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Interview

Arbeitgeberchef Rainer Dulger
„Wir müssen mehr und länger arbeiten“

Lesezeit 5 Minuten
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger

Arbeitgeberchef Rainer Dulger schimpft über „Rente mit 63“ und erklärt, wie Deutschland wieder nach vorne kommen könnte

In der internationalen Presse wird die deutsche Arbeitsmoral kritisch beäugt. Ein im internationalen Vergleich großer Teil der Deutschen arbeitet etwa in Teilzeit. Das kann so nicht weitergehen, sagt BDA-Präsident Rainer Dulger im Interview mit Sören Becker.

Herr Dulger, man hört immer wieder, dass die Deutschen zu faul sind und zu viel Teilzeit machen. Muss mehr Einsatz kommen?

Ich habe die Deutschen noch nie als faul wahrgenommen. Ich habe Deutschland immer als ein Land erlebt, das viel Erfindungsreichtum in sich trägt – mit vielen starken mittelständischen Unternehmen als Motor unserer Wirtschaft und engagierten Menschen, die mit Freude und Leidenschaft arbeiten. Den meisten Menschen ist dabei wichtig, dass die Arbeit erfüllend ist und Freude macht. Aber eines ist klar: Wenn wir weniger arbeiten, werden wir den Wohlstand in diesem Land nicht länger halten können.

Müssen wir dann mehr arbeiten?

Ja, das werden wir in Zukunft wohl müssen, wenn wir unseren Wohlstand halten wollen. Mir ist aber etwas anderes viel wichtiger: Dass Arbeit sich wieder lohnt. Bezahlte Überstunden bedeuten häufig, dass man einen höheren Steuersatz zahlen muss. Unterm Strich bleibt da kaum etwas von dem zusätzlichen Verdienst übrig, obwohl man deutlich mehr gearbeitet hat. Arbeit muss wieder einen Wert haben und das bedeutet: mehr Netto vom Brutto.

Aber nicht mehr Brutto?

Ich arbeite mit unserem Familienunternehmen in der Metall- und Elektroindustrie. Wir haben wie viele in der Branche immer wieder Situationen mit einem erhöhten Arbeitsaufkommen. Dann sind Wochenendschichten oft nicht zu vermeiden. Und obwohl wir die tariflichen Zuschläge zahlen, höre ich von der Belegschaft immer häufiger: „Ich würde ja gerne mehr arbeiten, aber das lohnt sich finanziell einfach nicht“. Eben wegen der hohen Steuern und Abgaben. Gleiches gilt für die gut bezahlten Nachtschichten. Deshalb nochmal mein dringender Appell an die Politik: Wer mehr arbeiten möchte und kann, muss auch mehr verdienen dürfen.

Viele Unternehmen haben mit der Vier-Tage-Woche experimentiert und durchaus gute Erfahrungen gemacht.

Eine flächendeckende Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich bleibt eine Illusion. Die Regelarbeitszeit liegt in meiner Branche – in der Metall- und Elektroindustrie – beispielsweise nur bei 35 Stunden in der Woche. Dort, wo es möglich ist, ist es einerlei, ob diese Beschäftigten die Arbeitszeit in vier oder fünf Tagen die Woche erbringen. Hauptsache, sie erbringen ihre Arbeit effizient. Einen anstrengungslosen Wohlstand wird es nicht geben. Es gibt immer noch viele Menschen, die ackern und den Laden am laufen halten. Aber in Teilen ist dieses Land zu wenig hungrig auf Erfolg geworden. Anders gesagt: Wir brauchen mehr Ehrgeiz in der Veränderung. Das fängt bei den Verantwortlichen in der Bundesregierung an.

Man hört immer wieder Geschichten über Menschen, die kündigen und lieber Bürgergeld nehmen, auch wenn das statistisch nicht zu belegen ist. Wo ist da der Wurm drin?

Das liegt auf der Hand. Der Abstand zwischen den niedrigen Gehaltsgruppen und den Bürgergeldempfängern ist zu niedrig und schrumpft mit jeder Bürgergelderhöhung weiter. Wenn man ein paar Kinder hat und in einer teuren Stadt lebt, wird der Unterschied zu einem niedrigen Lohn schnell ziemlich schmal. Wir haben mit den Sozialleistungen in den letzten Jahren einfach übertrieben. Das muss korrigiert werden.

Wenn wir weiter Wirtschaftswachstum haben wollen, aber nicht mehr Menschen haben, die arbeiten: müssen wir dann aus den bestehenden Arbeitskräften mehr Wert schöpfen …

Das wird nicht gehen. Durch Effizienzsteigerung können wir die Demografie nicht ausgleichen.

… oder mehr auf Zuwanderung setzen?

Auch das wird allein nicht reichen. Wir müssen mehr und länger arbeiten. Dabei müssen wir effizienter, automatisierter und digitaler sein. Und wir müssen alle inländischen Potenziale ausschöpfen – sprich die Schulabbrecherquote senken und mehr Frauen, die ja auch mehr Stunden arbeiten wollen, dies ermöglichen etwa durch bessere Kinderbetreuungsangebote. Und wir müssen natürlich auch ganz gezielt qualifizierte Arbeitskräfte ins Land holen. In all diesen Punkten hat die Bundesregierung bis jetzt keine befriedigenden Lösungen aufgezeigt. Die Erkenntnis ist da, aber das ist noch kein Handeln.

Wer den Sprung an den Schreibtisch nicht schafft, kann aber irgendwann nicht mehr aufs Dach klettern. Die Pläne der FDP, die sogenannte „Rente mit 63“ abzuschaffen, haben Sie positiv aufgenommen.

Wir Arbeitgeber fordern schon sehr lange, dass die abschlagsfreie Frühverrentung abgeschafft werden muss. Das war ein großer Fehler. Die Wahrheit ist: Immer weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Rentner finanzieren. Dass es da früher oder später ein Loch in der Kasse gibt, ist klar. Das müssen wir zunehmend aus Steuermitteln finanzieren und das kann auf die Dauer nicht so weitergehen. Meine klare Erwartung ist, dass die Bundesregierung einen jährlichen Bericht darüber ablegen muss, wie nachhaltig die fünf Sozialversicherungen finanziert sind. Dieser müsste dann im Bundestag debattiert werden. Es gibt so viele Berichte, aber keinen über unsere Sozialen Sicherungssysteme. Die Politiker haben Angst um ihre Wiederwahl, wenn sie dieses Thema anfassen.

Sie wollen das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln. Wo sollte es im Moment liegen?

Eine Zahl zu nennen, halte ich nicht für zielführend. Das steht dann wieder drei Tage in der Zeitung und alle regen sich auf. Am Ende ist nichts gewonnen. Zu einer ehrlichen Debatte kommt es dabei nicht. Wichtig ist mir, dass wir anfangen, darüber ehrlich zu diskutieren, und zu Lösungen kommen, die möglichst breit getragen werden.