Eine neue Studie zeigt, dass in NRW wieder mehr Menschen aufs Land ziehen. Für die Entwicklung gibt es mehrere Gründe.
Neue StudieWarum in NRW so viele Menschen aus der Stadt zurück aufs Dorf ziehen
Dorfrandlage statt Prenzlauer Berg, Windräder statt Fernsehturm, Elternhaus auf dem Land statt Altbauwohnung in der Hauptstadt: Für ein Leben im Weserbergland hat Julia Trienens ihrer einstigen Wahlheimat Berlin nach neun Jahren den Rücken gekehrt. Mit ihrem zweijährigen Sohn ist sie nach Marienmünster im Kreis Höxter zurückgezogen, dem Ort ihrer eigenen Kindheit, genauer in den Ortsteil Bredenborn mit weniger als 1500 Einwohnern. „Es war keine Entscheidung gegen Berlin, sondern einfach eine Entscheidung für ein Leben hier auf dem Land“, sagt die 35-Jährige.
Wie eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, zieht es in Nordrhein-Westfalen wieder mehr Menschen zum Wohnen in den ländlichen Raum. Während aus einigen Großstädten, etwa Köln und Düsseldorf, im Zeitraum von 2020 bis 2021 mehr Menschen weg- als zugezogen sind, verzeichneten den aktuellen gesammelten Meldedaten zufolge einige sehr ländliche Kreise durchaus deutliche Wanderungsgewinne.
Vor zehn Jahren war die Entwicklung noch ganz anders
Das trifft auf große Bereiche Ostwestfalens ebenso zu, wie auf weite Teile des Sauerlands, viele Regionen im Münsterland sowie im Südwesten NRWs die Kreise Heinsberg, Düren und Euskirchen. Rund ein Jahrzehnt zuvor war das Bild ein ganz anderes: Im Zeitraum 2009 bis 2011 wanderten aus vielen der genannten ländlichen Regionen noch mehr Menschen ab als neu hinzuzogen – oft zugunsten des urbanen Raums. Ungewöhnlich hohe Gewinne erzielten in dieser Zeit etwa Münster in Westfalen sowie Bonn, Köln und Düsseldorf.
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Teure Miete und Homeoffice sind einige Gründe
„Dieses Comeback der ländlichen Räume ist schon eine bemerkenswerte Entwicklung“, unterstreicht Petra Klug, die bei der Bertelsmann-Stiftung an der Studie mitgewirkt hat. Als wesentliche Treiber benennen die Autoren die teure Wohnsituation in den Städten sowie die zunehmende Digitalisierung insbesondere in der Arbeitswelt.
Gleichzeitig und schon lange vor der Pandemie sei für meisten Haushalte das erträumte Einfamilienhäuschen in Kernstädten nicht nur unerschwinglich, es fehle auch überhaupt an Angeboten, heißt es in der Studie. Gesucht werde dann im weiteren Radius. Was vor fünf Jahren zunächst rund um die Städte bemerkbar wurde, habe sich inzwischen kaskadenartig aus dem näheren ins weitere Umland verlagert.
Auch habe die Corona-Pandemie den Trend zugunsten ländlicher Räume weiter verstärkt: Homeoffice-Möglichkeiten traten stärker in den Vordergrund als je zuvor. Zudem legen Ergebnisse von Experteninterviews nahe, dass unter dem Eindruck der Lockdowns in der Pandemie der Wunsch nach größeren Wohnungen mit Garten oder Balkon bei vielen stärker in den Fokus rückte.
Kinder sollen auf dem Land aufwachsen
„Mit einem Kind verschieben sich die Prioritäten. Ich will, dass er so aufwachsen kann, wie ich es geliebt habe, mit der Natur, den Tieren, der Bewegungsfreiheit hier“, schildert Rückkehrerin Trienens ihre Beweggründe. Sie selbst ist in dem einstigen Bauernhof, den heute noch ihre Eltern bewohnen, aufgewachsen. Zum Studium aber verließ sie das Dorf. Der Freunde und Karriere wegen landete sie schließlich in Berlin. Bis zuletzt war sie dort für verschiedene Verbände in der Gesundheitswirtschaft tätig.
