Interview

Ifo-Präsident Clemens Fuest
„Derzeit lohnt es sich für viele kaum, zu arbeiten“

Lesezeit 6 Minuten
„Der Druck, Löhne zu erhöhen, wird eher noch zunehmen“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest.

„Der Druck, Löhne zu erhöhen, wird eher noch zunehmen“, sagt Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Immer mehr Unternehmen streichen Stellen, die Meldungen über Jobkahlschläge reißen nicht ab. Ist der Fachkräftemangel damit passé? Fragen an Ifo-Chef Fuest.

Findet die neue Macht der Arbeitnehmer schon bald wieder ein jähes Ende? Auch ob der Stellenabbau einen Effekt auf Gehaltsverhandlungen hat, erklärt Ifo-Präsident Clemens Fuest im Gespräch mit Hannah Petersohn.

Herr Fuest, kein Tag vergeht, ohne dass ein Unternehmen einen Stellenabbau ankündigt. Gehört der Fachkräftemangel also bald der Vergangenheit an?

Nein, die Fachkräfteknappheit bleibt uns erhalten. Dass es immer auch Unternehmen gibt, die Arbeitsplätze abbauen, gehört zum normalen Strukturwandel. Derzeit haben vor allem die energieintensiven Branchen Schwierigkeiten, deshalb bauen sie Arbeitsplätze ab. Da das oft gut bezahlte Jobs sind, sollte man das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Trotzdem: Für einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit spricht derzeit nichts.

Warum ändert das nichts an dem Fachkräftemangel?

Weil in den kommenden Jahren die Generation der Babyboomer in Rente geht und deutlich weniger junge Menschen nachkommen. Der demografische Wandel und der allgemeine Trend zu mehr Teilzeitbeschäftigung werden dafür sorgen, dass das Angebot an Arbeitskraft in Deutschland sinkt. Politik und Gesellschaft können Maßnahmen ergreifen, um die Schrumpfung des Arbeitsangebotes zu lindern, ganz zu vermeiden ist sie nicht.

Also wandelt sich der Arbeitnehmermarkt nicht hin zu einem Arbeitgebermarkt?

Nein, es wird bei einem Arbeitnehmermarkt bleiben. Die Unternehmen und die öffentlichen Arbeitgeber werden sich einiges einfallen lassen müssen, um am Arbeitsmarkt zu bestehen und die richtigen Beschäftigten an sich zu binden. Dieser Konkurrenzdruck wird wachsen.

Welchen Effekt wird der grassierende Stellenabbau auf Gehaltsverhandlungen haben?  

Insgesamt wird der Druck, Löhne zu erhöhen, eher noch zunehmen, weil Arbeitskräfte immer knapper werden. In den Unternehmen, die Arbeitskräfte abbauen, wird es sicher zu einem lohndämpfenden Effekt kommen, aber flächendeckend geht es eher in die andere Richtung.

Wenn die Arbeitslosenquote doch steigen sollte: Könnte das den dringend notwendigen Wirtschaftsreformen endlich Auftrieb geben?

Eine krisenhaft steigende Arbeitslosigkeit ist trotz der Entlassungen in einzelnen Unternehmen nicht in Sicht. Druck zu Reformen dürfte eher dadurch entstehen, dass die Einkommen nur sehr langsam wachsen. Falls mittelfristig Sozialversicherungsbeiträge und Steuern erhöht werden, um die Renten, die Gesundheitsversorgung und die Pflege einer wachsenden Zahl älterer Menschen zu finanzieren, werden vor allem die Nettoeinkommen stagnieren. Das wird es erschweren, junge Menschen zu motivieren, zu arbeiten.

Welche Wirtschaftsreformen braucht es kurz- und langfristig betrachtet ganz besonders?

Am Arbeitsmarkt geht es darum, die Bedingungen so zu verändern, dass Menschen bereit sind, mehr zu arbeiten. In unserem Transfersystem einschließlich Bürgergeld und Wohngeld gibt es Fehlentwicklungen, die dazu führen, dass es sich für viele Menschen in den unteren und mittleren Einkommensbereichen kaum lohnt, zu arbeiten. Die Rente ab 63 schafft ebenfalls Anreize, weniger zu arbeiten. Viele Eltern arbeiten nur in Teilzeit, weil es immer noch an Kinderbetreuung fehlt. Deutschland könnte deutlich mehr tun, um ausländische Arbeitskräfte ins Land zu bringen. Natürlich brauchen wir auch auf anderen Gebieten Reformen: Wir haben in den letzten Jahren viel unsinnige Bürokratie aufgebaut, etwa im Kontext der Bemühungen um nachhaltiges Wirtschaften, das sollte korrigiert werden. Die Steuern in Deutschland sind so hoch, dass viele Investoren lieber ins Ausland gehen. Wir könnten mehr für eine gute Infrastruktur und für Forschung und Entwicklung tun.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, kritisiert, dass in den vergangenen 80 Jahren einer jungen Generation nie so viele Probleme und Krisen vererbt worden seien. Wie sehen Sie das?

