Die SPD traf sich auf Norderney zur Frühjahrstagung unter dem Motto „Stabilität und Stärke“. Diskutiert wurden Themen wie Krieg und Frieden, Inflation und Abstiegsängste.
Norderney im AusnahmezustandGesundheitsminister Lauterbach sorgt bei Frühjahrstagung der SPD für Lacher
Solche Szenen hat diese Insel wohl noch nie gesehen: Hunderte Uniformierte schieben Wache. Urlauber, die nach Norderney wollen, werden schon an den Bahnhöfen in Leer und Emden von der Bundespolizei beobachtet. Bereitschaftspolizisten sind im Einsatz, Taucher, Sprengstoff-Spürhunde.
Weil Kanzler, Parteispitze, drei Minister und rund 100 SPD-Bundestagsabgeordnete aus NRW, Niedersachsen und Bremen zur „Frühjahrstagung“ kommen, steht eine ganze Nordseeinsel Kopf. Touristen filmen mit ihren Handys die politischen Gäste, die ins historische Conversationshaus gehen. Besucher und Bewohner bewegen sich teils neugierig, teils gestresst zwischen Strand und Absperrungen.
Das Tagungsmotto „Stabilität und Stärke“ ist angesichts mieser Umfragewerte für die Partei und einer notorisch streitenden Ampel eher als Absichtserklärung zu verstehen. Der Treffpunkt Norderney bietet der SPD bei ihrer Suche nach einem Kompass jedoch ein paar Vorteile. „Man kann sich hier nicht verlaufen“, versichert der Strandbad-Geschäftsführer Wilhelm Loth den Gästen während der Überfahrt. Und außerdem gebe es hier den einzigen linksdrehenden Leuchtturm weit und breit.
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Die Partei hat viele ihrer wichtigsten Akteure zusammengetrommelt: Olaf Scholz, Lars Klingbeil, Saskia Esken, Bärbel Bas, Boris Pistorius, Hubertus Heil, Karl Lauterbach und Katarina Barley, der ein harter EU-Wahlkampf bevorsteht. Auch Jasmin Fahimi ist da, die DGB-Chefin. Krieg und Frieden, Inflation und Abstiegsängste, das Erstarken der Rechten: Es gibt vieles, über das auf der Insel gesprochen werden soll.
NRW-Landtagsfraktionschef Jochen Ott setzt ein Ausrufezeichen, indem er nicht der Versuchung erliegt, die Lage schön zu reden. Viele Menschen hätten das Gefühl, in einem Hamsterrad zu sitzen. Sie fänden keine Wohnung, bekämen keinen Arzttermin, könnten nicht mehr in den Urlaub fahren. Eltern würden morgens angesimst: Heute keine Kita. „Die Leute haben den Kaffee auf“, warnt der Kölner Ott. Um all jene, die gerade in der „Rush-Hour“ des Lebens steckten, müsse sich die SPD mehr kümmern.
So viel Ungeschminktes vertragen nicht alle. „Warum redet der so?“, wird geflüstert. Aber Lars Klingbeil, der Bundesparteichef, schlägt ähnliche Töne an: „Konzentriert euch auf das Wesentliche. Das Leben vieler Menschen verändert sich brutal.“ Inzwischen habe eine Mehrheit der Bürger regelrecht resigniert. „Sie sagen: Es ist zu viel, es ist zu laut, ich kann nicht mehr.“
Lauterbach sorgt für Lacher
Für einen heiteren Moment sorgt Karl Lauterbach, dem mitten im Kurzentrum ein alkoholhaltiges Desinfektionsmittel zur äußeren Anwendung überreicht wird. „Das beste Desinfektionsmittel ist Rotwein“, findet der Gesundheitsminister.
Scholz wird im Conversationshaus herzlich, aber nicht überschwänglich begrüßt. Warnungen vor einer absaufenden Wirtschaftsnation mag er nicht hören. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt müsse sich nicht selbst kleinreden. Der „Turnaround“ hin zur Modernisierung sei längst eingeleitet: „Deutschland wird das Zentrum der Halbleiterindustrie in Europa“, erzählt Scholz stolz.
Der Gelsenkirchener Bundestagsabgeordnete Markus Töns traut sich, Salz in des Kanzlers Suppe zu streuen: „Bei Thyssen Krupp wird abgebaut. Die wollen und müssen grünen Stahl produzieren. Da hängen tausende Arbeitsplätze dran.“ Die Botschaft: Eine neue Industrie dürfe die alte nicht aus dem Blick verlieren.
Scholz erinnert daran, dass er zuletzt in China Mega-Städte mit Millionen Einwohnern besucht habe. „Jetzt sind wir auf Norderney, mit 6000 Einwohnern.“ Die kleine Insel, das stellt sie unter Beweis, wird auch mit Kanzler-Besuchen fertig. Aber nur, weil einige hundert Damen und Herren in Uniform aufpassen.