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Rundschau-Debatte des TagesIst die Schuldenbremse unnötig streng?

Lesezeit 5 Minuten
Eine Notbremse in einer historischen S-Bahn (Symbolbild)

Die Wirtschaftsweisen machen einen Vorstoß zur Lockerung der Schuldenbremse.

Die Deckelung der staatlichen Schulden im Grundgesetz ist einer der großen Zankäpfel in der Koalition. Wichtige Regierungsberater meinen jetzt: Die Bremswirkung für die Konjunktur ist einfach zu stark.

Der Sachverständigenrat Wirtschaft, die sogenannten „Wirtschaftsweisen“, dringt auf eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz. Das Gremium plädiert einstimmig für drei Änderungen, um mehr Flexibilität zu ermöglichen. Denn die bisherigen Regeln seien strenger als nötig. Wie kommen die Wissenschaftler darauf?

Die „Wirtschaftsweisen“ halten die Schuldenbremse für unnötig streng und plädieren für eine umfassende Lockerung. Andernfalls werde die deutsche Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten viel stärker sinken als nötig, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Monika Schnitzer, der Deutschen Presse-Agentur.

Die wichtigen wirtschaftspolitischen Berater regen deshalb eine Reform an, die der Bundesregierung jährlich einige Milliarden Euro Kreditspielraum bringen könnte. „Die Schuldenbremse, wie sie jetzt ist, ist zu starr“, sagte Schnitzer. „Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, so dass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen.“

Wie sich die Schuldenquote entwickelt

Die Schuldenregel in Paragraf 115 des Grundgesetzes besagt, dass der Staat im Regelfall nicht viel mehr Geld ausgeben darf, als er einnimmt. Abhängig von der Wirtschaftslage ist nur eine geringe Neuverschuldung erlaubt. Das soll sicherstellen, dass der Staatshaushalt tragfähig bleibt – und auch, dass keine zu hohen finanziellen Lasten an künftige Generationen weitergegeben werden.

Die „Wirtschaftsweisen“ haben simuliert, wie sich die Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, wenn an der Regelung nichts geändert wird. Das Ergebnis: Selbst wenn der Bund seine Möglichkeiten zur Schuldenaufnahme immer voll ausschöpft und es zusätzlich regelmäßig Notlagen mit höheren Krediten gibt, sinkt die Quote. Und zwar so stark, dass sie im Jahr 2070 deutlich unter dem Maastricht-Kriterium von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt.

Deutschland hätte dann womöglich gespart, obwohl man das Geld gut hätte einsetzen können. Die Schuldenregel sei unnötig restriktiv, meint Schnitzer deshalb: „In ihrer aktuellen Ausgestaltung ist die Schuldenbremse starrer, als es zur Aufrechterhaltung der Schuldentragfähigkeit notwendig ist.“ Auch aktuell sinkt die Schuldenquote laut Finanzminister Christian Lindner. Nach einem Corona-Hoch im Jahr 2021 von 69 Prozent des BIP erwartet der FDP-Politiker für dieses Jahr rund 64 Prozent.

Ansatz 1: Übergangsregel nach Notlage

Die Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“ sieht drei Konstruktionsschwächen. Erstens gebe es bisher keine Übergangsregel für die Zeit, nachdem der Bundestag die Schuldenbremse wegen einer Notlage ausgesetzt und der Staat in der Folge hohe Kredite aufgenommen hat.

„Natürlich kann man für das Folgejahr wieder eine Notsituation erklären, das wird mit jedem Jahr aber schwieriger zu argumentieren“, gab Schnitzer zu bedenken. Vor allem für die Wirtschaft sei eine solche Unsicherheit heikel, weil sie sich nicht auf zugesagte staatliche Unterstützung verlassen könne. Die Schuldenbremse direkt wieder einzuhalten könne aber ebenfalls Probleme verursachen: „Eine sofortige Konsolidierung des Staatshaushalts könnte zu unnötig starken negativen Impulsen für eine noch schwächelnde Wirtschaft führen“, erklärten die „Wirtschaftsweisen“.

Das Gremium schlägt deshalb vor, dass das zulässige Defizit im Bundeshaushalt auch nach einer Notsituation weiterhin über der normalen Regelgrenze liegen darf. Es müsse jedoch Jahr für Jahr zurückgeführt werden. „Man könnte das strukturelle Defizit jährlich um 0,5 Prozentpunkte reduzieren, wie es in der EU vorgesehen ist. Oder man fährt es über drei Jahre linear herunter“, regte Schnitzer an.

Ansatz 2: Flexiblere Verschuldungsgrenze

Der zweite Reformansatz betrifft die festgeschriebene Verschuldungsgrenze: Sie liegt aktuell bei 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung. „Die ist unnötig gering“, findet Schnitzer. Der Spielraum könne durchaus erhöht werden – abhängig davon, wie hoch die Schuldenquote des Staates ist. Bei einer Quote unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sollte die Grenze für das strukturelle Defizit bei einem Prozent des BIP liegen. Zwischen 60 und 90 Prozent sollte ein Defizit von 0,5 Prozent des BIP zulässig sein. Erst ab 90 Prozent Staatsverschuldung sollten nur noch die derzeit generell gültigen 0,35 Prozent erlaubt sein.

„Eine Übergangsregel und höhere Defizitgrenzen würden dafür sorgen, dass die Schuldenquote nicht mehr so stark, aber weiter stetig abnimmt. Das ist noch immer sehr gut mit Schuldentragfähigkeit vereinbar und erweitert doch etwas den Spielraum“, sagte Schnitzer. Pro Jahr würde das der Bundesregierung nach Rechnung der Sachverständigen einen Kreditspielraum von 36 Milliarden Euro bringen – zumindest bei einer Schuldenquote unter 60 Prozent. Reißt Deutschland die Maastricht-Kriterien, wären es immer noch rund 18 Milliarden.

Ansatz 3: Die Konjunkturkomponente

Wie viele Schulden der Bund machen darf, wird auch von einer Konjunkturkomponente beeinflusst. Stark vereinfacht gilt: Je schlechter die Wirtschaftslage, desto höhere Kredite sind erlaubt. Das Problem ist, dass das auf Prognosen beruht – denn zu Beginn des Jahres ist die wirtschaftliche Entwicklung unbekannt. So räume man in manchen Jahren zu viel, in anderen zu wenig Schuldenspielraum ein, erklärte Schnitzer. „Das ist ökonomisch nicht effizient.“ Die Konjunkturkomponente müsse weniger revisionsanfällig gestaltet werden.

Wie realistisch eine Umsetzung ist

Für eine Reform der Schuldenbremse ist im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit nötig, die die Koalition allein nicht hat. Doch schon innerhalb der Ampel von SPD, Grünen und FDP ist die Haltung sehr unterschiedlich.

Schnitzer mahnt dennoch zu raschem Handeln. „Wir sprechen Stellschrauben an, die eigentlich offensichtlich sind. Dass eine Übergangsregel fehlt, haben wir zuletzt schmerzhaft erlebt – und auch, dass die Grenze zu starr ist“, sagte sie. „Unsere Hoffnung ist daher, dass sich die Koalitionäre in der Ampel und die Opposition verständigen können.“ Sie empfehle dringend, das Problem noch in dieser Legislaturperiode anzupacken. „Denn je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln, ist es in der nächsten Legislatur möglicherweise nicht mehr so einfach, eine Zweidrittelmehrheit von demokratischen Parteien zu finden.“ (dpa/mit afp)