AboAbonnieren

Rückzug von PistoriusEin richtiger Schritt, aber viel zu spät

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Olaf Scholz soll die SPD in den Wahlkampf führen, nicht Boris Pistorius.

Olaf Scholz soll die SPD in den Wahlkampf führen, nicht Boris Pistorius.

Nun wird kübelweise Häme über die rote Trümmertruppe geschüttet, die mit ihrem abgehalfterten Regierungschef statt mit Publikumsliebling Pistorius in den Wahlkampf zieht.

Boris Pistorius hätte es besser wie Annalena Baerbock gemacht: Die Grünen-Frontfrau, die ihre Partei 2021 in die Bundestagswahl führte, hatte bereits im Sommer erklärt, sie stehe diesmal nicht als Kanzlerkandidatin zur Verfügung. Damals hatte niemand nach ihr gerufen. Trotzdem wurde sie für ihren ach so großmütigen Verzicht – zu Gunsten von Robert Habeck, wie man jetzt weiß – gelobt.

Auch Pistorius wurde – trotz seiner derzeit enormen Popularität in der Bevölkerung – erst einmal von niemandem in der SPD gerufen. Aber statt sich nach dem Ampel-Crash hinter den angeschlagenen Olaf Scholz zu stellen, aalte sich der Verteidigungsminister in seiner Popularität und schaute zwei ewige Wochen lang zu, wie die SPD sich selbst und ihren eigenen Kanzler demontierte.

Natürlich wird jetzt kübelweise Häme über die rote Trümmertruppe geschüttet, die mit ihrem abgehalfterten Regierungschef Scholz anstatt mit Publikumsliebling Pistorius in den Wahlkampf zieht. Nicht nur die FDP, auch die Union jubelt laut, zumindest nach außen. Nach innen gibt es bei den Konservativen aber auch eine gegenteilige Ansage: Pistorius wäre der viel leichtere Gegner für Friedrich Merz geworden, dem momentanen Stimmungsbild zum Trotz. Und dafür gibt es viele Gründe.

Themen des Wahlkampfes

Da sind zum einen die zentralen Themen, die den nun beginnenden Wahlkampf bestimmen dürften: Wie kommt die Wirtschaft wieder in Schwung? Wie können die Renten gesichert werden? Was wird aus dem Bürgergeld? Welche Steuern sollen gesenkt und welche angehoben werden?

Olaf Scholz hat in seiner kalten Wut-Rede nach dem Ampel-Aus und in seiner jüngsten Regierungserklärung schon inhaltliche Pflöcke eingerammt, die Merz in Bedrängnis bringen. Dass Pistorius im Duell mit dem Unionskandidaten in all diesen Fragen hätte bestehen können, bezweifeln auch viele an der SPD-Basis. Sie glauben, der Niedersachse hätte sich als Kanzlerkandidat noch viel schneller entzaubert als Martin Schulz vor sieben Jahren.

Da ist zum anderen die politische Ausrichtung der beiden SPD-Kontrahenten: Pistorius wird nachgesagt, eher für Taurus-Lieferungen an die Ukraine und für mehr Härte gegenüber Wladimir Putin zu sein. Damit ist er ein Außenseiter in der eigenen Partei. In Wirtschafts-, Sozial- und Rententhemen gilt er als eher konservativ. Das ist zwar gerade populär, aber ebenfalls das Gegenteil von dem, was die SPD-Zentrale will. Die hat längst einen Richtungswahlkampf gegen Einschnitte jeder Art entworfen, außer bei den Superreichen.

Vielleicht hätte Pistorius ja auch gerade wegen seiner Abgrenzung vom „SPD pur“-Kurs mehr Stimmen holen können. Wir werden es nie erfahren. Klar ist aber: Für den Start in den Wahlkampf der Genossen war das Gewürge der vergangenen zwei Wochen ein riesiges Desaster. Die Parteiführung ist blamiert. Statt Geschlossenheit herrscht Misstrauen. Und der Schwung, den Scholz mit dem furiosen Rauswurf von Christian Lindner und seiner querulantischen FDP aus der Ampel-Regierung erzeugt hatte, ist völlig verpufft.