Musik als Therapie bei Demenz„Alte Lieblingslieder entspannen Erkrankte“
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In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
Im Dezember geht es um die Krankheiten Demenz und Alzheimer und den richtigen Umgang damit.
Im dritten Teil sprehen wir mit der Opernintendantin Birgit Meyer und dem Psychiatrie-Professor Frank Jessen über Kunst und Musik in der Demenztherapie.
Köln – Opernintendantin Birgit Meyer und Psychiatrie-Professor Frank Jessen sprechen im Interview über Vergesslichkeit auf der Bühne, die magische Wirkung von Musik – und das Weihnachtsfest mit Demenzkranken.
Frau Meyer, in der Kinderoper wurde mit „Die Geschichte vom Fuchs, der den Verstand verlor“ das Thema Demenz auf die Bühne gebracht. Im Publikum saßen neben Kindern auch Demenzkranke. Wie kam das Stück an?
Birgit Meyer: Die Resonanz war sehr gut. Das Stück dreht sich um einen alten Fuchs, der langsam vergesslich wird und seine Instinkte verliert. Wenn ihm die Wochentage nicht mehr einfallen, rufen die Kinder ihm die richtigen Tage zu. An einer Stelle weiß er nicht mehr, wo sein Zuhause ist, klettert auf einen Baum und setzt sich in ein Vogelnest. Auch dann rufen die Kinder, wo er hinmuss. Das Stück ist also lebhaft und das Publikum sehr involviert. Auch die Demenzkranken haben oft mitgelacht und geklatscht.
Woher stammt die Idee, Vorstellungen für Kinder und Demenzerkrankte zu konzipieren?
Meyer: Unser Projekt „Oper für Jung und Alt“ gibt es seit vielen Jahren. Wir sind zuerst in Heime mit demenzkranken Bewohnern gegangen und haben dort kleinere Programme gespielt. Dabei haben wir gemerkt, wie schnell die Stimmung sich durch Musik von apathisch zu lebendig gewandelt hat. Es entstand die Idee, die Menschen zu uns in die Oper einzuladen. Die Kinderstücke bieten sich an, weil sie in der Regel nicht länger als eine Stunde dauern und die Geschichten einfach verständlich sind.
Nimmt man den Demenzkranken nicht ein bisschen die Würde, wenn man sie vermeintlich wie Kinder behandelt?
Frank Jessen: Manche Menschen tendieren dazu, Demenzkranke mit Vornamen anzusprechen oder mit ihnen in Kindersprache zu verfallen. Da bin ich strikt dagegen. Es geht bei dem Projekt aber nicht um eine Verkindlichung, sondern um Teilhabe. Demenzkranke sind oft von kulturellen Angeboten abgeschnitten, weil man sich nicht traut, mit ihnen irgendwo hinzugehen. Durchhalte- und Auffassungsvermögen sind teilweise stark reduziert. Das Format der Kinderoper ist an die Fähigkeiten angepasst. Hinzu kommt, dass Demenzerkrankte über Emotionen angesprochen werden und oft positiv auf die Interaktion mit Kindern reagieren. Gleichzeitig wird auch das Stigma gegenüber Erkrankten bei den Kindern abgebaut.
Meyer: Unserem Personal ist es wichtig, extrem respektvoll mit den Demenzerkrankten umzugehen. Die Menschen werden im Foyer des Staatenhauses in Empfang genommen und in den ersten Stock begleitet. Genauso wie die Schulklassen. Jeder soll sich willkommen fühlen.
Warum sollten sich Kinder mit der Krankheit beschäftigen?
Meyer: Weil sie zum Leben gehört. Bestimmt kennt fast jedes Kind im Publikum jemanden, der Demenz hat. Theater fördert Empathie, weil man auch mit den Schwachen mitfiebert. Unser Hauptdarsteller Matthias Hoffmann, der den alten Fuchs spielt, erzählt, dass die drei Kinderdarsteller vom Domchor, die die kleinen Füchse spielen, ihm schon bei den Proben immer helfen wollten. Sie dachten, er wäre tatsächlich ein bisschen schusselig.
Es gibt im Stück den schönen Satz: „Er mochte nicht mehr alleine schlafen, aber das musste er auch nicht.“ Erst zeigt der alte Fuchs den jungen Füchsen, wie man Enten jagt – und am Ende kümmern sie sich um ihn, auch in der Nacht. Mich berührt das sehr. Man soll die Krankheit nicht schön reden. Aber es gibt immer die Möglichkeit, etwas zu tun und die Situation erträglicher zu machen.
