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Debatte des TagesHat das Schulfach Religion noch eine Zukunft?

Lesezeit 4 Minuten
Das Interesse der Schüler an Religion schwindet weniger stark als das an der Kirche, sagt Lehrer Marcus Hoffmann.

Das Interesse der Schüler an Religion schwindet weniger stark als das an der Kirche, sagt Lehrer Marcus Hoffmann. 

Die Krise der Kirche macht auch vor dem Klassenzimmer nicht halt. Einige Lehrkräfte tragen die offizielle Linie nicht mehr mit und geben ihre Lehrerlaubnis zurück. Im Interview spricht Religionslehrer und Verbandschef Marcus Hoffmann über diese Spannungen.

Immer weniger Menschen in Deutschland sind Mitglied einer der großen Kirchen. Wie wirkt sich dieser Schwund auf das Schulfach Religion aus? Marcus Hoffmann unterrichtet in Münster und ist Vorsitzender des Bundesverbandes der katholischen Religionslehrer an Gymnasien. Wie blickt er auf die aktuelle Situation?

Immer weniger Menschen in Deutschland sind in der Kirche. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf den Religionsunterricht aus?

Die sinkende Verbundenheit mit der Kirche merken wir in der Schule selbstverständlich auch. Viele Schülerinnen und Schüler haben wenig bis gar keine religiöse Sozialisation mehr. Einige wissen nicht mal, ob sie evangelisch oder katholisch sind. Natürlich gibt es regionale Unterschiede: In ländlichen, katholisch geprägten Gegenden, wie zum Beispiel im tiefen Münsterland, gibt es noch Kinder, die mit Kirche groß geworden sind und vielleicht sogar noch Messdienerinnen und Messdiener sind. Aber insgesamt ist die Schülerschaft deutlich säkularer geworden.

Wie sieht der Unterricht heutzutage aus, wenn Schüler kaum noch etwas mit Religion anfangen können?

Es ist wichtiger denn je, auf die jeweilige Lerngruppen und deren Fragen, Vorwissen und Voreinstellungen zu schauen, um den Unterricht für sie bedeutsam werden zu lassen. Natürlich will der Religionsunterricht auch weiterhin ein bestimmtes Grundwissen im Bereich von Religion vermitteln, aber er soll auch eine kritische Auseinandersetzung mit Fragen rund um Glauben, Sinn- und Lebensdeutung ermöglichen. Dafür ist er unerlässlich, die Lebensrealität der Jugendlichen im Blick zu behalten. Ein gutes Beispiel dafür sind aktuelle ethische und moralische Fragestellungen, die in ihrem Alltag präsent sind, etwa die Debatte um künstliche Intelligenz oder auch Popkultur-Phänomene wie den Barbie-Film. Indem wir diese Themen im Unterricht aufgreifen, schaffen wir Verbindungen zwischen religiösen Inhalten und den Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler.

Entscheiden sich weniger Schüler für den konfessionellen Religionsunterricht?

Über die letzten Jahre hinweg war auch hier einen Rückgang zu beobachten, aber dieser fiel bei weitem nicht so drastisch aus wie die allgemeinen Kirchenaustritte. Es gibt nach wie vor ein Interesse, aber es ist nicht mehr die institutionelle Kirche, die im Fokus steht. Schülerinnen und Schüler interessieren sich eher für allgemeine Fragen zu Gott, Glauben oder anderen Religionen.

In Niedersachsen wollen katholische und evangelische Kirche ihren Unterricht ab kommendem Schuljahr zusammenlegen und einen christlichen Religionsunterricht anbieten. Wie blicken Sie auf das Modell?

Ich habe grundsätzlich kein Problem mit verschiedenen Varianten in diesem Bereich, sei es ein konfessionsübergreifender Unterricht oder ein Fach wie Ethik. Was mir aber wichtig ist: Der konfessionelle Religionsunterricht wird oft missverstanden. Viele denken, es gehe hier darum, nur über katholische oder evangelische Positionen zu sprechen oder zu missionieren. Das ist aber nicht das Ziel. Moderner konfessioneller Unterricht bedeutet, dass die Lehrperson transparent macht, von welcher Position aus sie spricht, und die Lernenden auf diese Weise dazu anregt, ihre eigene Meinung zu bilden.

Die katholische Kirche steht in der Kritik, sei es wegen ihrer Sexualmoral, des Umgangs mit Missbrauchsfällen oder der fehlenden Gleichberechtigung von Frauen. Wie gehen katholische Religionslehrer, die ihren Lehrauftrag vom Bistum erhalten, damit um?

Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema für viele Lehrkräfte. Da katholische Religionslehrkräfte ihren Lehrauftrag direkt vom Bistum erhalten, gibt es da eine Loyalität. Und sie wollen ja auch als bekennende Christinnen und Christen dieses Fach unterrichten. Doch angesichts der kritischen Themen, die immer wieder hochkochen, geraten viele in einen Konflikt, zumal sich das kirchliche Lehramt den theologischen Argumenten in diesen Bereichen oft verschließt. Ein sehr großer Schritt war die Reform der sogenannten „Grundordnung“, die in vielen Bistümern nun umgesetzt wurde, sie eröffnet mehr Freiräume in Bezug auf den privaten Lebensstil und die Lehrerlaubnis. Es gibt aber auch Kolleginnen und Kollegen, die sich aufgrund dieser Widersprüche zunehmend von der Kirche entfremden, weil sie die offizielle Linie nicht mehr mittragen können oder wollen. In manchen Fällen führen diese Spannungen sogar dazu, dass Lehrkräfte ihren Lehrauftrag zurückgeben.

Wie blicken Sie auf die Zukunft ihres Unterrichtsfachs?

Der Religionsunterricht wird sich an die säkularer werdende Gesellschaft anpassen und deutlich machen müssen, dass er Raum für ethische Diskussion und Reflexion sein kann. Er sollte aber auch zeigen, worin das Potenzial der christlichen Hoffnungsbotschaft für unsere Gesellschaft weiterhin liegt. In Regionen mit wenigen Schülern einer Konfession ist die konfessionelle Zusammenarbeit alternativlos. Diese Kooperation bietet aber auch die Chance, christliche Vielfalt zu vermitteln. Was mir Mut macht, ist, dass ich immer wieder erlebe, dass Schüler*innen durchaus offen sind für tiefgehende Fragen und für Themen, die sie zum Nachdenken anregen. Es gibt kein Desinteresse, sondern eher eine Neugier, wenn die Relevanz der Themen klar ist.