Psychiatrie-Leiter„Schlafmittel führen zu starker Sedierung, nicht zu gutem Schlaf“
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In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
Im April beantworten Expertinnen und Experten Fragen rund um den Schlaf.
In dieser Folge geht es um die Einnahme von Schlafmitteln, Schlafmittelabhängigkeiten und wie man sie wirksam bekämpfen kann.
Köln – Bis zu 2,5 Millionen Deutsche haben einen „kritischen Umgang mit Schlafmitteln“, sagt Schlafmediziner Lennart Knaack. Vor allem ältere Menschen liegen nachts lange wach, ohne einschlafen zu können. Schlafmittel bieten eine verlockende, scheinbar unkomplizierte Lösung für das Problem. Doch sie machen schnell abhängig und diese Abhängigkeit führt nur zu noch mehr Problemen.
Egal, wie müde man auch ist: Sobald die Augen sich schließen, will der Schlaf einfach nicht kommen. Man wälzt sich umher, guckt zum hundertsten Mal auf die Uhr und errechnet, wie viele Stunden Nachtruhe einem noch bleiben. Noch fünf Stunden, noch vier, dreieinhalb. Am nächsten Tag hängt die Müdigkeit in den Gliedern, das Gehirn fühlt sich an wie ein riesiger Wattebausch. Gerade Menschen mit Schlafstörungen kennen das Problem nur zu gut. Ungefähr jeder vierte Deutsche leidet unter Schlafstörungen, bei Schichtarbeitern ist der Anteil deutlich höher.
Schlafmittel werden anfangs nur vorübergehend genommen
Eine Schlafstörung kann viele Ursachen haben, sagt Frank Jessen, Professor und Leiter der Psychiatrie der Uniklinik Köln. Manche können aus Stress nicht einschlafen, andere wegen eines Traumas oder einer psychischen Erkrankung. Nur wenige leiden tatsächlich an einer Schlafapnoe, einer chronischen Schlafstörung. „Wenn man in einer stressigen Zeit eine Schlafstörung entwickelt, dann kann man das eine gewisse Zeit lang tolerieren“, sagt Jessen. Doch irgendwann reicht es vielen mit der kontinuierlichen Müdigkeit am Tag und den verzweifelten Versuchen in den Nachtstunden, endlich wegzudämmern. Sie wenden sich an ihren Hausarzt oder einen Psychiater und lassen sich Schlafmittel verschreiben – nur für eine kurze Zeit, für ein paar Nächte Schlaf.
„Die meisten wissen, dass Schlafmittel nicht gut für einen sind“, sagt Jessen. Gleichzeitig wirken sie jedoch: Die Patienten nehmen eine Tablette, schlafen problemlos ein und wachen am nächsten Morgen erfrischt wieder auf. „Alles, was schnell und zuverlässig wirkt und eine schnelle Erleichterung bringt, schafft ein großes Abhängigkeitspotenzial“, sagt Jessen.
Wenn man die Verlockung der Schlaftabletten kennt, ist es noch frustrierender, ohne Medikamente die Decke ans Kinn zu ziehen. „Je länger das geht, desto schwieriger wird es, damit aufzuhören“, sagt Jessen. Medikamente behandeln nur die Symptome der Schlafstörung, nicht die Ursache. Vermeidet man die Wurzeln der Schlafstörung, kommen die Probleme zurück, sobald man die Medikamente absetzt. Gleichzeitig hat man sich an die abendlichen Tabletten gewöhnt und wälzt sich noch länger von einer Seite auf die andere.
Steigende Dosierung ist ein Suchtmerkmal
Die meisten Ärzte verschreiben nach einigen Wochen keine weiteren Schlafmittel mehr. Ein abhängiger Patient bettelt umsonst um ein neues Rezept – und sucht sich den nächsten Arzt. „Besonders schwierig ist eine Dosissteigerung“, sagt Jessen. „Wenn man sagt: Ich habe eine Schlaftablette genommen und kann trotzdem nicht einschlafen – jetzt nehme ich noch eine zweite und dritte dazu.“ Die Dosissteigerung ist ein Merkmal einer Abhängigkeit, genau wie der große Drang, Tabletten zu nehmen entgegen guter Vorsätze.
Typische Suchtmerkmale wie körperliche Schäden, Vernachlässigung der Arbeit und der Freunde und Entzugssymptome sind bei Schlafmittelabhängigen dagegen eher selten. „Abhängig ist jemand, der aus psychologischen Gründen nicht mehr in der Lage ist zu schlafen, ohne eine Schlaftablette zu nehmen“, erklärt Jessen. Eine Ausnahme stellen starke Schlafmittel aus der Gruppe der Benzodiazepine dar: Sie können durchaus Entzugserscheinungen hervorrufen.