Seit dem Sommer reifte der Entschluss zurückzukehren. „Ich wollte auch näher bei der Familie sein“, sagt sie. Der Rest ergab sich schnell: Ein neuer Job bei einer großen Klinikgruppe, der 100 Prozent Homeoffice-Möglichkeiten versprach, war schnell gefunden, ebenso ein Kita-Platz im Dorf. „Das war noch der größte Knackpunkt“, sagt sie. Doch sie hatten Glück. Bald wird sie beginnen, die zweite Wohnung im Haus für sich und ihren Sohn zu renovieren. Wird ihr etwas fehlen? Sie schüttelt den Kopf. „Vielleicht die große Auswahl beim Lieferservice“, sagt sie lachend. Für alles andere komme sie gerne zu Besuch in die große Stadt.
Viele kehren in ihre Heimat zurück
Sogenannte Rückwanderungen spielen der Studie zufolge eine große Rolle: Nachdem Menschen ihre Heimat auf dem Land für Ausbildung und Studium verließen, kehrten sie in anderen Lebensphasen dorthin zurück, erklärt Klug. Neben der Zeit der Familiengründung sei dies auch noch einmal zum Eintritt in die Rente festzustellen. „Großeltern zieht es immer häufiger dorthin zurück, wo die Kinder wohnen, oder man möchte dort sesshaft sein, wo man früher gerne Urlaub gemacht hat“, so Klug.
Die Soziologen beobachteten zudem sogenannte Lebensstilwanderungen, erklärt Klug. „Da stellen sich Menschen ganz intensiv die Frage, wie sie eigentlich leben wollen. Vielleicht ist es ihnen in der Stadt zu eng, zu anonym. Es zieht sie dorthin, wo sie anderen Gestaltungsspielraum sehen. Und offenbar wird in diesem Sinne das Land wieder attraktiver für viele“, so Klug. Das sei eine große Chance für viele kleine Kommunen, die lange von Abwanderung betroffen waren, sich und die eigene Infrastruktur wiederzubeleben. „Und es ist eine Aufgabe“, fügt sie hinzu. Kitas, Schulen, Freizeitmöglichkeiten, attraktive Jobs, Gesundheitsversorgung - „Man muss genau hinsehen, was vor Ort gebraucht wird.“
Um Menschen, die sich für ein Leben auf dem Land entscheiden, kümmern sich in einigen ländlichen Regionen auch Rückkehrinitiativen wie das Netzwerk „Heimvorteil HSK“, ein Projekt der dortigen Wirtschaftsförderungsgesellschaft und der Südwestfalen Agentur. „Dabei geht es darum, Fachkräfte für die hier ansässigen Unternehmen zu gewinnen. Wir werben für die Region und helfen, dann hier wieder anzukommen“, erklärt Projektleiterin Karin Gottfried. Sie erlebt, dass es insbesondere viele Familien sind, die sich bewusst für das Landleben entscheiden.
Verwunderlich sei das nicht: „Selbst die Speckgürtel sind sehr teuer geworden“, sagt sie. „Omas altes Häuschen oder ein Leben in der Nähe der Großeltern ist dann für viele junge Familien eine echte Option“, so Gottfried. Das Bild vom Land in manchem Großstadtkopf sei auch veraltet: „Wer hier Abgeschiedenheit sucht, wird sie finden, aber es ist ja nicht so, dass hier jeder kilometerweit durch Wald und Feld laufen muss, um zum Supermarkt zu kommen“, sagt Gottfried. Auch im Hochsauerlandkreis gebe es lebendige Kommunen, in denen man vieles finden könne, was die größere Stadt auch zu bieten hat. Manches Klischee stimme dann doch: „Im Dorf hilft man sich: Die Netzwerke sind kleiner, sodass man gut ankommen oder wieder andocken kann“, ist sie überzeugt. (dpa)