Nicole Staudinger hat Hautkrebs und Brustkrebs überlebt. Im Interview erzählt die Kölner Bestseller-Autorin, wie sie das Laufen für sich entdeckte.
Besteller-Autorin im InterviewNicole Staudinger verrät, wie sie mit Laufen 40 Kilo abgenommen hat
Ihr neues Buch heißt „Läuft schon – eine Anleitung der unsportlichsten Joggerin der Welt“. Als Beweis für Ihre frühere Unsportlichkeit führen Sie ein Fünf-Jahres-Dauer-Attest im Sportunterricht als Schülerin an. Wie kam es dazu?
Meine Mutter hat gesehen, wie sehr ich gelitten habe. Nicht nur, weil ich schlimm unsportlich war, sondern weil ich eine wirklich sadistische Sportlehrerin hatte. Da habe ich dann ein bisschen gemogelt.
Es kam aber der Punkt in Ihrem Leben, an dem Sie gesagt haben: Ich muss mein Leben ändern. Und zwar mit Joggen. Wieso?
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Ich habe mit Ende 20 schwarzen Hautkrebs bekommen. Als ich nach der Behandlung gegoogelt habe, was man so alles machen kann, um die Krebsgefahr zu mindern, tauchte dieses leidige Thema Bewegung auf. Ich habe den Sport anfangs also zweckentfremdet: Sport war nur Mittel zum Zweck. Für Gesundheit und fürs Abnehmen. Denn das wollte ich auch, schon seit meinem 13. Lebensjahr. Ich bin extrem von Werbung versaut worden. Ich wollte immer so aussehen, wie diese schön durch die Prärie joggende Frau aus der Lätta-Werbung. Ich laufe jetzt seit mehreren Jahren und kann sagen: So wie diese Frau sehe ich immer noch nicht aus. Aber das ist mir mittlerweile egal.
Ihr erster Laufversuch scheiterte nach 17 Sekunden. Was war da los?
Ich hatte mich bei einer Lauflernschule angemeldet und war zunächst top motiviert. Vor dem ersten Training war ich shoppen und sah aus wie eine Frau, die dreimal die Woche Triathlon läuft. Mit Schweißband und so. Innerlich hatte ich den Halbmarathon schon im Sack. Als es dann hieß, wir laufen 20 Sekunden, gehen dann ein kurzes Stück und laufen dann wieder 20 Sekunden, habe ich das für einen Scherz gehalten. Weil es so leicht klang. Von wegen. Nach nicht einmal 20 Sekunden war ich dem Tod gefühlt näher als dem Leben. So fing ich an.
Wie ging es weiter?
Ich habe das Programm durchgezogen und nach zwölf Wochen 30 Minuten Joggen am Stück geschafft. Dreimal die Woche bin ich dann gejoggt. Leider dachte ich am Anfang noch: Damit habe ich mir doch mindestens 14.000 Tafeln Schokolade erlaufen. Das war ein Missverständnis.
Sich mit zu viel Essen nach dem Sport belohnen: Mit dem Fehler sind Sie nicht allein.
Ich esse für mein Leben gern – und das nicht nur, um die inneren Organe am Leben zu halten. Aber irgendwann musst du dir eingestehen: Jedes Pfündchen geht durchs Mündchen. Und Essen erfüllt oft einen anderen Zweck, Trost zum Beispiel. Wenn das Gewicht zu sehr hoch geht, können wir das aber nicht mehr als Body Positivity abtun, sondern müssen von krankhaftem Übergewicht sprechen. Ich war zweimal von Krebs betroffen und weiß: Übergewicht erhöht das Risiko, erneut zu erkranken. Das Gute ist: Durch die viele Bewegung an der frischen Luft wird etwas geweckt, was ich für einen Sechser im Lotto halte: die somatische Intelligenz.
Was macht die aus?
Sie lernen wieder, auf ihren Körper zu hören. Wir alle haben mit der Geburt in die Wiege gelegt bekommen, auf den eigenen Körper zu hören. Babys wissen genau, wann sie satt sind. Wir verlernen das im Laufe der Zeit, beim Joggen wird es wieder wach. Wenn ich am Wochenende länger laufen war und danach einen guten Kaffee trinke, könnten mir die Tränen runterlaufen vor Glück. Noch nie bin ich vom Laufen zurückgekommen und habe gesagt: jetzt Gummibärchen. Der Körper japst nach frischen Sachen. Das Laufen öffnet den Weg zu guten Entscheidungen und von diesen guten Entscheidungen nimmt man ab: in meinem Fall knapp 40 Kilo.