Welche Rolle spielt Musik im Umgang mit Demenzkranken?
Jessen: Musik ist mit Emotionen verbunden und spricht Erinnerungen an. Das kennen wir alle. Auch ein beeinträchtigtes Gehirn kann auf alte Gedächtnisinhalte zurückgreifen. Visuelle Kunst wie Bilder oder Skulpturen ist nicht so direkt wie Musik. Es gibt Beobachtungen, bei denen Menschen, die kaum noch ansprechbar sind, alte Liedtexte mitsingen. Außerdem hat man in Studien herausgefunden, dass es Erkrankte beruhigt und entspannt, wenn man ihnen alte Lieblingslieder vorspielt.
Seit einigen Jahren wird das Augenmerk vor allem darauf gelegt, die Angehörigen einzubinden und das Leben mit Demenz zu erleichtern. Kaschiert man damit, dass es keine Therapie gibt?
Jessen: Wir haben bislang nur Medikamente, die den Krankheitsverlauf in der frühen Phase abmildern. Eine Therapie, die die Krankheit aufhält, gibt es bisher nicht. Deshalb konzentrieren wir uns auf die Versorgung der Patienten, um die Lebensqualität zu verbessern. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich mit der Demenz in Panik und Stress lebe oder in einem anregenden, positiven Umfeld. Demenz heißt nicht Depression. Demenz heißt nur dann Depression, wenn das Umfeld mit der Demenz nicht umgehen kann.
In den USA wurde eine neue Antikörper-Therapie zugelassen. Wie schätzen Sie die Wirksamkeit ein?
Jessen: Diese Therapie gehört zu einer neuen Generation. Die Plaque-Ablagerungen, die sich über viele Jahrzehnte anlagern und irgendwann das Gedächtnis stören, werden abgetragen. Das hielt man vor 20 Jahren noch für unmöglich. Die Studienlage ist noch nicht eindeutig, deshalb ist die Zulassung umstritten. Aber die Therapie ist ein ganz wichtiger erster Schritt, der mich optimistisch stimmt.
Die Forschung konzentriert sich oft auf frühe Stadien der Demenz.
Jessen: Das ist bei dieser Therapie auch der Fall. In der fortgeschrittenen Demenz ist das Gehirn meist irreparabel geschädigt. Deshalb müssen wir aufpassen, dass die schon mittel bis schwer Demenzerkrankten nicht ins Hintertreffen geraten.
Wie kann man Demenzerkrankte gut in das Weihnachtsfest integrieren?
Meyer: Wenn ich nochmal an den Fuchs denke, würde ich sagen, man muss den Demenzerkrankten das Gefühl geben, dass sie dazugehören. Die Angehörigen sollten das Fest auf sie abstimmen, nicht über ihren Kopf hinweg reden und sie anregen, sich zu beteiligen. Sie sollten zum Beispiel überlegen, was die Demenzerkrankten gerne essen würden.Jessen: Es gibt keine Patentlösung, aber Weihnachten ist auf jeden Fall eine Zeit des Kontaktes. Und es steht fest, dass Demenzerkrankte unter dem Kontaktmangel in der Corona-Krise sehr gelitten haben. Die Forschung zeigt, dass sie in Isolation schneller sterben. Auch die gesunden Ehepartner sind psychisch und physisch durch die Pandemie enorm belastet, weil sie viele Monate mit dem erkrankten Partner alleine Zuhause waren.
Gibt es neue Erkenntnisse zur Prävention von Demenz?
Jessen: Ältere Menschen haben heute seltener Demenz, weil sie die letzten 30 bis 40 Jahre gesünder gelebt haben. Damals begann die Prävention vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen: mehr Sport, weniger Rauchen, gesündere Ernährung. Das hat offensichtlich unbewusst vor Demenz geschützt. Heute wissen wir, dass 40 Prozent des Risikos vom Lebensstil abhängt.
Auch schlechter Schlaf und niedrige Bildung begünstigen Demenz. Im Kölner Alzheimer-Präventionszentrum – dem einzigen dieser Art in Deutschland – arbeiten wir an einer individuellen Risiko-Faktor-Bewertung, um irgendwann jedem einzelnen individuell sagen zu können, welches seine Risikofaktoren sind und was er tun kann, um Demenz vorzubeugen.