Köln – Spätestens die neue Omikron-Variante hat gezeigt, dass die Grundimmunisierung gegen das Coronavirus durch zwei Impfungen nicht ausreicht, um dauerhaft einen guten Schutz aufzubauen. Die sogenannte Booster-Impfung verringert das Risiko einer Infektion und eines schweren Verlaufs. Es braucht also den dritten Piks – und bald dann auch noch einen vierten? Ein Land geht bei diesem Thema bereits konsequent einen Schritt nach vorne. Das sagen Wissenschaftler in Deutschland dazu.
Während Deutschland versucht, die Booster-Impfungen voranzutreiben, ist Israel unter anderem aufgrund eines schnelleren Starts der Impfungen gegen das Coronavirus im vergangenen Jahr schon weiter. Seit dem Silvestermorgen erhalten dort Menschen mit Immunschwäche eine vierte Impfung, quasi den zweiten Booster. Kurz nach Neujahr folgte das israelische Gesundheitsministerium der Empfehlung eines Expertengremiums, auch über 60-Jährige und medizinisches Personal erneut impfen zu lassen.
Grund dafür ist die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante in Kombination mit abbauender Antikörper-Zahl. Diese sinkt nach Angaben des israelischen Professors Ejal Leschem, Experte für Infektionskrankheiten, nämlich auch nach einer Booster-Impfung. „Es ist ein natürlicher Prozess, dass die Antikörper allmählich wieder weniger werden nach einer Impfung“, sagte er. Erst innerhalb einiger Wochen werde man aber wissen, was das konkret für den Impfschutz bedeute. Denn dieser hängt nicht nur von Antikörpern ab, sondern etwa auch von sogenannten T-Zellen.
Klar ist aber, dass eine vierte Impfung den Antikörperspiegel wieder ansteigen lässt – zumindest vorläufig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Schiba-Krankenhauses bei Tel Aviv. Demnach erhöht die vierte Impfdosis mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer die Zahl der Antikörper gegen die Omikron-Variante binnen einer Woche um das Fünffache. Dieser Anstieg sei allerdings „nicht sehr beeindruckend“, sagte Studienleiterin Professor Gili Regev der israelischen Nachrichtenseite „ynet“. Man sei kurz nach der vierten Impfung wieder auf demselben Antikörper-Stand wie kurz nach der dritten, sagte Regev. Sie habe sich von einer zweiten Booster-Impfung mehr erhofft. Es könne nicht das Ziel sein, sich etwa alle vier Monate erneut gegen das Coronavirus impfen zu lassen.
Regev sei zwar froh, dass man gefährdeten Bevölkerungsgruppen wie Immungeschwächten und über 60-Jährigen in Israel bereits die vierte Dosis gebe. „Aber ich bin mir wirklich nicht sicher, ob man sie nun allen geben sollte. Wir brauchen noch mehr Informationen.“ Ein erhöhtes Risiko bringt eine vierte Impfung nicht mit sich. Sie sei „sicher und effektiv“, sagte der israelische Ministerpräsident Naftali Bennett, der die Ergebnisse am Dienstag gemeinsam mit Studienleiterin Regev vorgestellt hatte. Schon zuvor hatte die Klinik mitgeteilt, dass die Impfreaktionen ähnlich wie nach der dritten Dosis seien. Mehr als 20.000 Israelis hätten sich bereits zum vierten Mal impfen lassen, rund 100.000 hätten einen Impftermin vereinbart, sagte Bennett am Dienstag weiter.
Die nach der vierten Impfung zunächst vorhandene Erhöhung des Antikörperspiegels ist zunächst ein gutes Zeichen. Genau wie die allmähliche Abnahme nach der Impfung lässt sie allerdings nicht automatisch einen Schluss darauf zu, inwiefern sich der tatsächliche Schutz vor einer Infektion oder vor einer Erkrankung verändert.
Verhaltene Prognosen zu vierter Impfung in Deutschland
Auch deshalb wollen sich Expertinnen und Experten noch nicht darauf festlegen, ob es auch in Deutschland in nächster Zeit zu einer – zumindest für Teile der Bevölkerung – flächendeckenden Impfkampagne zwecks einer zweiten Booster-Impfung kommen könnte. „Am liebsten wäre es mir, die entsprechenden Studien abzuwarten, in Israel und bei uns“, sagte Professor Oliver Cornely, Infektiologe an der Uniklinik Köln, dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Aber so geordnet geht das in der Pandemie ja oft nicht. Meine Vermutung ist: Die vierte Impfung wird für die Risikogruppen kommen.“ Hausärzteverband-Chef Ulrich Weigeldt prognostiziert ähnlich. Er hatte kürzlich gesagt, man rechne damit, dass im Sommer, spätestens im Herbst eine vierte Impfung nötig sein werde.
Studien-Ausweitung geplant
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Infektiologe Professor Oliver Cornely leitet das europäische Impfstoff-Netzwerk „Vaccelerate“, in dessen Rahmen auch die Studie „Eu-Covat-1 Aged“ zur Wirkung einer Booster-Impfung bei Menschen, die 75 Jahre und älter sind, läuft. Die Studie soll europaweit starten, in Köln läuft sie bereits. Erste Zwischenergebnisse erwarten Cornely und sein Team Ende Januar.
