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Rundschau-Debatte des TagesWerden Demos unterwandert und gesteuert?

Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 14.01.2024, Brandenburg, Potsdam: Menschen stehen während der Demonstrationen «Potsdam wehrt sich» auf dem Alten Markt.

Demos gegen rechts: Laut AfD eine „bestelllte Masse“

Es scheint in Mode zu kommen, Proteste zu verunglimpfen. Erst werden Bauern in die rechte Ecke gedrängt, jetzt versucht die AfD, Demos gegen Rechtsextremismus als „bestellte Massen“ zu verunglimpfen. Was steckt dahinter?

Kaum hatten die ersten Traktoren das Berliner Regierungsviertel erreicht, gab es Warnungen: Der Protest der Landwirte könnte von Rechtsaußen unterwandert sein. Nachdem Wirtschaftsminister Robert Habecks Fähre blockiert wurde, drohte der Aufstand gegen die Agrarpolitik der Ampel insgesamt in ein schräges Licht zu geraten. Extremisten würden jeden Kompromiss verächtlich machen und die Debatte „vergiften“, mahnte Kanzler Olaf Scholz. Habeck klang ähnlich alarmiert. Es kursierten „Aufrufe mit Umsturzfantasien“ warnte der Grünen-Politiker. Am Ende sah Bauernpräsident Rukwied seinen Berufsstand derart in die rechte Ecke gedrückt, dass er gar nicht mehr umhin kam, sich zu distanzieren. „Rechte und andere radikale Gruppierungen mit Umsturzgelüsten wollen wir auf unseren Demos nicht haben“, stellte er klar.

Nachwirkungen der Corona-Pandemie

Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen war ein ähnliches Muster zu beobachten. Nachdem sich auch rechtsradikale Gruppierungen dem Protest gegen Impfpflicht und Maßnahmen angeschlossen hatten, standen die Corona-Kritiker schnell per se unter dem Generalverdacht des Extremismus. Als sogenannte Reichsbürger versuchten, den Reichstag zu stürmen, hatten die Proteste sich tatsächlich selbst diskreditiert. Aber auch diejenigen, die damals gegen Maßnahmen protestierten, die führende Experten heute selbst hinterfragen, fanden kaum noch Gehör.

Bauerndemos: Weiterhin wird gegen den geplanten Stopp der Agrardiesel-Subvention und für einen Demokratieabbau demonstriert.

Bauerndemos: Weiterhin wird gegen den geplanten Stopp der Agrardiesel-Subvention und für einen Demokratieabbau demonstriert.

Deren Verletzungen wirken teils bis heute nach. Der Protestforscher Philipp Gassert von der Universität Mannheim sagt: „Bei den Anti-Corona-Protesten gab es Versuche, sie zu unterwandern. Aber wenn man es sich leicht macht und dann alle als Verschwörungstheoretiker und Idioten abtut, beleidigt das Menschen, die ein ernsthaftes Anliegen haben. Erst werden sie ausgegrenzt, dann wenden sie sich tatsächlich von der Gesellschaft ab.“ Deshalb sei es wichtig, genau zu unterscheiden und über Proteste möglichst keine pauschalen Urteile zu fällen.

Die Strategie der Gegenseite

Bei den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, die am Wochenende Hunderttausende auf die Straßen im ganzen Land brachten, wird nun ebenfalls versucht, sie zu diskreditieren – nur von der anderen Seite. Bei der AfD lässt man keine Gelegenheit aus, den Straßenprotest als inszeniertes Manöver der Regierungskoalition zu verunglimpfen. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, sieht eine „links-grüne Kaste aus links-grünen Politikern und Medien“ am Werk. Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke sprach von „bestellten Massen“ und behauptet, dass Fotos manipuliert würden. Gassert zufolge funktioniert die Diskreditierung von Protest häufig, mal besser und mal schlechter. Die aktuellen Versuche der AfD dürften vor allem dazu gedacht sein, die eigene Anhängerschaft gegen den zunehmenden Protest in Stellung zu bringen.

Schicksal der Friedensbewegung

Im Vorwurf der Unterwanderung sieht Gassert eine Kontinuität in der Geschichte des Protests. Auch die Friedensbewegung der 80er-Jahre sah sich dem Vorwurf der Unterwanderung von Linksextremen ausgesetzt. „Der Bewegung hat man deshalb vorgeworfen, von Moskau gesteuert zu sein“, erinnert Gassert und fügt hinzu: „Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl hat die Friedensbewegten wie Deppen behandelt.“ Bei der Bewegung sei die Strategie der Diskreditierung sogar erfolgreich gewesen. Bis heute ist die Erzählung vom unterwanderten Protest verbreitet.

Weitere Entwicklung

Bei den neuen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus ist noch nicht abzuschätzen, was daraus wird. „So eine starke Mobilisierung ist nur deshalb möglich, weil man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnte: für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. So eine große Mobilisierung kommt nur zustande, wenn von Links bis CDU und FDP alle mitmachen.“ Der Protest könnte aber schnell zerfallen, wenn einzelne Gruppen ihn für ihre Zwecke missbrauchten, meint Gassert.