Sie beschreiben sich als Kurz-Euphorikerin, die sich schnell begeistern lässt. Die Kunst ist das Dranbleiben. Wie haben Sie das geschafft?
Es klingt wie eine Phrase, aber mein Geheimrezept ist: Ich laufe jeden Tag, oder mache zumindest Yoga. Ich muss nicht erst überlegen: Ist heute Dienstag, also Sporttag? Nein! Es ist jeden Tag Sporttag. Das Wetter hat kein Mitspracherecht. Ich putze mir morgens ja auch die Zähe, wenn es regnet, ohne vorher in mich reinzufühlen, ob ich das heute machen will.
Wie lange dauert es, bis sich eine Routine entwickelt?
Die Wissenschaft sagt: 66 Tage. Ich würde noch eine 0 hinten dranhängen. Wir müssen realistisch bleiben. Aber es klappt. Heute ist mir das Laufen aus ganz anderen Gründen wichtig als früher. Ich bin intrinsisch motiviert.
Erklären Sie den Unterschied?
Extrinsisch motiviert ist die Überschrift in Frauenmagazinen: Laufen Sie vier Wochen und nehmen dabei 25 Kilo ab. Ich habe alle diese Magazine zu Hause und kaufe sie, weil ich immer denke: Wer weiß, vielleicht entdeckt die Wissenschaft ja wirklich noch was Neues. Man macht sich also ein Programm und hängt es an ein Ziel. Wenn das Ziel nicht erreicht wird, was leider meistens passiert, wird es aber gefährlich. Dann bleibt man nicht mehr dran, isst weiter und verflucht die Welt. Das habe ich mehr als 30 Jahre lang getestet, hat nicht so richtig geil funktioniert. Extrinsische Ziele können aber toll sein für den ersten Schritt. Denn den ersten Schritt tut man nichts fürs Gefühl. Ich hatte anfangs keinen Bock auf Joggen. Das kam erst.
Wie sieht Ihre Morgenroutine aus?
Ich trinke vier bis fünf Gläser Wasser. Stilles Wasser aus der Eifel: köstlich. Dann mache ich die Kaffeemaschine an, dann kommt Kokosöl in den Mund, dann ziehe ich 10 Minuten Öl. Das kommt aus der ayurvedischen Medizin, mir macht das ein schönes, frisches Gefühl. Dann gibt es eine Tasse Kaffee. Sobald die Kinder aus dem Haus sind, gehe ich laufen.
Kennen Sie Jogging-Tricks, die Sie weitergeben können?
Was ich sagen kann: Streng genommen können Ihre Beine das von allein. Sie alle könnten aus dem Stand einen Halbmarathon laufen – sofern Sie gesund sind. Es geht also nur um die Motivation im Kopf. Mein Tipp ist trotzdem: Langsam anfangen, langsam laufen, langsam steigern.
„Es gibt nichts, was von einer Walking-Runde schlimmer wird, aber vieles, was dank ihr besser wird“, ist ein schöner Satz aus Ihrem Buch.
Das habe ich während der Chemotherapie gelernt. Da war mir erst einmal völlig egal, wie viel ich wiege und wie ich aussehe. Ich wollte einfach nur überleben. Das Joggen musste ich damals sein lassen, aber ich bin jeden Tag gewalkt. Bewegung hat sich für mich wie ein gottgegebenes Geschenk angefühlt. Ich war so froh, dass ich zwei gesunde Beine hatte.
Wir müssen nicht laufen, wir können laufen. Eine neue Perspektive auf das Joggen?
Genau. Ich glaube, dass wir uns mit der nötigen Dankbarkeit im Gepäck jedem Thema nähern können. Selbst einem Montagmorgen. Wie bekomme ich das theoretische Wissen, das wir alle haben, wenn es um unsere Gesundheit oder um Sport geht, auf die Straße? Auch mit Dankbarkeit.
