AboAbonnieren

Interview

Pierre Littbarski
„Es macht wieder Spaß, der deutschen Mannschaft zuzuschauen“

Lesezeit 4 Minuten
Pierre Littbarski, damaliger Co-Trainer des Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg.

Pierre Littbarski (Archivbild von 2011)

Pierre Littbarski über alte Begegnungen, das deutsche Team, das Viertelfinale gegen Spanien und seine EM-Eindrücke

Pierre Littbarski spielte seinen Gegenspielern Knoten in die Beine und verzückte mit seinem trickreichen Spiel die Fußball-Fans. 30 Jahre nach seinem Karriereende ist der Weltmeister von 1990 in Hirschberg an der Bergstraße zu Hause. Im Interview mit Jörg Aberle verrät er, was er an seiner neuen Wahl-Heimat schätzt, wie er die EM erlebt und was er vom Viertelfinale gegen Spanien erwartet.

Herr Littbarski, was hat Sie in die Rhein-Neckar-Region geführt?

Das hat private Gründe und mit meiner Lebenspartnerin zu tun, die hier wohnt. Deshalb bin ich nach Hirschberg bei Weinheim gezogen.

Ist das Leben an der Bergstraße für Sie beschaulicher?

Hier zu leben ist nicht vergleichbar mit Köln oder Wolfsburg, wo ich lange gelebt habe. Beschaulich klingt immer etwas negativ. Es ist sehr angenehm in der Region und mit einer guten Lebensqualität verbunden.

Viele ehemalige Spieler und Trainer leben ebenfalls hier, wem sind sie schon begegnet?

Markus Babbel, der in Viernheim wohnt, laufe ich schon mal über den Weg. Eckhard Krautzun aus Heppenheim habe ich auf dem Marktplatz in Weinheim getroffen – dem Anlaufpunkt für Leute, die gutes Essen mögen und an guter Stimmung interessiert sind.

In der Nationalmannschaft haben Ihnen stets Abwehrspieler aus der Region den Rücken frei gehalten. Was hat diese ausgezeichnet?

Seriosität, Qualität und das Wissen, was man einbringen muss, damit die Mannschaft erfolgreich ist. Mit Hans-Peter Briegel war ich erst kürzlich noch Essen, Karlheinz Förster treffe ich schon mal im Stadion. Und Jürgen Kohler und Paul Steiner sehe ich öfters bei Spielen der Nationalmannschaft.

Tritt ihr Sohn Lucien sportlich in ihre Fußstapfen?

Er sucht nach der Station bei Greuther Fürth II in der Regionalliga einen neuen Verein und hält sich bei den vertragslosen Spielern unter Peter Neururer fit. Junge Spieler – er ist 21 – muss man langsam aufbauen. Das ist immer wichtig. Und man darf nicht zu schnell zu viel wollen.

Wie sieht ihr Alltag heute aus?

Ich halte Vorträge sowie Motivationsreden für Führungskräfte von Firmen. Ab Donnerstag bin ich auf der MS Europa und analysiere dort zehn Tage lang die Finalspiele der EM mit Toni Schumacher zusammen. Mir wird nicht langweilig.

Beim Achtelfinal-Sieg gegen Dänemark waren Sie im Stadion. Wie war Ihr Eindruck?

Die Stimmung in Dortmund war imposant. Kein Vergleich zu den Bundesliga-Spielen. Trotz des Regens und der Unterbrechung haben die Fans ausgelassen weitergefeiert.

Werden die Deutschen international durch die EM anders wahrgenommen?

Der generelle Tenor ist: Ihr Deutschen seid gar nicht so steif. Ihr seid gastfreundlich und ihr habt anscheinend südländisches Blut in euren Adern. Vollkommen anders als gedacht also. Das ist schon spannend.

Sie haben 73 Länderspiele absolviert. Welche Bedeutung hatte es für Sie, bei einem Turnier für Deutschland zu spielen?

Das war für mich eine große Ehre. Es hat enorm Spaß gemacht und war das i-Tüpfelchen neben den Bundesliga- und Europapokalspielen mit dem 1. FC Köln. Da konnte ich mich in einer anderen Umgebung mit wirklichen Topspielern beweisen.

Mit welchem Spieler aus dem DFB-Team identifizieren Sie sich?

Je öfter ich zuschaue, umso mehr Lieblinge habe ich. Ich schaue natürlich immer etwas auf meinen eigenen Spielstil, und wäre dann in erster Linie bei Florian Wirtz und Jamal Musiala. Aber auch Typen, die bodenständig rüberkommen wie Niclas Füllkrug, finde ich gut. Insgesamt ist da ein Wandel zu erkennen, es macht wieder Spaß, der Mannschaft zuzuschauen.

Kann man die EM mit dem Heimturnier von 1988 vergleichen?

Die Stimmung damals bis zum Aus im Halbfinale gegen die Niederländer war schon sensationell gewesen. Aber das heute ist noch mal eine Stufe höher. Diese Euphorie mit den Public Viewings gab es damals nicht. Wie sich die jungen Leute dafür begeistern, ist schon toll.

Wie stehen die Chancen für Deutschland im Viertelfinale gegen Spanien?

Es war schon beeindruckend, wie die Spanier auch gegen Georgien wieder gespielt haben. Sie spielen viel variabler als in den Vorjahren, es ist nicht mehr so das lange Ballgeschiebe von früher. Und sie haben speziell mit Nico Williams und Lamine Yamal zwei außergewöhnliche Außenbahnspieler mit viel Geschwindigkeit. Dazu noch spielstarke Mittelfeldspieler. Ich glaube, es wird ein 50:50-Spiel, das durch bestimmte Aktionen früh im Spiel in eine Richtung entschieden wird.

Sind die meisten Spiele der EM zu sehr auf Sicherheit angelegt?

Aus meiner eigenen Erfahrung sind bei einem Turnier vor allem das erste und auch das dritte Spiel von taktischem Verhalten geprägt. Das ist der Situation geschuldet. Insgesamt haben wir viele herzerfrischende Spiele gesehen, zum Beispiel Türkei gegen Georgien und auch die deutschen Spiele waren immer spannend. Dagegen war es bisher sehr anstrengend, England zuzuschauen. Insgesamt gefällt mir das Niveau besser als in den Vorjahren.