Intensivmediziner zu Covid-19Künstliche Beatmung zieht oft Folgeschäden nach sich
Lesezeit 6 Minuten
In Corona-Zeiten reden alle über Beatmungsgeräte. Die gute Nachricht ist: Deutsche Krankenhäuser sind sehr gut damit ausgestattet.
Die schlechte: Eine künstliche Beatmung zieht oft Folgeschäden nach sich – häufig sogar den Tod.
Ein Intensivmediziner der Uniklinik Köln hat uns erklärt, wie die Maschinen funktionieren.
Köln – Über keine andere Maschine wird derzeit so viel gesprochen wie über diese: das Beatmungsgerät. Deutschland ist damit gut ausgestattet, das hat sich in den vergangenen Wochen gezeigt. Denn wer schwer von Covid-19, der durch das Coronavirus ausgelösten Krankheit, betroffen ist, muss häufig an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden.
Hierzulande kommen 33,9 Intensivbetten auf 100.000 Menschen, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Österreich und die USA weisen eine ähnlich hohe Dichte auf. In Italien sind es hingegen nur 8,6 Betten pro 100.000 Einwohner, in Spanien 9,7. Beatmungsgeräte können Corona-Patienten das Leben retten – und viele Beatmungsgeräte können viele Leben retten. Doch die Behandlung mit den Maschinen kann auch negative Folgeschäden haben. Und sogar Leben kosten. „Es gilt daher stets zwischen Schaden und Nutzen der Beatmungstherapie abzuwägen“, sagt Alexander Shimabukuro-Vornhagen, Oberarzt auf der internistischen Intensivstation der Uniklinik Köln. „Wenn die Beatmung nicht richtig durchgeführt wird, stirbt allein an den Folgen der beatmungsbedingten Schäden im Durchschnitt jeder elfte beatmete Patient.“ Warum passiert das? Und wie funktionieren die Geräte überhaupt?
Ohne Sauerstoff kann der Mensch nur wenige Minuten überleben
Um das zu verstehen, muss man sich erstmal anschauen, wie die Lunge natürlicherweise funktioniert: Beim Einatmen weitet sich der Brustkorb, das Zwerchfell senkt sich, die Lunge dehnt sich automatisch mit aus. Dabei entsteht Unterdruck, die Luft wird durch Mund und / oder Nase über die Luftröhre in die Lunge gesogen. Dort nimmt das Blut den Sauerstoff auf und transportiert ihn dann zu den Körperzellen in den unterschiedlichen Organen. Beim Ausatmen verengen Brustkorb und Lunge sich wieder – und die mit CO2 angereicherte Luft wird wieder aus der Lunge herausgepresst.
„Bei den Beatmungsgeräten funktioniert es genau andersherum“, sagt Alexander Shimabukuro-Vornhagen. „Das Gerät presst die Luft mit Druck in die Lunge hinein. Beim Ausatmen lässt der Druck wieder nach, die Luft entweicht.“ Eine künstliche Beatmung ist notwendig, wenn die Sauerstoff-Versorgung des Körpers nicht mehr sichergestellt ist. Denn: Ohne Sauerstoff kann der Mensch nur wenige Minuten überleben. Und wenn ein Patient schwer an Covid-19 erkrankt ist, bekommt er davon oft nicht genug. Die Viren haben sich dann tief in der Lunge festgesetzt, das Gewebe ist entzündet, die Atmung fällt schwer.
Nicht direkt ans Beatmungsgerät
Doch nicht jeder Patient muss direkt an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden, sagt der Experte. Im ersten Schritt legt man eine Kanüle in die Nase und versorgt den Patienten so mit zusätzlichem Sauerstoff. Die Menge dessen lässt sich auch noch hochfahren. Hilft das nicht mehr, bekommt der Patient eine Maske angelegt, die den Sauerstoff mit zusätzlichem Druck Richtung Lunge befördert und den Patienten so bei der Atmung unterstützt. Diese Verfahren sind noch relativ schonend und nur mit wenigen Folgeschäden verbunden. „Wenn das aber nicht mehr reicht, müssen wir den Patienten intubieren, ihm also einen Schlauch in die Luftröhre legen, um ihn anschließend mit Hilfe einer Beatmungsmaschine beatmen zu können“, sagt Alexander Shimabukuro-Vornhagen. Je schwerer die Lunge durch die Infektion geschädigt ist, desto höher sind in der Regel die zusätzliche Sauerstoffgabe und die Beatmungsdrücke, die notwendig sind, um den Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Das Problem: Hohe Beatmungsdrücke führen jedoch zu einer zusätzlichen Schädigung der Lunge.
