Grünen-Chefin Brantner betont die Bereitschaft der Partei zu Konsenslösungen bei Migration, warnt jedoch vor rassistischen Tendenzen. Wir haben mit ihr gesprochen.
Grünen-Chefin Brantner„Wir sind zu wirksamen Lösungen bereit, aber ohne Rassismus“
![Franziska Brantner, Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen](https://static.rundschau-online.de/__images/2025/02/07/013cfc39-a2b6-4857-a175-6278d5fa1f7f.jpeg?q=75&q=70&rect=0,242,4000,2250&w=2000&h=1366&fm=jpeg&s=e22c0821365d3e5b5854a37aaefdcbb1)
Franziska Brantner, Bundesvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen
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Grünen-Chefin Franziska Brantner legt im Asyl-Streit mit Friedrich Merz nach. Dauerhafte Grenzschließungen hätten fatale Folgen, und Mehrheiten mit Stimmen der AfD seien ein No-Go, sagt die Vertraute von Kanzlerkandidat Robert Habeck im Interview mit Tobias Schmidt. Eindringlich warnt Brantner zudem vor Rückschritten beim Klimaschutz nach der Wahl. Können die Grünen damit überzeugen?
Frau Brantner, der Streit über eine Begrenzung der irregulären Migration bleibt ein beherrschendes Wahlkampfthema. Sind die Grünen noch zu einem Konsens mit Union und SPD vor der Wahl bereit?
Wir waren und sind zu einem Konsens unter Demokraten beim Thema Migration bereit. Aber es geht nicht, dass Friedrich Merz weiterhin droht, „wenn ihr nicht alles genau so macht, wie ich es will, beschaffe ich mir wieder eine Mehrheit mit den Stimmen der Rechtsextremen“.
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Die Vorschläge von Robert Habeck für eine „Sicherheitsoffensive“, um die irreguläre Migration weiter zu begrenzen und schneller abzuschieben, wurde von den Grünen nach wenigen Stunden wieder kassiert. Wie soll der Konsens unter Demokraten denn dann aussehen?
Nein, im Gegenteil: Unser Kanzlerkandidat hat in der letzten Woche konkrete Vorschläge unterbreitet, und die kann jeder auf unserer Homepage nachlesen. Es geht um die Sicherheit aller Bürger vor so grausamen Gewalttaten wie in Aschaffenburg wie auch vor rassistischen Übergriffen.
Eine Kernfrage lautet: Sollte Deutschland Geflüchtete an den Grenzen zurückweisen, obwohl sie um Asyl bitten, weil sie ja aus einem sicheren EU-Land kommen und nicht bedroht sind. Warum sollten diese Zurückweisung nicht möglich sein?
Diese Menschen können nach EU-Recht in das sichere EU-Land innerhalb von sechs Monaten zurückgeführt werden. Das gelingt häufig nicht, weil die Verfahren länger als sechs Monate dauern. Hier wollen wir ansetzen und sie massiv beschleunigen. Und wir haben eine bessere europäische Lösung erreichen können, die ab 2026 greifen wird: Die Verfahren werden – sobald die Reform der EU-Regeln im kommenden Jahr in Kraft tritt – an den Außengrenzen erledigt. Und dafür lassen wir die Grenzen innerhalb der EU offen. Die CDU kann dieser Reform in der kommenden Woche noch im Bundestag zustimmen. Dauerhafte Grenzschließungen zu unseren Nachbarn brächten so gravierende Probleme, nicht nur für Pendler und Warenströme. Wir würden uns den Zorn der anderen EU-Staaten zuziehen. Das wäre aus zwei Gründen geradezu irre.
Aus welchen?
Erstens: Friedrich Merz würde den europäischen Kompromiss aufkündigen. Wenn wir uns nicht an die Regeln halten, warum sollten die Länder an den Außengrenzen der EU dann die Asylverfahren bei sich durchführen? Zweitens sind gerade wir Deutschen auch aus wirtschaftlichen Gründen auf Solidarität in der EU angewiesen. Wir sollten zusammenstehen, um uns zum Beispiel gemeinsam gegen Trumps Zoll-Drohungen zu wehren. Denn davon würden wir als Exportnation besonders getroffen. Dass Herr Merz diese Konsequenzen nicht sieht, ist kurzsichtig.