„Wenn ich nur laufen gehen würde, wenn ich Lust hätte, würde es dieses Buch nicht geben. Machen Sie es einfach, auch wenn Sie keine Lust haben“, schreiben Sie im Buch. Disziplin gehört also schon auch dazu?
Wenn ich Disziplin hören, sehe ich abgemagerte, ausgemergelte Menschen vor mir. Das Wort Disziplin muss dringend sein Image aufpolieren. Eigentlich geht es ja darum, regelmäßig einzustehen für das, was man will. Natürlich sind auch viele Tage dabei gewesen, wo ich keine Lust hatte zu laufen. Manchmal kam die Lust dann beim Laufen. Manchmal kam sie gar nicht. Aber das Gute ist: Anders als bei einem Hobby wie Stricken, wo Sie den Pulli auch zu Ende stricken müssen, können Sie beim Laufen auch nach einer halben Stunde aufhören, wenn es doof ist. Die halbe Stunde kann Ihnen keiner nehmen. Mich nervt trotzdem, dass ich noch nicht rausgefunden habe, wie ich meine persönliche Tagesform bestmöglich beeinflussen kann.
Wie meinen Sie das?
Ich würde Ihnen gerne sagen: Wenn ich abends das und das esse und über die Woche das und das trinke, habe ich meine besten Läufe. Das kann ich aber nicht. Meinen besten Lauf hatte ich nach einer Silvesternacht mit viel Alkohol und wenig Schlaf. Das kann ich ja schlecht empfehlen.
Was braucht man, wenn man mit Laufen anfangen will – und was nicht?
Ich habe unendlich viel Sportausstattung zuhause. Eigentlich alles, was Tchibo und Aldi zwischen 1992 und 2022 rausgebracht haben, liegt bei mir. Auch Sportgeräte, von denen ich gar nicht sagen kann, wofür die sind. Was genau macht man mit einem Pilatesring? Das Einzige, was man wirklich braucht, ist ein gutes Paar Schuhe und einen Laufgürtel für Handy, Portemonnaie und Schlüssel. Da mir wegen der Wechseljahre immer warm ist, brauche ich auch weder Mütze noch Schal noch Handschuhe.
Sie durften sich schon häufiger Kommentare von Männern am Wegesrand anhören.
Oh ja. „Hopp hopp hopp“ zum Beispiel. Oder als ich nach dem Schulterbruch wieder ganz langsam anfangen musste: „So gibt das aber keinen“. Gerne auch: „Schneller, schneller, schneller.“ Die Jungs haben offenbar das Bedürfnis, uns Frauen zu bewerten. In der Eifel auch gerne vom Balkon aus. Das hat ein bisschen was von Muppet-Show. Ich habe dann einfach mal selbst getestet, wie das ist, einen wildfremden Jogger anzupöbeln. Ich war auf dem Fahrrad unterwegs und habe einem sehr drahtigen Jogger zugerufen: „Na, Jung? Da geht aber noch was.“ Der ist dann auch tatsächlich schneller gelaufen. Hat ein bisschen Spaß gemacht, das kann ich nicht von der Hand weisen.
Sie haben sich zum 40. Geburtstag im vergangenen Jahr Ihren ersten Halbmarathon geschenkt. Das Ziel war: heil ankommen - möglichst noch am selben Tag. Hat das geklappt?
Ja, auch wenn der letzte Kilometer echt hart war. Danach bin ich eine Woche lang wie auf Wolken geschwebt. Ich habe mich dann in Köln für den Halbmarathon angemeldet. Da habe ich gedacht, ich sterbe, weil mir lauter Anfängerfehler passiert sind. Ich bin die schnellsten ersten zehn Kilometer meines Lebens gelaufen, war also viel zu schnell zunächst. Ich bin dann mit dem Besenwagen am Ende eingelaufen.
In sechs Wochen laufen Sie den Halbmarathon in Wien. Kommen jetzt alle europäischen Städte dran?
Das wäre ein Wunsch. Ich habe noch nicht so viel von der Welt gesehen und finde es schön, sich neue Städte zu erlaufen.
Wie sieht es aus mit einem ganzen Marathon?
Da bin ich raus. Das ruft mich überhaupt nicht und ist auch nichts für meine Statur. Gesundheitlich würde ich mir damit keinen Gefallen tun. Mit einem Halbmarathon kann ich wunderbar leben.