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Neuer FlüchtlingskoordinatorWie Mathies die verkorkste NRW-Flüchtlingspolitik retten will

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Düsseldorf: Josefine Paul, Integrationsministerin von Nordrhein-Westfalen, und der neue Berater des Ministeriums für Unterbringungsfragen Jürgen Mathies

Düsseldorf: Josefine Paul, Integrationsministerin von Nordrhein-Westfalen, und der neue Berater des Ministeriums für Unterbringungsfragen Jürgen Mathies

Das schwarz-grüne Kabinett hat Mathies überraschend zum „Berater zur Prozessoptimierung und Strukturanalyse“ für die Flüchtlingsunterbringung ernannt. In Köln ist er kein Unbekannter.

Es dauert nur wenige Minuten, dann bricht der Kommissar in ihm durch. „Ich will ganz kurz mal auf ein paar Punkte eingehen, die für mich jedenfalls in der Erstermittlung…“, sagt Jürgen Mathies und stockt lächelnd. Erstermittlung. Auch so ein Polizeibegriff. Der 62-Jährige steht am Dienstagnachmittag in der Staatskanzlei und soll erklären, wie er die ziemlich verkorkste Flüchtlingspolitik der Landesregierung retten will – und die neben ihm auf dem Podium postierte Fachministerin Josefine Paul (Grüne) gleich mit.

Das schwarz-grüne Kabinett hat Mathies überraschend zum „Berater zur Prozessoptimierung und Strukturanalyse“ für die Flüchtlingsunterbringung im Land ernannt. „Dass Ministerin Paul heillos überfordert ist, war allen Städten und Gemeinden schon seit Monaten klar. Die Benennung von Herrn Mathies ist jetzt das Eingeständnis, dass sie es alleine nicht schafft“, kommentierte SPD-Fraktionsvize Christian Dahm postwendend.

Mag die Berufung tatsächlich kein Qualitätssigel für Pauls bisheriges Flüchtlingsmanagement bedeuten, ein schlauer Zug der Staatskanzlei von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) scheint sie allemal zu sein. Mathies gilt als Mann für besonders schwere Fälle. Er hatte sich in 45 Jahren vom Streifendienst in Köln bis in die Spitze des Innenministeriums hochgearbeitet. Es gibt nicht wenige, die ihn für einen der besten Polizisten des Landes halten.

Nach der „Kölner Silvesternacht“ zum Aufräumen geholt

Im vergangenen Jahr wurde der parteilose Mathies eher unfreiwillig als Innenstaatssekretär in den einstweiligen Ruhestand versetzt, weil Minister Herbert Reul (CDU) nach der Landtagswahl seine Vertraute Daniela Lesmeister auf dessen Posten befördern wollte. Ansonsten blickt er jedoch auf tadellose Karriere zurück. Mathies wurde immer dann gerufen, wenn es brannte. Er gehörte zur Expertengruppe, die in einer Zeit großer Terrorangst das Sicherheitskonzept für das „Sommermärchen“ der Fußball-WM 2006 erarbeitet hat. Später führte er das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) in Duisburg. Einer größeren Öffentlichkeit wurde Mathies bekannt, als er nach der „Kölner Silvesternacht“ als Polizeipräsident zum Aufräumen ins größte Präsidium des Landes in die Domstadt entsandt wurde. Damals stand nicht weniger als das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit des Staates auf dem Spiel.

Nun also ein Dienstleistungsvertrag in Teilzeit, um die Flüchtlingsunterbringung vom Kopf auf die Füße zu stellen. Mathies hat sich die Lage bereits einige Wochen angeschaut und viele Gespräche geführt. Während Ministerin Paul immer etwas laut und schnell redet, verströmt ihr neuer Berater diese „Gehen Sie bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen“-Ruhe. „Es gibt keinen Anlass, das Gesamtsystem komplett umzukrempeln“, sagt Mathies. Es sei lange nicht so schlimm wie in der Flüchtlingskrise 2015. Doch wirklich gut ist auch nichts.

Ende September waren bereits knapp 46000 Asylbewerber in NRW registriert worden. Im gesamten Jahr 2022 waren es knapp 51000. Hinzu kommen 225000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Paul verweist darauf, dass das Land seine Kapazitäten für die Erstunterbringung seit dem Frühjahr 2022 auf rund 31000 verdoppelt habe. Bis Anfang des kommenden Jahres will das Land weitere 3000 Plätze nachlegen – unter anderem in Dortmund, Weeze und Düsseldorf.

Drei Sofortmaßnahmen sollen helfen

Versprochen war von Paul aber schon längst viel mehr, die Kommunen halten sogar 70000 Plätze für notwendig wie in der Flüchtlingskrise 2015. Damals waren jedoch auch zahlreiche Turnhallen belegt worden, was die Städte diesmal um jeden Preis vermeiden wollen. Sollten Trainingszeiten des Vereinssports oder der Schulsport gekürzt werden, dürfte sich das gesellschaftliche Klima weiter verschlechtern.

Drei Maßnahmen will Mathies sofort umsetzen. Die Akquise von Liegenschaften für Landesflüchtlingseinrichtungen müsse zentral durch den Bau- und Liegenschaftsbetrieb oder einen externen Dienstleister organisiert werden. Bislang sei die Standortsuche von „mehr zufälligen Hinweisen Dritter abhängig“. Die fünf Bezirksregierungen, die mit der Flüchtlingskrise zunehmend überfordert sind, bekommen überdies ein Beratungsunternehmen an die Seite gestellt.

Vor allem aber will Mathies stärker die Sorgen von Anwohnern berücksichtigen. Er benennt klipp und klar das Spannungsfeld seiner Aufgabe: Die Landesaufnahmeeinrichtungen müssten „Schutzraum und Schonraum“ für Menschen sein, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Aber auch Anwohner von Einrichtungen müssten sich noch sicher fühlen können.

Mathies empfiehlt „Sicherheitslagebilder“, an denen sich ein möglicher Anstieg der Kriminalität im Umfeld von Flüchtlingseinrichtungen objektiv ablesen oder eben widerlegen lässt. „Viele Ängste werden produziert, ohne dass sie objektive Grundlagen haben“, sagt er. Doch Mathies ist wohl viel zu sehr Polizist, um nicht zu wissen, dass beschäftigungslose Menschen unterschiedlichster Kulturkreise auf engstem Raum in einem fremden Land nicht immer ein heiteres Integrationsfest bedeuten.

„Es geht auch darum, genau hinzuschauen, welche Gruppen in welche Unterkunft gebracht werden“, mahnt er. Damit könne man von vornherein Eskalationen ausschließen. Es sind neue Töne in Düsseldorf.