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Infektiologin befragtPlötzlich wird wieder viel umarmt – geht das denn schon wieder?

Lesezeit 4 Minuten
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Die Corona-Zahlen sinken – aber kann man sich deshalb wieder unbeschwert umarmen?

Köln – Die Sonne scheint, Restaurants und Cafés sind wieder geöffnet und die Inzidenzzahlen niedrig wie lange nicht – wer jetzt mit offenen Augen durch die Stadt geht, wird feststellen: es wird wieder umarmt. Die einen fragen noch zaghaft: „Darf ich?“, andere bestürmen ihr Gegenüber mit der Feststellung: „Keine Sorge, ich bin geimpft!“ Und so mancher wird jetzt denken: Ja, geht das denn jetzt schon alles wieder? Wir haben die Kölner Infektiologin Clara Lehmann gefragt.

„Umarmungen tun uns gut und senken die Stresshormone im Körper. Jedoch muss man sich klar machen, dass trotz sinkender Infektionszahlen immer noch das Risiko besteht, sich dabei mit dem Coronavirus anzustecken“, sagt Professorin Clara Lehmann. Sie leitet die Post-Covid-Ambulanz der Uni-Klinik Köln. Und schließt sich Forscherinnen und Forschern aus den USA an, die in einem Artikel in der New York Times sagen: Sichere Umarmungen sind möglich – aber unter Auflagen. Denn: „Besonders gefährlich beim Umarmen sind die Aerosole. Deshalb kann es helfen, die Köpfe in gegensätzliche Richtungen zu drehen, die Luft anzuhalten oder zumindest nicht zu sprechen – auch wenn man gerade während einer Umarmung zu Worten wie einem ‚Schön, dich zu sehen‘ geneigt ist“, sagt Lehmann.

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Infektiologin und Internistin Prof. Dr. Clara Lehmann ist Leiterin des Infektionsschutzzentrums (ISZ) und der Post-Covid-Ambulanz an der Uniklinik Köln.

Bei Personen unterschiedlicher Körpergröße ist das praktisch: So können Kinder ihre Großeltern einfach auf Hüfthöhe umarmen, die Großeltern wiederum können ihren Enkeln von hinten einen Kuss auf den Kopf geben. So kommen sich die Gesichter nicht zu nah und die Aerosole verteilen sich nicht in die Richtung des anderen. Das kurze Luftanhalten während der Umarmung klingt absurd, ist aber noch aus einem anderen Grund sinnvoll: Je kürzer der direkte Kontakt ausfällt, desto unwahrscheinlicher ist auch eine Ansteckung. Die meisten Umarmungen dauern ohnehin nur wenige Sekunden – ein Zeitraum, der gut ohne kräftiges Ein- oder Ausatmen überbrückt werden kann.

„Hände und Gesicht sind die beiden Organe des Körpers, die das Virus übertragen. Das sollte man auch bedenken, wenn bei einer langersehnten Umarmung zum Beispiel Freudentränen fließen: Die werden dann oft mit der Hand abgewischt und der andere im Falle einer Infektion so leicht angesteckt“, gibt die Kölner Infektiologin einen weiteren Tipp. Denn auch in Tränenflüssigkeit habe man das Virus bereits nachweisen können. Wichtig ist also, dass auch die Gesichter keinen direkten Kontakt haben, also nicht Wange an Wange gedrückt wird.

Wie vorsichtig sollte man noch sein?

Ein gesundes Risikobewusstsein sei auch vor dem Hintergrund der sich stärker ausbreitenden Delta-Variante wichtig, sagt Lehmann. „Am besten ist es natürlich, wenn man sich gar nicht erst umarmt. Aber wenn, dann sollte mal nicht unachtsam werden und versuchen, die Umarmung mit den genannten Tipps zu kontrollieren.“

Natürlich gilt dabei: Zeigt man selbst oder das Gegenüber irgendeine Form von Symptomen – seien es Husten, Niesen oder Unwohlsein – dann sollte besser auf jegliche Form von Umarmungen, ob mit Luftanhalten oder ohne, verzichtet werden. Ein wenig mehr Schutz kann das Tragen einer Maske während der Umarmung bieten.

Kehrt der Handschlag zurück?

Und wie sieht es mit einer weiteren bekannten Begrüßung aus – dem Händeschütteln? Anders als bei Umarmungen fällt Clara Lehmann hier keine Corona-freundliche Abwandlung ein. „Beim Händeschütteln können nicht nur Viren, sondern auch multiresistente Erreger übertragen werden. In Krankenhäusern begrüßt man sich deshalb schon lange nicht mehr per Handschlag“, sagt sie.

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Eine Rückkehr des Händeschüttelns nach der Pandemie hält die Professorin deshalb für unwahrscheinlich. Stattdessen plädiert sie für einige andere Versionen des Handschlags, die sich im Laufe der Corona-Pandemie bereits etabliert haben: Das gegenseitige Berühren der Ellbogen oder der Fäuste etwa sei unbedenklich, da nur kurzzeitig der Abstand verringert werde. Außerdem sammeln sich Viren durch das Greifen von Gegenständen zwar im Hohlraum der Hand, in der Regel aber nicht außen an den Knöcheln der Faust.

Scheint wie eine gute Lösung für alle Begrüßungen außerhalb des Freundeskreises. Und für andere Kontakte gelten wohl die Worte der amerikanischen Aerosol-Wissenschaftlerin Linsey Marr: „Ich würde enge Freunde umarmen, aber beiläufige Umarmungen streichen.“