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Veranstaltung in KölnVom Missbrauch betroffene Menschen erzählen ihre Geschichte

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Der Schatten eines Priesters, der am Karfreitag bei einer Zeremonie ein Kreuz trägt, fällt auf das Pflaster.

Der Schatten eines Priesters, der am Karfreitag bei einer Zeremonie ein Kreuz trägt, fällt auf das Pflaster. (Symbolbild)

Die Opfer sexuellen Missbrauchs teilten ihre Geschichten und Erfahrungen während einer Gedenkveranstaltung des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln.

Wenn ein Sturm tobt, sieht die Welt danach anders aus. Ein Mensch im Sturm ist der Gewalt „hilflos ausgeliefert, erstarrt vor Angst und Schrecken“. Wie ein Opfer des sexuellen Missbrauchs? So lauteten die Worte von Claudia Sybille Blessing zur Einleitung einer Gedenkveranstaltung des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln von Betroffenen für Betroffene. „Wie ging es einem Missbrauchsopfer nach einer solchen Tat?“ liest Schauspieler Justus Hör. „Es war danach ein verletzter und in seiner Entwicklung gestörter Mensch und trägt ein ganzes Leben an diesen Verwundungen.“

Erzbistum Köln: 30 Teilnehmende kamen zu dem Treffen

Den 18. November hatte Papst Benedikt XVI. als Gedenktag für die Opfer sexuellen Missbrauchs ausgerufen, und zum ersten Mal hat der Betroffenenbeirat im Erzbistum Köln sich entschlossen, aktiv auf die Menschen zuzugehen, mit denen sie das grausame Schicksal teilen. Im Forum Tunisstraße sitzen knapp 30 Menschen, etwas mehr Männer als Frauen – nicht alle von ihnen sind selbst Betroffene gewesen. Die hinteren Stuhlreihen sind schnell besetzt, nach vorne will niemand. Die Veranstalter wissen, dass es „kein leichtes Unterfangen“ ist.

Deshalb beginnt der Beirat direkt mit der Frage, „was hat sich ein Missbrauchstäter dabei gedacht, als er die Seelen so junger Menschen zerstört hat. Lebenslänglich.“ Aus dem aufgeweckten Kind, noch hilfs- und schutzbedürftig, unsicher und unerfahren, sei ein missbrauchtes Ich geworden, hilflos, ängstlich, das sich verlassen und verraten fühlt, nicht mehr vertrauen kann und dem keiner glaubt.

Peter wurde mit 11 Jahren vom Pfarrer missbraucht

Es könnte die Geschichte von Peter sein, 59 Jahre alt, der im Alter von elf Jahren von seinem Gemeindepfarrer missbraucht wurde und erst seit drei Jahren die „Erinnerungsfragmente“ zu einer sinnvollen Geschichte zusammenfügen konnte, „der ich mich jetzt stellen kann“. Er ist nur einer von vier Betroffenen, die der Beirat mit seiner Einladung über Kirchenkanäle erreichen konnte. Und er ist enttäuscht, dass „außer aus dem Betroffenenbeirat keine Betroffenen da waren.“ Dafür die anonym gebliebenen Mitglieder des Betroffenenbeirats, Priester in Zivil, Mitarbeiter der Interventionsstelle, der von der Kirche beauftragte Vermittler Peter Binot. „Wir haben zu wenig geworben“, bedauert Blessing.

„Es geht nicht um die Täter, es geht um uns. Deshalb sind wir auch hier“, sagen Peter und Hanne. Gut sei, dass es diese Veranstaltung überhaupt gebe, aber eine Katastrophe, dass der Betroffenenbeirat nicht in der Lage gewesen sei, hierfür zu werben und dass man diesen Abend noch dazu in den Räumen der katholischen Kirche veranstalte – der Täterorganisation. Die Botschaft, die der Betroffenenbeirat den Missbrauchsopfern an diesem Abend mit auf den Weg geben möchte, lautet: „Ihr seid nicht schuld.“

Betroffene in Köln: Ein krasser Vertrauensbruch

Mit dem Text von Hermann-Josef Eschweiler wird das Gleichnis vom Sturm (Markus 4, 35-41) aufgenommen. Die Situation auf dem Boot Jesu „entspricht – direkt vergleichbar – der Situation von uns Betroffenen sexueller Gewalt. Der Übergriff: unerwartet, heftig, zerstörend, elementar Angst/Todesangst erzeugend.“ Gott sei nicht identisch mit dem Missbrauchstäter. „Das Leid ist nicht sein Werk – es geht vom Satan, vom Teufel aus, der sich einfach des Menschen bedient.“

Wieder in Gott vertrauen? Überhaupt vertrauen? „Nein,“ sagen Peter und Hanne. Als Betroffener im Kindesalter, sei es klassisch – Peter ringt um Worte - dass man selber die Verantwortung für die Tat übernehme. „Mein Pastor war damals für mich jemand, der knapp nach dem lieben Gott kam“. Von ihm missbraucht zu werden, „war ein krasser Vertrauensbruch.“ „Ich sehne mich so unendlich danach, vertrauen zu können, und selbst weiß ich, wenn ich ganz tief grabe, dass dies nicht möglich sein kann.“ Hanne, die von 9-13 Jahren die Tortur erleiden musste, ergänzt: „Vertrauen, nein. Nie mehr. Das geht nicht. Ich hab's immer wieder versucht. Mein Leben ist zerstört. Und in jeder Zelle meines Körpers ist das verankert und die weint.“

Beide sind in Therapie, um „so einen krassen Defekt in meinem Betriebssystem wirklich nachhaltig zu beheben“, sagt Peter. „Ich weiß, dass ich wahrscheinlich mein ganzes Leben lang mit diesem Gefühl, Du bist nicht sicher, pass bloß auf, Du musst Dich schützen durch die Welt gehen werde.“

Missbrauch in Köln: Es geht auch um Schadenersatz

Viele sitzen auf Kosten, die in Hannes Fall nicht von der Kirche anerkannt wurden. In der Diskussion geht es deshalb auch um Geld, um Schadenersatz. Sind nur die Täter zur Verantwortung zu ziehen oder auch die Organisation Kirche? Welche Stellung hat der Beirat? Warum ist es so schwer, sich verantwortlich zu erklären, um Entschuldigung zu bitten, tätige Reue zu üben und zu fragen, was wir brauchen. Applaus erhält der Leverkusens Stadtdechant für seine wenigen Worte, in denen er den Betroffenen seinen „Respekt“ zollt und Mut macht, „weiter zu machen“.

Trifft das den Kern? Dass die Kirche anerkannt, dass der Missbrauch eines Pfarrers ein Leben zerstört hat? Auch wenn dieses erste Treffen sich viel damit beschäftigt, wie Betroffene wieder zu Gott und zur Kirche finden können, war es laut Peter eine „großartige Initiative, alle einzubeziehen. Richtig krass und wahnsinnig spannend.“ Sonst dürften die Betroffenen ja nur mündlich, telefonischen Kontakt zum Vermittler Binot aufnehmen. Und Organisatorin Blessing fand es „erstaunlich gelungen, dass die Menschen atmosphärisch zusammenfanden“ zu einer Diskussion „heftig, aber in ruhigem Fahrwasser“. In Köln wird es vorerst die einzige Veranstaltung dieser Art sein.

Alle Namen bis auf die Organisatorin wurden geändert, um die Anonymität der Missbrauchsopfer zu wahren.