Die allermeisten Schlafmittelabhängigen, sagt Jessen, nehmen die Medikamente abends. Nur selten schlucken schwer Suchtkranke auch tagsüber die Tabletten. Schlafmittel der häufig verschriebenen Z-Substanzen greifen laut Jessen keine Organe an, trotzdem sollte niemand eine Abhängigkeit von den Z-Drogen unterschätzen. „Insbesondere wenn man die Dosis steigert, können die Effekte der Schlafmittel auch in den nächsten Tag hineinreichen“, sagt Jessen. Man ist dann wie benebelt, hat eine geringere Reaktionsfähigkeit, gerade ältere Menschen stürzen deutlich schneller. Studien geben Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Schlafmittel und Demenz, wie stark dieser ist, bleibt bei Wissenschaftlern ein Streitthema. Die Z-Droge Zolpidem kann zudem zu Kopfschmerzen, Reizbarkeit und Aggressivität führen.
Schlafmittelabhängigkeit wird ambulant behandelt
„Schlafmittel führen nicht zu einem gesunden Schlaf“, betont Jessen. Ein gesunder Mensch durchlebt im Schlaf eine komplexe Schlafarchitektur mit Traumphasen und Tiefschlafphasen. Die meisten Schlafmittel, so der Psychiatrie-Leiter, haben darauf einen negativen Effekt. Die Regeneration des Gehirns wird beeinträchtigt. „Der Schlaf ist kein normaler Schlaf, sondern nur eine starke Sedierung.“
Video-Chat mit Dr. Olga Tselikmann
Foto: Bastian Koenigs
Am Dienstag (27. April) beantwortet Dr. Olga Tselikmann, Oberärztin des Schlaflabors der Uniklinik Düsseldorf, um 17.30 Uhr eine Stunde lang Ihre Fragen zum Thema Schlaf.Anmeldung unter: www.forumblau.de/gesunder-schlaf
Sollte jemand Anzeichen einer Abhängigkeit zeigen, sagt Jessen, sollte die Person unbedingt mit dem Hausarzt oder mit einem Psychiater darüber sprechen. Eine Schlafmittelabhängigkeit wird in der Uniklinik meist ambulant behandelt. Nur, wenn jemand zu der Schlafmittelabhängigkeit noch andere psychische Erkrankungen wie eine schwere Depression hat, nehmen Ärzte die Person stationär auf. Das, sagt Jessen, sehe er sehr häufig. „Man kann nur erfolgreich sein, wenn die betroffene Person die Schlafmittel auch wirklich absetzen möchte. Die Motivation muss da sein“, sagt Jessen.
Für Schlafmediziner Lennart Knaack gibt es Situationen, in denen es als Arzt in Ordnung ist, Schlafmittel zu verschreiben. Beispielsweise, wenn ein Mensch gerade einen nahen Angehörigen verloren hat oder ein anderes Trauma verarbeitet. Dann dürfen Patienten für eine begrenzte Zeit Schlafmittel der sogenannten Z-Substanzen schlucken – vorausgesetzt, sie waren noch nie abhängig. Es gebe auch Menschen, die aufgrund ihrer chronischen Erkrankung dauerhaft auf Schlafmittel angewiesen sind. „90 Prozent der Schlafstörungen entstehen aber durch einen Verlust an Schlafrhythmus und schlaffördernden Ritualen“, betont Knaack. Bei diesen Menschen könne man den Schlafrhythmus wieder etablieren, ganz ohne Substanzen.
Setzt jemand die Schlafmittel ab, sagt Knaack, droht eine sogenannte Rebound-Insomnie: Die Schlafstörung ist eine Zeit lang schlimmer als zuvor. „Wenn man Schlafmittel über einen längeren Zeitraum nimmt, dann sollte man sie langsam senken und mit pflanzlichen Mitteln kombinieren“, sagt der 56-Jährige. Er empfiehlt Lavendel, Ölpräparate, Baldrianwurzel und Passionsblume, auch Melatonintabletten könnten helfen.
Melatonin ist ein Hormon, das den Tag-Nacht-Rhythmus des Körpers steuert: Das Gehirn schüttet es aus, um den Körper müde zu machen. Die Wirkung von Melatoninpräperaten schätzt Knaack allerdings als „relativ gering“ ein – schließlich produziert der Körper das Hormon automatisch. Dafür müsse man nur eines machen: „Eine halbe Stunde vor dem zu Bett gehen das Zimmer abdunkeln. Morgens mache ich genau das Gegenteil: Da bringe ich viel Licht ein, damit das Melatonin wieder heruntergeht.“
Knaack teilt Einschlaftipps
Knaack rät Menschen mit Schlafproblemen statt Medikamenten lieber folgendes: Abends sollten sie rechtzeitig alle elektronischen Geräte ausschalten. Auch ein Spaziergang oder ein bisschen Sport wenige Stunden vor dem Schlafengehen tue gut. „Wichtig ist auch schlafstörende Gifte zu vermeiden, die leider Gottes viel Spaß machen: Nikotin, Koffein, Alkohol.“ Alkohol sei zwar das älteste Einschlafmittel, aber auch ein bekanntes Durchschlafgift.
Am besten schläft man in einem 16 bis 18 Grad kühlen Zimmer mit ausreichender Luftfeuchtigkeit, auf einer guten Matratze und einer der Jahreszeit angepassten Bettdecke. Wer sich abends mit rasenden Gedanken im Bett herumwälzt, sollte jeden Tag eine „Grübelhalbestunde“ einrichten, in die man die Probleme des Tages auslagert.