Wenn selbst mit einer künstlichen Beatmung keine ausreichende Sauerstoffversorgung mehr sichergestellt werden kann, steht noch die „extrakorporale Membranoxygenierung“, abgekürzt Ecmo zur Verfügung. Das ist eine Art künstliche Lunge: Das Blut wird mit Hilfe einer Pumpe über einen fingerdicken Schlauch in der Leiste durch einen speziellen Filter gepumpt, wo es mit Sauerstoff angereichert wird – und dann durch einen weiteren Schlauch über eine Vene am Hals zurück in der Körper geschickt. Eine recht riskante Methode, bei der die Maschine die Funktion der Lunge übernimmt. „Die Ecmo wird eingesetzt, um Zeit zu gewinnen, die Ursache für den Lungenschaden zu ergründen – oder wie bei Covid-19 dem Gewebe die Möglichkeit zu geben, abzuheilen.“ In der Uniklinik Köln habe man bisher drei Covid-19-Patienten an der Ecmo behandeln müssen.
Covid-19 ist eine langwierige Infektion
Alexander Shimabukuro-Vornhagen und viele seiner Kollegen waren überrascht, wie schnell sich die Situation eines Corona-Patienten verschlimmert – und auch, wie langwierig die Infektion bei den schwer Erkrankten sei: „Diese Patienten müssen wir häufig drei bis vier Wochen beatmen.“ Das seien aber fast alles Menschen, die bereits Vorerkrankungen wie zum Beispiel einen Bluthochdruck oder eine Zuckerkrankheit gehabt hätten. Auch Raucher seien deutlich schwerer betroffen als Nichtraucher. Insgesamt 21 Patienten wurden an der Kölner Uniklinik bereits intensivmedizinisch behandelt.
Von der Beatmung-Prozedur an sich bekommen die meisten Patienten übrigens wenig mit – zumindest nicht bei der komplett künstlichen Beatmung. Bei der Sauerstoffgabe durch Röhrchen in der Nase sind die Patienten bei Bewusstsein. Sobald jedoch die Beatmung über den Schlauch in der Luftröhre nötig wird, müsse man den Patienten in ein künstliches Koma versetzen. „Die meisten Patienten tolerieren den Beatmungsschlauch schlecht und reagieren mit einem Würgereiz“, erklärt Alexander Shimabukuro-Vornhagen. „Trotzdem versuchen wir natürlich, die Patienten so wach wie möglich zu halten.“
Genug Geräte, zu wenig Personal
All das bedarf einer kontinuierlichen Überwachung durch das Klinikpersonal. Gerade damit die künstliche Beatmung möglichst schonend ist, muss jedes Gerät ständig individuell auf den jeweiligen Patienten eingestellt werden. Dafür braucht es speziell geschulte Pflegekräfte. „Wir hatten schon vor Corona einen Pflegekräftemangel im Intensivbereich, jetzt fällt es noch schwerer, die Versorgung sicherzustellen“, sagt Alexander Shimabukuro-Vornhagen. Erschwerend hinzu kommt, dass das Personal vor jedem Gang ins Zimmer Schutzkleidung anlegen muss, was etwa fünf Minuten dauere, das Ausziehen brauche noch länger. Ein unabdingbarer Schutz für das Pflegepersonal, der jedoch viel Zeit frisst.
Die lange künstliche Beatmung fordert bei den Patienten ihren Tribut: Wenn Patienten mit Covid-19 eine künstliche Beatmung benötigen, stirbt mehr als die Hälfte in der Folge, beschreibt Alexander Shimabukuro-Vornhagen die Beobachtungen von Medizinern. Wer überlebt, kann leichte Folgeschäden wie Halsschmerzen oder Verletzungen an den Stimmbändern davontragen. Das Lungengewebe bei Covid-19-Patienten kann aber auch langfristig geschädigt bleiben – ob durch die Erkrankung oder die Beatmung ist teilweise gar nicht festzumachen. „Wie viele Patienten langfristige Probleme haben werden und wie schwer diese sein werden, lässt sich aktuell noch nicht sicher abschätzen“, sagt Alexander Shimabukuro-Vornhagen. „Doch insbesondere bei Patienten mit Vorerkrankungen ist es möglich, dass dauerhafte Atembeschwerden bestehen bleiben und eine Heimsauerstofftherapie oder Langzeitbeatmung notwendig wird.“
Auf den Intensivstationen der Uniklinik Köln sind Ärzte und Pfleger zurzeit dabei, die ersten schwer betroffenen Patienten langsam wieder an das selbstständige Atmen zu gewöhnen. Die gute Nachricht: Sechs der 21 Patienten konnten bereits auf normale Stationen verlegt werden.