Aber Deutschlands Kommunen, Behörden und auch viele Bürger sagen: Es sind längst zu viele Migranten da, wir schaffen es nicht mehr!
Auch wir sehen, dass es an etlichen Stellen hakt und vor Ort geholfen werden muss. Wir sind zu wirksamen Lösungen bereit, aber ohne Rassismus. Ich möchte daran erinnern, dass die Ampel-Regierung viele Beschlüsse gefasst hat, die Wirkung zeigen: Die Zahl der Asylanträge ist im vergangenen Jahr um ein Drittel zurückgegangen, die Zahl der Abschiebungen ist um 20 Prozent hochgegangen. Aber es gilt eben auch: Wir sind darauf angewiesen, dass Menschen weiterhin zu uns kommen, mit anpacken. Und wir sind dankbar für jene, die das heute schon tun, ob in der Pflege, beim IT-Unternehmen oder im Maschinenbau.
Vom Asylstreit zur Wirtschaftskrise. Die Antwort der Grünen darauf lautet: Wir subventionieren die Unternehmen, die wir gut finden, und machen den Strom billiger – und bezahlen das durch mehr Schulden. Ist das korrekt wiedergegeben?
Nein. Wir wollen in Jobs und Wohlstand investieren. Dazu zählt erstens die Sanierung von maroder Infrastruktur wie Brücken oder die Bahn – und dies wo nötig auch über Kredite. Zweitens eine steuerliche Investitionsprämie für alle Unternehmen, die hier investieren. Drittens die Energie dauerhaft günstig machen. Dabei sind die Gestehungskosten der Erneuerbaren sehr günstig, die zu hohen Kosten kommen durch den Netzausbau. Bislang mussten die Stromkunden das über Netzentgelte bezahlen. Das geht nicht mehr, weil der Strom dadurch zu teuer würde, und das ist auch nicht normal. Die Bahngleise wurden auch nicht von den ersten Passagieren bezahlt, die Abwasserleitungen nicht von den ersten Toilettenbenutzern. Analog wollen wir die Kosten für den Netzausbau auf die Generationen strecken, weil eine gelingende Energiewende das Leben der künftigen Generationen besser macht.
Ist das genug, um wieder Schwung in die Wirtschaft zu bringen?
Die dauerhafte Senkung der Energiepreise ist ein entscheidender Schritt, nicht nur für die Industrie, sondern auch für Privatkunden. Wenn der Strom richtig günstig wird, kaufen die Menschen auch mehr E-Autos und Wärmepumpen.
Energiepreise sind zentral, aber reicht deren Senkung wirklich aus?
Natürlich nicht allein. Es braucht auch gewaltige Investitionen der Unternehmen, die wir durch Prämien ankurbeln wollen, sowie öffentliche Investitionen in Bahn, Schulen, Brücken und ganz vieles mehr. Dafür schlagen wir einen Deutschlandfonds vor. Zusätzlich brauchen wir schnellere Verfahren, mehr Tempo bei der Digitalisierung und weniger Bürokratie. Und wir brauchen mehr qualifizierte Fachkräfte, und dazu können auch Geflüchtete werden.
Die Union will diesen sogenannten Spurwechsel stoppen, das sehen Sie kritisch?
Ich habe diese Woche bei einem Pflegedienst mitgeholfen. Der Leiter war sehr betroffen, als er mir den Brief einer ukrainischen Mitarbeiterin zeigte, die Angst hat, abgeschoben zu werden, weil ihr Aufenthaltstitel bald abläuft. Bei dem Dienst arbeiten 120 Kräfte mit 52 verschiedenen Nationalitäten. Der Chef hat mir gesagt: Wenn alle diese Leute zurückmüssen, muss ich hier dicht machen, und die älteren Herrschaften können nicht mehr gepflegt werden. Wenn die Union den Spurwechsel von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt wirklich stoppen will, hätte das für die Wirtschaft harte Folgen. Wir müssen im Gegenteil die Wege in den Arbeitsmarkt erleichtern. Die Leute wollen doch schaffen und kein Bürgergeld kassieren. Das ist ein dreifacher Gewinn: Entlastung für die Kommunen, Eigenständigkeit und leichtere Integration für die Geflüchteten und Arbeitskräfte für die Betriebe.
