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Interview

Rolf Mützenich im Interview
„Regieren ist wirklich außerordentlich schwierig geworden“

Lesezeit 6 Minuten
Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvorsitzender

Rolf Mützenich, SPD-Fraktionsvorsitzender

In vielen Sachfragen sind die drei Regierungsparteien in Berlin zerstritten. SPD-Fraktionschef Mützenich macht daher klare Ansagen an FDP und Grüne – aber auch an „seinen“ Kanzler Olaf Scholz.

Rolf Mützenich ist als SPD-Fraktionschef im Bundestag eine der mächtigsten Figuren im „Herbst der Entscheidungen“, den FDP-Chef Christian Lindner für die Ampel-Regierung ausgerufen hat. Wird die Koalition den Winter überhaupt noch erleben? Im Interview mit Tobias Schmidt stellt sich der Genosse aus Köln auch dieser Frage.

Herr Mützenich, Matthias Miersch statt Kevin Kühnert als Wahlkampfmanager. Ein linker General, der ganz anders tickt als Kanzler Olaf Scholz. Kann das gut gehen?

Davon bin ich überzeugt. Olaf Scholz und Matthias Miersch kennen sich gut und vertrauen einander. Matthias Miersch ist seit Jahren ein wichtiger Ratgeber in Energie- und Klimafragen. Und es ist gut, wenn sich in der Parteispitze verschiedene Denkrichtungen und Persönlichkeiten wiederfinden. Das war immer eine Stärke der SPD.

Miersch ist ein Gegner der Schuldenbremse, ruft laut nach einem Industriestrompreis, fordert einen energischen Kampf um Industrie-Jobs wie bei VW ...

Eine Reform der Schuldenbremse fordern neben Experten, Unternehmen und uns inzwischen ja auch die Unions-Ministerpräsidenten. Dass der Staat mehr in Wirtschaft, Infrastruktur und Bildung investieren muss, ist Konsens unter fast allen Ökonomen. Und Olaf Scholz hat erkannt, dass die Wirtschaft das Thema des Kanzlers ist. Ich erwarte in den kommenden Wochen Vorschläge, wie Regierung und Sozialpartner mehr für die Konjunktur, für Jobs und Infrastruktur tun können. Wir sind zwar als exportorientierte Nation besonders in den Sog der globalen Entwicklungen geraten. Aber wir müssen und können unsere eigenen Kräfte stärken, durch eine bessere staatliche Investitions- und Angebotspolitik. Gerade die SPD kann viel leisten, wenn es um Modernisierung und Teilhabe der Arbeitnehmer und ihrer Familien geht.

Warum ist dann der Eindruck entstanden, die SPD habe die arbeitende Mitte aus dem Fokus verloren?

Der Eindruck ist grundfalsch. Gerade in den zurückliegenden Jahren haben wir uns für Familien und Arbeitnehmer, die unser Land am Laufen halten, nicht nur gekümmert, sondern ihnen auch Zukunftschancen eröffnet. Mit der Sicherung und Ansiedlung guter Arbeitsplätze, mit der Erhöhung und Stärkung des Kindergeldes, einer Flankierung durch den Mindestlohn bis zur Grundrente. Die arbeitende Mitte ist unsere Kernklientel.

Da Ihre Partei einen neuen Generalsekretär hat, drängt sich die Frage auf, ob auch ein neuer Kanzlerkandidat hermuss?

Olaf Scholz wird unser Kanzlerkandidat.

Warum wird er dann erst im Juni nominiert?

Das muss die Parteispitze entscheiden. Ich halte eine Nominierung im nächsten Frühsommer aber für richtig. Bis dahin kann Olaf Scholz als Bundeskanzler mit Kontur, Besonnenheit und Integrität überzeugen.

Wünschen Sie sich, dass sich Scholz ändert?

Wenn ich den Kanzler dabei unterstützen kann, noch mehr seiner Ecken und Kanten zu zeigen, dann werde ich das gerne tun.

Gelegenheit, Führungsstärke zu zeigen, bekommt der Kanzler in den kommenden Wochen – im „Herbst der Entscheidungen“ – reichlich. Wie lange lässt er sich noch von der FDP auf der Nase herumtanzen?

Die FDP tanzt uns nicht auf der Nase herum. Was stimmt: Wir haben zu lange zugeschaut, wie schwach und zerstritten die Koalition nach außen gewirkt hat. Da fasse ich mir auch an die eigene Nase. Auch ich hätte vielleicht mehr dazu beitragen können, dass die Koalition besser dasteht. Was hingegen auch stimmt: Regieren ist in den letzten Jahren wirklich außerordentlich schwierig geworden, viel schwieriger als früher, weil so viele verschiedene, sich überlappende Krisen zusammenkommen.

