AboAbonnieren

BundestagswahlDie drei wichtigsten Lehren für die NRW-SPD aus dem Wahl-Debakel

Lesezeit 4 Minuten
Düsseldorf: Sarah Philipp, Vorsitzende der SPD Nordrhein-Westfalen, gibt ein Pressestatement zum Ausgang der Bundestagswahl ab.

Düsseldorf: Sarah Philipp, Vorsitzende der SPD Nordrhein-Westfalen, gibt ein Pressestatement zum Ausgang der Bundestagswahl ab.

Aus eigenen Fehlern kann man lernen, von anderen Parteien auch. Eine Schnell-Analyse zeigt die Top 3 der Erkenntnisse nach der Bundestagswahl auf.

„Bitter“, „enttäuschend“, „historisches Debakel“: In der Einschätzung der Wahlniederlage sind sich prominente Sozialdemokraten aus Nordrhein-Westfalen einig. Bleibt die Frage, welche Konsequenzen die Landespartei aus der Bundestagswahl zieht. Wird es ihr gelingen, die Partei bis zur Kommunalwahl im Herbst, spätestens aber bis zur Landtagswahl 2027 wieder in die Spur zu bringen? Wenn sie diese drei Lehren zieht, könnte das gelingen.

1. Eine starke Persönlichkeit an der Spitze

Das Bundestagswahl-Desaster der SPD hat einen Hauptgrund, und der heißt Olaf Scholz. Er hat die SPD in einen Wahlkampf mit ihm an der Spitze gezwungen, den weite Teile der Partei, auch und gerade in NRW, so nicht wollten. Boris Pistorius hätte als Kanzlerkandidat wohl erheblich bessere Chancen gehabt. Dem populären Bundesverteidigungsminister hätten die Bürgerinnen und Bürger auch mehr zugetraut als Scholz.

Das heißt für die NRW-SPD, dass sie diesen Fehler – unpopulärer Kandidat – bei der Landtagswahl 2027 nicht wiederholen darf, sondern eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten aufbieten muss, die oder der für die Menschen interessant ist.

Das Problem der aktuellen Führungsriege in der SPD ist, dass die breite Öffentlichkeit sie nicht auf dem Schirm hat. Die Doppelspitze Sarah Philipp und Achim Post sowie Landtags-Fraktionschef Jochen Ott sind zwar in ihren Heimatstädten durchaus bekannt, aber schon in der Nachbarstadt würde sie kaum einer erkennen.

Eine Persönlichkeit mit bundesweiter Strahlkraft, die die NRW-SPD aufbieten könnte, ist Bärbel Bas, scheidende Bundestagspräsidentin aus Duisburg, die gerade für den Bundesvorsitz der SPD hoch gehandelt wird.

2. Von den Linken Wahlkampf lernen

Die Linkspartei war politisch schon fast tot, schien zum Opfer der Abtrünnigen Sahra Wagenknecht und ihres BSW zu werden. Doch in nur wenigen Wochen schaffte die Partei die Trendwende mit einer Mischung aus frischem Personal – Heidi Reichinnek und Jan van Aken – und den „Silberlocken“ Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch.

Beim Wahlkampf auf Social Media – vor allem auf TikTok – war die Linke in etwa so erfolgreich wie die AfD, die hier einen Erfahrungsvorsprung von etwa zehn Jahren hat. Der digitale „Shooting-Star“ Reichinnek versteht, was dem Social-Media-Publikum gefällt. Sie redet schnell wie ein Rapper, packt in zehn Sekunden Video mehr Aussagen als Olaf Scholz in zehn Minuten und attackiert Friedrich Merz so prägnant, als wäre sie dessen Haupt-Gegnerin.

Der Lohn: Die Linke punktet beim jungen Publikum. Ein Indiz ist die „U-18-Bundestagswahl“ (Jugendwahl), bei der die Linke mit 20,8 Prozent der Stimmen als Sieger hervorging und ihren Stimmanteil im Vergleich zu 2021 nahezu verdreifachen konnte.

Wenn die NRW ihren Social-Media-Wahlkampf weiter professionalisiert, erreicht sie wieder die Jugend und sichert sich damit die eigene Zukunft.

3. Zurück zu den Menschen

Das desaströse Wahlergebnis, vor allem aber das Erstarken der AfD in vielen Wahlkreisen im Ruhrgebiet zeigt, dass sich die SPD ausgerechnet von jenen Menschen entfernt hat, für die sie Politik machen möchte. Im Ergebnis der Bundestagswahl spiegelt sich tiefe Enttäuschung über die Ampel im Allgemeinen und über die Sozialdemokratie im Besonderen.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren immer mehr unter Druck geraten. Die Preise sind gestiegen, die Jobs sind nicht mehr so sicher wie früher, und sogar Menschen, die jahrzehntelang hart gearbeitet haben, werden am Ende mit einer miserablen Rente abgespeist. Außerdem haben die Zuwanderung und die jüngsten Terroranschläge viele Menschen auch in NRW tief verunsichert.

Die NRW-SPD muss zurück in jene Quartiere, in denen die AfD erstarkt, obwohl die den Bürgerinnen und Bürgern kein echtes soziales Angebot machen kann und will. An diesen Orten ist es mitunter ungemütlich, aber es lohnt sich, denn hier warten das wahre Leben und das volle Verständnis.

Die NRW-SPD ist auch gut beraten, sich von den Grünen abzusetzen und ihr Herzensthema „soziale Gerechtigkeit“ weit in den Vordergrund stellen. Eine Landtagsabgeordnete aus dem Rheinland, deren Wahlkreis alles andere als gutbürgerlich ist, sagte neulich: „Wenn ich hier mit jungen Leuten spreche, geht es nie darum, dass sich deren Eltern am Ende des Monats ein Lastenfahrrad kaufen, sondern darum, ob am Ende des Monats der Kühlschrank noch voll ist.“

Schließlich: Wer dicht bei den Menschen sein will, der sollte auch ihre Sprache sprechen. „Bahn-Chaos“ ist zum Beispiel ein Riesenthema, mit der viel zitierten „Schienen-Infrastruktur“ sollten sich indes Planer und Ingenieure beschäftigen. Wer rhetorisch immerzu abhebt, signalisiert: Ich bin keiner von euch.