. AfD und BSW machen damit Wahlkampf. Macht Ihnen das Sorgen?

Es sind bei weitem nicht nur Anhänger von AfD und BSW, die sich sorgen, der Krieg könnte eskalieren und die sehr froh über die Besonnenheit des Bundeskanzlers sind. Nach wie vor gibt es eine hohe Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, die diesem völkerrechtswidrigen und sinnlosen Krieg ausgesetzt ist. Gleichzeitig führt Russland ja mit Desinformationskampagnen, Cyberattacken und Sabotageakten längst auch einen hybriden Krieg gegen andere Länder der freien Welt. Die Bedrohung, die von Russland auch für unser Land ausgeht, ist sehr ernstzunehmen. Insofern sind unsere Bürgerinnen und Bürger klug genug zu verstehen, dass die Ukraine nicht nur ihre eigene Freiheit, ihre eigene Demokratie verteidigt, sondern ein Stück weit auch die unsere.