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Interview

Zuwanderungsrecht
Darf man Asylbewerber an der Grenze zurückweisen, Herr Bosbach?

Lesezeit 5 Minuten
Wolfgang Bosbach lehnt an einer Wand.

Wolfgang Bosbach (CDU) war von 1994 bis 2017 Mitglied des Bundestages als direkt gewählter Abgeordneter aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis. Von 2009 bis 2009 war er CDU-Fraktionsvize, dann bis 2015 Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag.

Die CDU will das Zuwanderungsrecht massiv verschärfen. Wie immer man das politisch bewertet – wäre es rechtlich überhaupt umsetzbar? Wolfgang Bosbach, Jurist, Experte für Innenpolitik und langjähriger CDU-Abgeordneter im Bundestag, nimmt dazu Stellung.

Herr Bosbach, sind die Forderungen zum Ausländer- und Asylrecht, mit denen Ihre Partei in den Bundestagswahlkampf geht, juristisch überhaupt umsetzbar? Besonders heftig umstritten: Zurückweisungen an der Grenze. Geht das überhaupt?

Ich muss erst einmal ein Missverständnis aufklären. Anders als viele glauben, sind mit dem Schengen-Vertrag die Förmlichkeiten beim Grenzübertritt nicht entfallen. Ob kontrolliert wird oder nicht: Ausweis- und Passpflicht sind geblieben. Je nach Herkunftsland – und für alle Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern gilt der Visumzwang – ist auch ein Visum erforderlich. Deshalb weisen wir Tag für Tag an unseren Grenzen Personen zurück, denen solche Papiere fehlen oder gegen die eine Einreisesperre vorliegt. Bei Reisenden, die ein Asylbegehren vorlegen, tun wir das aber nicht. Auch wenn keinerlei Dokumente vorliegen. Das wird mehr und mehr zum Problem.

Bundesrepublik müsste Notlage sehr genau darlegen

Aber das liegt doch daran, dass wir es nach dem Europarecht nicht tun dürfen, sondern solche Asylanträge zu prüfen haben!

Nach Artikel 16a Absatz 2 Grundgesetz können Schutzsuchende, die auf dem Landweg kommen, in Deutschland kein Asyl beantragen. Denn Deutschland ist ausnahmslos von sicheren, verfolgungsfreien Staaten umgeben. Aber das europäische Recht überlagert das nationale, siehe Artikel 23 I Grundgesetz. Bei einer Rechtskollision hat es in der Tat Vorrang. Aber: Artikel 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU regelt, dass bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Zuständigkeit für die Abwehr derartiger Gefahren wieder bei den Mitgliedsstaaten liegt. Diese Voraussetzung müsste die Bundesrepublik allerdings sehr sorgfältig und ausführlich darlegen.

Auf diesen Artikel 72 beruft sich Finnland, um vom russischen Regime an seine Ostgrenze gebrachte Asylsuchende abweisen zu können. Also an einer EU-Außengrenze und angesichts einer massiven hybriden Bedrohung. Können wir uns in Deutschland ernsthaft auf eine vergleichbare Gefahrenlage berufen? Man wird uns doch vorhalten: Ihr hättet allein in den letzten beiden Jahren 100.000 Menschen nach dem Dublin-III-Abkommen in andere EU-Staaten zurückschicken können, habt das aber nur in 11.000 Fällen getan. Also schöpft erstmal die bestehenden Möglichkeiten aus.

Leider belegt ein Lagebild des BKA sehr wohl einen Zusammenhang zwischen irregulärer Migration und strafbarem Verhalten. Allerdings nicht pauschal, sondern sehr differenziert. Vereinfacht gesagt: Junge bindungslose Männer aus bestimmten Herkunftsstaaten, siehe Kölner Silvesternacht 2015/2016, da sind auffallend viele Problemfälle darunter. Und: Rückführungen sind nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten möglich - das klappt nicht immer. Auch weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach eigenen Aussagen zu stark überlastet ist.

Dauerhafte Grenzkontrollen können nicht erwünscht sein

Grundsätzlich sind stationäre Grenzkontrollen im Schengen-Raum abgeschafft. Wenn wir sie auf Dauer wieder einführen, sprengen wir nicht den Schengen-Vertrag?

Dauerhaft kann das nicht gewünscht sein. Aber zumindest so lange, bis die irregulärere Migration wieder deutlich zurückgegangen ist. Das ist ja auch das Ziel der EU. Es liegt in ihrer Verantwortung, die Außengrenzen besser zu schützen.