Dass die FDP nach dem Handschlag von Kanzler und Finanzminister das Rentenpaket zur Beitragsstabilisierung wieder infrage stellt, ist kein „Auf der Nase herumtanzen“?

In der Tat, die Frage der stabilen Renten ist zwischen Kanzler und Vizekanzler vereinbart. Für die SPD-Fraktion ist das Wort, das uns gegeben worden ist, ein hoher Wert für die Arbeit und Zuverlässigkeit innerhalb der Koalition. Es geht bei der Rente nicht um die SPD. Vor allem künftige Generationen müssen sich auf das System der stabilen, umlagefinanzierten Rente verlassen können. Deswegen erwarte ich, dass wir in der Koalition gemeinsam mit dem Haushalt für 2025 auch das Rentenpaket beschließen, und zwar vor der Weihnachtspause.

Die FDP wünscht sich für ihr grünes Licht aber noch einen Zuschlag beim Generationenkapital und Steuererleichterungen für die private Altersvorsorge ...

Wir sind nicht auf dem Basar. Auch den Liberalen sollte das klar sein. Es gibt genügend Argumente, um die Renten wie vereinbart für die Zukunft zu stabilisieren.

In zehn Tagen kommt noch die neue Steuerschätzung auf den Tisch, es drohen zusätzliche Milliardenlöcher im Haushalt. Wird das die Ampel nicht zerreißen?

Es wird schwierig. Ich habe die Regierung und insbesondere den Finanzminister mehrfach darauf hingewiesen, wie eng der Haushalt geknüpft ist und welche Kunstgriffe angewendet wurden. Warum die von der Verfassung erlaubten Möglichkeiten nicht genutzt wurden, erschließt sich mir nicht. Durch das sture Festhalten an der Schuldenbremse kann der Eindruck entstehen, wegen der militärischen, wirtschaftlichen und humanitären Unterstützung der Ukraine fehle Geld für die Arbeitnehmer und ihre Familien und die dringend notwendige Modernisierung unseres Landes. Das wäre schlimm. Und deswegen müssen wir in den kommenden Wochen noch intensiv um eine Lösung ringen.

Die Ausrufung einer Haushaltsnotlage wird mit Herrn Lindner nicht zu machen sein ...

Es muss nicht auf eine Haushaltsnotlage hinauslaufen. Wir können andere Wege finden, um den notwendigen finanziellen Spielraum zu schaffen. Daran arbeitet der Kanzler, und er hat unsere volle Unterstützung. Aber dass mit der weiteren Rezession endlich mutige Entscheidungen getroffen werden müssen, sollte offensichtlich sein. Es muss das gemeinsame Ziel sein, dem Land durch die außergewöhnlichen Herausforderungen hindurch zu helfen. Und angesichts der schwierigen Lage gerade der energieintensiven Industrie – siehe VW oder ThyssenKrupp – braucht es ein substanzielles Entlastungspaket. Auch das gehört für mich zum „Herbst der Entscheidungen“, den Herr Lindner ja für sich ausgerufen hat.

Und wenn sich die FDP verweigert?

Die FDP muss entscheiden, ob sie in dieser Koalition bleiben will. Herr Lindner ist ja schon einmal vor der Verantwortung davongelaufen, als er die Jamaika-Verhandlungen hat platzen lassen. Ich würde es ihm nicht noch einmal empfehlen. Verantwortung übernimmt man auch nicht dadurch, indem man das Sparen zum Fetisch macht.

Wäre das Szenario einer rot-grünen Minderheitsregierung für Sie ein Schreckgespenst?

An mir sind schon so viele Schreckgespenster vorbeigezogen, dass ich ein dickes Fell habe.

Die neuen Robert-Habeck-Grünen machen sich längst für die CDU hübsch. Sie sehen die Ampel noch nicht am Ende?

Ich bin immer noch der festen Überzeugung, dass das, was wir vor drei Jahren der Öffentlichkeit versprochen haben, Bestand hat. Wir wissen ja, wie schwierig es auch in anderen Regierungskonstellationen gewesen ist, dafür zu sorgen, dass genug in die Zukunft investiert wird. Und auch die FDP sollte nicht vergessen: Diese Koalition ist das Ergebnis der letzten Bundestagswahl, sie hat den Auftrag der Wähler. Und ich kann diejenigen, die jetzt Modenschauen betreiben nur, darauf hinweisen, wie schnell man auf dem Laufsteg ausrutschen kann. Allein zu gefallen reicht nicht für Regierungskompetenz.