Man sollte die Kirche im Dorf lassen. Keine Generation vorher war so gut ausgebildet wie die aktuelle, keine verfügt über so viel Wohlstand, keine Generation zuvor hatte so gute Arbeitsmarktperspektiven und ist so wenig von Arbeitslosigkeit bedroht. Ja, es gibt Herausforderungen wie den Klimaschutz, die Staatsverschuldung oder Nachholbedarf bei der Infrastruktur, aber man muss das Gesamtbild sehen.

Welche Folgen für die Wirtschaft prognostizieren Sie angesichts der Zustimmung für rechtspopulistische Parteien gerade innerhalb der jüngeren Wählerschaft?

Schädlich für die Wirtschaft ist insbesondere eine Atmosphäre der Fremdenfeindlichkeit, die von rechtspopulistischen Parteien verbreitet wird. Problematisch wäre darüber hinaus eine Regierungsbeteiligung von Parteien, deren Treue zum Grundgesetz infrage steht. Wenn Unternehmen derartige Standorte meiden können, werden sie das tun.

Was müsste seitens der Wirtschaft und Politik getan werden, um das demokratische Gefüge zu schützen?

Man sollte meines Erachtens vor allem mit den Gruppen im Gespräch bleiben, die mit rechts- oder linksradikalen Parteien sympathisieren, aber nicht ganz und gar ideologisch verhärtet sind. Gewalt und Hetze dürfen nicht toleriert werden, sie müssen mit allen Mitteln bekämpft werden, die der Rechtsstaat bietet.

Deutschland liegt international bei den Investitionen am unteren Ende der Skala. Um öffentliche Investitionen anzukurbeln, könnte man doch ein Aussetzen der Schuldenbremse in Betracht ziehen?

Mehr Raum für Verschuldung zu eröffnen, führt nicht automatisch zu mehr öffentlichen Investitionen. Das Problem besteht darin, dass die Politik Konsum gegenüber Investitionen priorisiert. Eine Lockerung der Schuldenbremse würde mehr Konsum auf Pump nach sich ziehen. Die Schuldenbremse ist nicht perfekt, aber sie hat sich meines Erachtens bewährt. Statt sie zu reformieren, sollten Regierung und Opposition sich zusammensetzen und zwei Dinge tun. Erstens konsumtive Ausgaben im Bundeshaushalt (Ausgaben, die im laufenden Haushaltsjahr von Nutzen sein sollen, Anm. d. Red.) kürzen und die Mittel in Investitionen umschichten. Wenn das geschafft ist, könnte man in einem Sondervermögen ergänzend Schulden aufnehmen. Die Mittel könnten in Investitionen für Digitalisierung, Infrastruktur und Dekarbonisierung fließen. Wir sollten außerdem nicht vergessen, dass knapp 90 Prozent aller Investitionen private Investitionen sind. Hier müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden.

Das Rentenpaket II wäre das „teuerste Sozialgesetz des Jahrhunderts“, bemängeln Kritiker. Aktuell steht die Reform auf der Kippe. Woran krankt aus Ihrer Sicht das Rentenpaket?

Das Rentenpaket ist ein Beispiel dafür, dass die Politik in großem Umfang Geld für sozialstaatliche Zwecke ausgibt und dann beklagt, dass Mittel für Investitionen fehlen. Kernproblem des Rentenpakets II ist, dass es das Rentenniveau bei 48 Prozent stabilisieren will, aber unklar ist, wie das finanziert werden soll. Die anstehende Pensionierungswelle führt zu hohen Belastungen für die Rentenversicherung, und die Politik verweigert die Befassung mit der Frage, wie diese Lasten bewältigt werden sollen, vermutlich weil damit unpopuläre Entscheidungen verbunden sind.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hält das Recht auf Teilzeit für einen Fehler, er fordert eine 40-Stunden-Woche für alle. Eine gute Idee?

Darauf hinzuweisen, dass sinkende Arbeitszeiten das Problem der Ar-beitskräfteknappheit verschärfen, ist sicherlich richtig. Eine 40-Stunden-Woche für alle wäre allerdings zu rigide und unflexibel, um das Problem zu lösen, und so rigide hat Herr Kretschmer das sicherlich nicht gemeint. Erwerbsarbeit muss im Vergleich zu Nicht-Arbeit attraktiver werden.

Das Bürgergeld steht im Verdacht, kaum Anreize zu schaffen, damit Menschen sich wieder in Arbeit begeben. Sollte das Bürgergeld wieder abgeschafft werden?

Es geht im Kern weniger um eine Abschaffung als um eine Reform, die dafür sorgt, dass es sich lohnt, zu arbeiten, statt staatliche Transfers zu beanspruchen. Derzeit lohnt es sich für viele Menschen in Deutschland kaum, zu arbeiten. Das liegt nicht nur am Bürgergeld, sondern der Kombination mit anderen Sozialleistungen, unter anderem dem Wohngeld. Hier sind Reformen dringend erforderlich.

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