Nochmal zurück zu den Energiekosten. Wie glaubwürdig ist das Versprechen der Grünen, diese dauerhaft zu senken, wenn es in der Ampelzeit nicht geklappt hat?
Darf ich kurz an die Energiekrise nach Russlands Angriff auf die Ukraine erinnern? Die Gasspeicher waren fast leer und die Preise sind explodiert. Doch Robert Habeck hat uns gut durch diese Krise navigiert und mit milliardenschweren Hilfspaketen für Industrie und Haushalte und mit LNG-Importen dafür gesorgt, dass wir diesen Winter nicht frieren mussten. Die Preise sind inzwischen wieder auf Vorkrisenniveau gesunken, aber in den USA und anderswo ist die Energie noch deutlich billiger, und wir müssen die Ausbaukosten erst in den Griff bekommen. Und wie das klappen kann – durch Senkung von Netzentgelten und Stromsteuern – dafür haben wir ja einen konkreten Vorschlag gemacht.
Bei der Senkung der Energiekosten sind Sie mit der Union auf einer Linie…
…die Union hat unsere Forderungen für ihr Sofortprogramm fast 1:1 übernommen und hätte im Bundestag längst zustimmen können…
…bei der Rettung der Autoindustrie nicht. CDU und CSU versprechen, das sogenannte EU-Verbrennerverbot nach der Wahl zu kippen. Wären die Grünen dazu bereit?
Die Wirtschaft braucht langfristige Planbarkeit. Die EU hat sich geeinigt, dass neue Autos ab 2035 klimaneutral fahren müssen. Die effizienteste Lösung sind dabei E-Autos, und die ausländische Konkurrenz hat längst gute und billige E-Autos im Angebot. Unsere Industrie braucht beim Hochlauf der E-Mobilität mehr Unterstützung, wir schlagen deshalb Kaufprämien für E-Autos aus Europa, Leasingangebote für einkommensschwache Haushalte, Stromtankgutscheine und eine bessere Ladeinfrastruktur vor.
Bei einer grünen Regierungsbeteiligung würde Deutschland in Brüssel dann auf gar keinen Fall für eine Rücknahme des Verbrennerverbotes stimmen?
Die Industrie sagt doch selbst: Hört auf mit dem Hickhack, gebt uns Planbarkeit!
Ein „Nein“ geht Ihnen nicht über die Lippen?
An alter Technologie festhalten ist doch noch nie das Erfolgsrezept unserer Industrie gewesen, sondern die Innovation.
Nicht nur beim Auto, insgesamt gerät das europäische Klimaschutzprogramm „Green Deal“ massiv unter Beschuss. Braucht Europa eine Pause im Kampf gegen die Erderwärmung?
Je nachdem, wie der Klimawandel fortschreitet, liegen die Folgekosten dafür bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden Euro. Das ist eine enorme Belastung für private Haushalte, die Wirtschaft und den Bundeshaushalt und weit mehr als das, was wir jetzt in Klimaschutz investieren. Das Klima zu schützen ist unsere Lebensversicherung. Wir haben Ziele zur Minderung der Treibhausgasemissionen beschlossen. Wir können uns deswegen keine Verschnaufpause leisten. Aber wir müssen es besser machen. Das ist die Aufgabe.
Was heißt besser?
Wir achten darauf, dass Klimaschutzmaßnahmen sozial ausgewogen und praktikabel sind, etwa indem wir den Green Deal pragmatisch umsetzen wollen. Aber ein Schleifen der Klimaschutzziele würde uns zurückwerfen, denn auch die Welt um uns herum, allen voran China, hat sich ja längst auf den Weg gemacht und ist uns teilweise - Stichwort E-Autos – schon voraus.