Das „Vaccelerate“-Netzwerk ermögliche ihnen die nötige Flexibilität, um die Studie jederzeit an die aktuelle Lage der Pandemie anzupassen, so Cornely. So könne im Rahmen der Untersuchung auch eine vierte Impfung angeboten werden. „Wir werden danach sagen können, welche Steigerung der Immunabwehr durch die vierte Impfung bewirkt wird. Die Ergebnisse gelten dann nur für die Risikogruppe 75+. Unsere Ergebnisse werden das Vorgehen bei anderen Risikogruppen beeinflussen.“
Mit dem Ziel, die Ausbreitung von Omikron abzubremsen, hält auch Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und Mitglied des Expertenrats der Bundesregierung, einen erneut aufgefrischten Antikörperschutz in der Bevölkerung für durchaus sinnvoll. Aber: „Über die vierte Impfung müssen wir hier noch nicht nachdenken, wir müssen erst mal insbesondere die Menschen über 60 Jahre alle mit der dritten Impfung boostern“, sagte Falk in der Süddeutschen Zeitung. In Einzelfällen, etwa in bestimmten Alten- und Pflegeheimen, wo Menschen bereits im September ihre dritte Impfung bekommen haben, könne eine vierte Impfung Sinn machen. „Für die Allgemeinbevölkerung aber müssen wir das nicht diskutieren, bevor nicht alle überhaupt dreimal geimpft sind und die Ungeimpften sich zur ersten Impfung entschlossen haben.“
Konzentration auf Booster-Impfungen
Die Einschätzungen sind also noch vage, die Konzentration der Impfkampagne hierzulande liegt eindeutig auf Erst- und vor allem den Booster-Impfungen. Denn die dritte Impfung wirkt auch gegen die aufkommende Omikron-Variante. Durch die Booster-Impfung „halbiert sich das Infektions-Risiko an einem Omikron-Patienten“, betonte Professor Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, im aktuellen Coronavirus-Podcast des NDR. Die Weitergabe der neuen Variante werde durch die dritte Impfung ebenfalls eingeschränkt.
Eine Untersuchung von Professor Florian Klein, Virologe an der Uniklinik Köln, in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité lässt ebenfalls darauf schließen, dass es nun vor allem auf dritte Impfungen ankommt. So konnte nachgewiesen werden, dass Antikörper, die nach der ersten Impfserie oder nach der Genesung gebildet werden, die Omikron-Variante kaum neutralisieren. Nach der Booster-Impfung jedoch war der Schutz in allen Fällen erheblich höher. Auch Christine Falk betont, die dritte Impfung schütze Menschen mindestens drei bis fünf Monate gut vor einer Infektion. „Wir heben mit der dritten Impfung die Menschen auf den höchsten Immunschutz, den wir derzeit anbieten können.“
Hersteller arbeiten an angepasstem Impfstoff
Erhöht sich dieser angebotene Immunschutz, könnte eine vierte Impfung zügig ins Spiel kommen. Dann nicht, um den Impfschutz aufzufrischen, sondern um ihn qualitativ zu verbessern. Denn: Die aktuell verimpften Vakzine wurden auf der Grundlage des sogenannten Wildtyp von Sars-CoV-2 entwickelt, der Ende 2019 zuerst in China entdeckt worden war. Seitdem ist das Virus mehrfach mutiert. Gegen Varianten wie Alpha oder Delta wirken die Impfstoffe weiter sehr gut, mit Omikron hat es eine Mutante nun geschafft, den Schutz zumindest teilweise zu umgehen.
Deshalb werde an Omikron-spezifischen Impfstoffen gearbeitet, erklärte Oliver Cornely. „Diese rasche Anpassung ist vor allem durch die Mainzer mRNA-Technologie möglich.“ Im Frühling dieses Jahres könnten dann Impfstoffe auf den Markt kommen, die speziell an Omikron angepasst sind. Dafür müssten die Hersteller in ihren Untersuchungen allerdings auch zu dem eindeutigen Ergebnis kommen, dass eine Anpassung ihrer Vakzine notwendig ist.
Deutschland hat Omikron-Impfstoff bestellt
Auf das Impfen mit einem an Omikron angepassten Impfstoff, sei man vorbereitet, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits kurz vor Weihnachten. Man habe „spezifischen Omikron-Impfstoff gekauft beim Unternehmen Biontech.“ Lauterbach sprach von insgesamt 80 Millionen Dosen, mit denen ab April oder Mai gerechnet werde. Zusätzlich solle auch wieder Moderna-Impfstoff beschafft werden. „Ich würde persönlich als Wissenschaftler davon ausgehen, dass wir davon ausgehen müssen, dass eine sogenannte vierte Impfung, das wäre es dann ja, dass die notwendig sein wird.“
Aktuell hat eine vierte Impfung noch keine Priorität, Booster-Impfungen bieten ausreichend Schutz. Zudem stellt sich auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit: Ist eine zweite Auffrischung des Impfschutzes hierzulande gerechtfertigt, wenn Menschen in ärmeren Ländern kaum an eine erste Impfung kommen? „Dass jeder für sich selbst den besten Schutz möchte, ist eine menschliche Reaktion. Die Frage ist, wo hört der Eigenschutz auf, und wo müssen wir uns bei den Auffrischungen beschränken, damit andere überhaupt eine Grundimmunisierung erhalten können“, sagt Oliver Cornely. Zudem erhöhen niedrige Impfquoten das Risiko neuer Mutationen. Weltweit brauche es mehr Impfstoff und mehr Solidarität, so Cornely. Erst dann kann man sich aus seiner Sicht Gedanken über eine vierte Impfung machen. (mit dpa)