Karl Haucke, ein Opfer von sexuellem Missbrauch, kritisiert anlässlich einer Podiumsdiskussion in Düsseldorf die mangelnde Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche, trotz der Präventionsarbeit, die diese leistet.
Sexueller MissbrauchForscher durchleuchten Präventionsarbeit in NRW-Bistümern
Karl Haucke wurde als Teenager von einem Priester im Internat missbraucht. „Mein Täter hat gesagt: Das bleibt unser Geheimnis. Meine Eltern haben gesagt: Das sind doch heilige Männer“, erzählt der heute 72-Jährige. Seine Lehre nach jahrzehntelanger Verdrängung: Nur die Beteiligung von Kindern an Präventionsarbeit macht sie stark, nur das Wissen um Grenzen und Schutzstrukturen hilft ihnen in der Not.
Haucke sitzt am Mittwochabend im Düsseldorfer Caritas-Haus auf einem Podium. Die fünf NRW-Bistümer haben ihn eingeladen, weil er trotz seiner bitteren Erfahrungen mit der katholischen Kirche ein außergewöhnliches Projekt begleitet hat: Das Institut für soziale Arbeit (ISA) in Münster und das juristische Forschungszentrum Socles haben die kirchliche Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch über mehr als zehn Jahre wissenschaftlich durchleuchtet.
„Kirche tut sich schwer damit, Aufarbeitung ernst zu nehmen“
Das Evaluationsprojekt verdiene seinen „ausdrücklichen Beifall“, sagt Haucke. Als Feigenblatt soll es aber auf keinen Fall herhalten. „Die katholische Kirche tut sich trotz teurer Studien schwer damit, die Aufgabe der Aufarbeitung wirklich ernst zu nehmen. Vielleicht liegt das daran, dass die Verantwortlichen bei der Frage nach der Aufarbeitung immer die hochkompetente Prävention anführen können“, kritisiert er.
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Professor Christian Schrapper vom ISA weiß um den Drahtseilakt seiner Studie: „Wir sind zwar beauftragt, aber wir haben keinen Auftrag erfüllt.“ Die feste Überzeugung des Wissenschaftlers: Ohne den Mut von Menschen wie Haucke, die das Schweigekartell aufbrachen, „hätte die katholische Kirche sich mit dem Thema nicht auseinandergesetzt“.
Zugleich zollt Schrapper den NRW-Bistümern „Anerkennung und Respekt“, dass sie sich der Frage gestellt hätten, ob ihre Präventionsarbeit das Ziel erreiche, „Übergriffe, Gewalt und Missbrauch frühzeitig zu sehen und auch in den Strukturen zu erkennen“. Den Erfolg wissenschaftlich zu erfassen, sei nicht leicht: „Man soll was zählen, was nicht passiert.“
Die Forscher haben die Präventionskonzepte in Gemeinden, katholischen Schulen, Kindergärten und Behinderteneinrichtungen hinterfragt. Präventionsbeauftragte, Meldewege, Führungszeugnisse, Pflichtschulungen, Sprechfähigkeit über Sexualität – ein Wandel ist unverkennbar. Allein im Erzbistum Paderborn habe es in einem Jahr über 500 Präventionsschulungen mit mehr als 7000 Teilnehmern gegeben.
Das Gesamturteil des Evaluationsberichts: „Es ist eine Menge passiert“, sagt Co-Autorin Milena Bücken. „Die Verantwortung ist angekommen“, findet Thomas Meysen vom Forschungszentrum Soles.
Katholische Kirche: „Bizarr erhöhten Priesterbild“
Eine Kultur des Hinsehens bleibe allerdings zentral, räumt Bücken ein. „Grenzverletzungen, Machtmissbrauch, Übergriffe sind mitnichten ein Thema der Vergangenheit, sondern sie sind für viele junge Menschen in unterschiedlicher Form und Intensität auch heute Teil ihrer Lebensrealität.“ Die Forscher seien „betroffen und mitgenommen von der Offenheit, mit der junge Menschen uns davon berichtet haben“, so Bücken.
Karl Haucke erkennt in den autoritären Strukturen der katholischen Kirche mit seinem „bizarr erhöhten Priesterbild“ eine besondere Tatgelegenheit und fordert unmissverständlich: „Keine Missbrauchstäter in Priesterämtern. Keine Vertuscher in Bischofsämtern.“ Dies führe jeden Ansatz von Prävention und Aufarbeitung ad absurdum.
„Ein erhöhtes Risiko lässt sich nicht wegreden“, bestätigt Forscherin Bücken. „Die katholische Kirche hat da als eine von Grunde auf hierarchische Organisation so ihre Schwierigkeiten, weil Abhängigkeiten besonders gefährlich dafür sind, dass Übergriffe und Gewalt der Stärkeren gegenüber den Schwächeren möglich werden.“ Deshalb brauche es eine bewusstere Beteiligung von Jugendlichen, um das strukturelle Machtungleichgewicht auszugleichen.
Die Auswertung der sogenannten Interventionsdaten zeigt dennoch einen deutlichen Anstieg der Mitteilungen über sexualisierte Gewalt in den Bistümern. Die Forscher werten dies als Hinweis, dass es nicht mehr jahrelange Gerüchte und Hinweise braucht, bis Übergriffe auch tatsächlich angezeigt werden.
Haben die Präventionskonzepte der Bistümer in den vergangenen Jahren wirklich die Gefahr verringert, in Gemeindeeinrichtungen sexuellen Gewalttätern in die Hände zu fallen? Die Forscher schweigen, denken nach und einigen sich schließlich auf eine diplomatische Antwort: „Die Bedingungen dafür, dass es nicht passiert, sind besser geworden.“