Und rein pragmatisch: Bei 3900 Kilometern Grenze wird es immer Lücken geben. Wir weisen jemanden dreimal ab, beim vierten Mal schlüpft er durch. Und dann?

Berechtigter Hinweis! Natürlich werden wir auch mit einer Kombination von Grenzkontrollen plus Schleierfahndung nicht jeden unerlaubten Grenzübertritt verhindern können, beispielsweise bei Nacht über grüne Grenzen, aber wir können und müssen das Entdeckungsrisiko für illegale Migranten, Schlepper und Schleuser deutlich erhöhen.

Was soll es bringen, im Aufenthaltsgesetz, Paragraf 1, das Begriffspaar „Steuerung und Begrenzung“ von Migration wieder einzuführen?

Wir brauchen im Migrationsrecht beides: Humanität und Ordnung. Deshalb stand diese Formulierung 20 Jahre lang so im Gesetz – ein Kompromiss, den Rot-Grün mit dem damaligen Innenminister Otto Schily mit den unionsgeführten Ländern im Bundesrat ausgehandelt habe. 2023 wurde dann auf Druck der Grünen das Wort „Begrenzung“ gestrichen. Seitdem ist die Begrenzung der Migration kein gesetzgeberisches Ziel mehr. Und allerdings: Das will die Union wieder ändern.

Thema Begrenzung: Heftig umstritten ist da die Forderung, den Familiennachzug zu subsidiär Geschützten zu unterbinden. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Dies war einmal, zeitweise, geltendes Recht. Es geht ausdrücklich und ausschließlich um die Aussetzung des Familiennachzuges zu Personen, die grundsätzlich kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben. Beispiel: Flüchtlinge aus Syrien, die jetzt auch nach den jüngsten Vorschlägen der Bundesinnenministerin ausreisepflichtig wären.

Kompromiss bei Familiennnachzug denkbar

Wenn ich es richtig sehe, geht es um Kontingente von 1000 Personen im Monat. Ist so eine Zahl überhaupt relevant?

Es geht keineswegs nur um diese 1000 Personen, sondern um die Ausreisepflicht derjenigen, zu denen sie ziehen wollen! Der Staat verhält sich widersprüchlich, wenn er auf Ausreisepflicht beharrt, aber zuvor den Familiennachzug gestattet. Hier halte ich einen Kompromiss für möglich: Zeitliche Befristung und Konkretisierung des Personenkreises, der hiervon betroffen sein soll. Das häufigste Gegenargument „Familiennachzug erleichtert die Integration“ zieht nicht bei Personen, die ausreisepflichtig sind.

Ferner verlangt die Union eine unbegrenzt lange Inhaftierung von ausreisepflichtigen Personen. Dazu sagt der Verfassungsrechtler Thomas Groß: Das verstößt gegen das Grundgesetz. Selbst wer zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt ist, muss eine Chance haben, wieder rauszukommen.

Entschuldigen Sie, aber schon der Begriff Inhaftierung ist irreführend. Die Betroffenen können die Einrichtung doch jederzeit verlassen, wenn sie eben ausreisen. Ich finde es umgekehrt erstaunlich, wie wir es achselzuckend hinnehmen, dass viele Ausreisepflichtige nicht von sich aus das Land verlassen. Abschiebungen sind mit vielen faktischen Problemen verbunden, das Untertauchen der Betroffenen ist nur eines davon.

Aber wir haben doch immer wieder das Problem, dass Herkunftsländer die Ausreisepflichtigen nicht wieder aufnehmen.

In der Tat. In solchen Einrichtungen könnten nur Personen untergebracht werden, bei denen die Ausreise auch tatsächlich in absehbarer Zeit möglich wäre. Eine zeitlich unbefristete Einquartierung dürfte rechtlich problematisch sein. Das gilt auch für bestimmte Einzelfälle wie schwer erkrankte Personen oder werdende Mütter kurz vor der Geburt. Und: Wir müssten die Einrichtungen auch erst einmal schaffen. Wir können dafür sicher nicht in Gefängnissen Platz schaffen.

Letztes Thema: erweiterte Rechte der Bundespolizei bei Haftbefehlen – gerät da nicht die Gewaltenteilung in Gefahr?

Der Einwand, da sei ein Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung geplant, ist abwegig. Die Bundespolizei soll nicht von sich aus Haftbefehle erlassen dürfen, sondern nur beantragen! Kein kleiner, sondern ein großer Unterschied. Es soll also nur der Umweg über die Staatsanwaltschaft entfallen. Über den Antrag selber müsste ohnehin ein Gericht entscheiden. Die Gewaltenteilung bleibt gewahrt.