Kinderkrankenpflegerin Kathrin Kartal betreut Frühchen. Eine riesige Hilfe für die Eltern. Das geht nur mit viel Liebe – für die Menschen und den Beruf.
Kölner Frühchen-Pflegerin„Das Schönste am Beruf ist, die Babys ins Leben zu begleiten“
Auf dem großen blauen Wickeltisch sehen Lia Sophies Füßchen besonders winzig aus. Das Mädchen zappelt ein bisschen und seufzt quiekend, wie es nur Säuglinge können. „Wie geht’s dir, Schatzi?“, fragt Kinderkrankenschwester Kathrin Kartal das Mädchen, streicht ihm sanft über den Rücken und wendet sich dann wieder Zwillingsschwester Emilia zu, die neben ihr gewickelt wird. Routiniert schließt sie die kleine Windel, streift die bunte Hose über die zarten Beinchen und nimmt die beiden Frühchen dann gleichzeitig mit beeindruckend sicherem Griff hoch.
„Selbst die kleinen Babys sind robuster, als man denkt“, lacht Kartal, „und die beiden gehören immerhin schon zu den größeren hier, sie haben die ersten schwierigen Wochen bereits geschafft.“ Das haben sie, im wahrsten Sinne des Wortes. Am 1. November kamen die Zwillinge rund zehn Wochen vor dem errechneten Geburtstermin in der Uniklinik Köln per Kaiserschnitt zur Welt. Lia Sophie wog bei der Geburt nur 995 Gramm, ihre Schwester Emilia 1270 Gramm. Die Frühchen wurden im Perinatal-Zentrum auf der neonatologischen Intensivstation versorgt. Sie lagen im Inkubator, mussten beatmet und über eine Magensonde ernährt werden. Glücklicherweise waren ihre Prognosen gut.
Auf Station werden die Frühchen weiter stetig überwacht
Seit rund zwei Wochen sind die Mädchen nun hier auf Säuglingsstation drei, bei Kathrin Kartal und ihren Kolleginnen und Kollegen. „Sobald Frühchen und kranke Babys nicht mehr intensivmedizinisch betreut werden müssen, begleiten wir sie hier weiter“, erzählt sie. Die Kinder werden versorgt, medizinisch unterstützt und überwacht. „Wir sind sehr erfahren und gut geschult, um selbst kleinste Veränderungen bei den Kindern zu erkennen.“ Auch Lia Sophie und Emilia sind noch verkabelt, um Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung und Atmung kontrollieren zu können. „In unserer Monitorzentrale sehen wir die Werte aller Kinder auf Station, sodass wir im Notfall sofort reagieren können.“
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Das Piepen der Geräte ist im Hintergrund stets leise zu hören. „Mehrere Male am Tag geht auch der Alarm, immer dann, wenn bei einem Kind die Werte kritisch sind“, sagt Kartal, „reguliert sich das Baby nicht selbst, müssen wir es stimulieren, es zum Beispiel hochnehmen und ihm leicht auf den Rücken klopfen.“ Eine große Verantwortung. Echte Notfälle seien glücklicherweise selten, es komme jedoch häufiger vor, dass ein Kind zur Behandlung zurück auf die Intensivstation müsse. „Gerade sehr früh geborene oder chronisch kranke Babys brauchen noch lange Unterstützung.“ Viele Familien seien Wochen oder sogar Monate mit ihren Kindern in der Klinik.
Nicht nur die Babys brauchen Betreuung, auch die Eltern
„Wir betreuen deshalb nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern mit“, sagt Kathrin Kartal, „wir unterstützen sie ganz praktisch bei der Babypflege, aber auch durch Gespräche. Das ist ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit, der mir persönlich großen Spaß macht und in den ich viel Herzblut und Liebe stecke.“ Gerade die Kölner Eltern seien meist besonders aufgeschlossen. Die gleichen Pflegerinnen begleiteten eine Familie dann, wenn möglich, über einen längeren Zeitraum. „Es ist wertvoll, wenn die Eltern uns kennen und wir zum Wohle der Kinder zusammenarbeiten.“
Im Zimmer der Zwillinge ist nun Zeit fürs nächste Fläschchen. Alle drei Stunden gibt es 45 Milliliter. Emilia bekommt Pre-Nahrung, Lia Sophie Muttermilch aus der Spendermilchbank. Portioniert und angerührt werden alle Milchmahlzeiten in der klinikeigenen Milchküche. Zwillingsmutter Louisa Maes liegt auf dem Bett und füttert Lia, Pflegerin Kathrin hält Emilia. Entspannte Teamarbeit. Die Kinder glucksen beim Trinken, es wird geplaudert, die Stimmung ist vertraut. Im Falle der Zwillinge hat sich bereits vieles eingespielt. „Ich bin froh, dass Kathrin noch mithilft und ein Auge auf die Kinder hat“, sagt die 26-jährige Bergheimerin, „aber Wickeln und Füttern klappt jetzt auch alleine total gut.“
Die erste Zeit mit Frühchen ist eine riesige Herausforderung
Anfangs sei das ganz anders gewesen. „Nach der Geburt war ich total hilflos“, erinnert sie sich, „ohne die Pflegerinnen wäre ich aufgeschmissen gewesen, ich habe alles von ihnen gelernt.“ Louisa Maes wird ernst, als sie über die ersten Tage mit den Kindern spricht: „Es war schon vor der Entbindung schwer, da ich eine Schwangerschaftsvergiftung hatte“, erzählt sie, „als die Babys dann da waren, legte man sie mir kurz auf den Bauch, bevor sie versorgt wurden. Doch dann bekam ich Corona und konnte sie die ersten Tage überhaupt nicht besuchen.“ Sie habe lange gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. „Als ich endlich zu ihnen durfte, konnte ich sie erst kaum sehen, weil sie wegen Gelbsucht eine Maske über den Augen hatten und ich durfte auch nur die Hand zu ihnen hineinlegen.“ Das habe sich seltsam angefühlt. „Es war ein bisschen so, als wären es gar nicht meine Kinder.“
Die erste Zeit mit einem zu früh geborenen oder kranken Kind sei besonders herausfordernd, sagt Kathrin Kartal: „Das Baby kommt meist sofort nach der Geburt weg, manchmal sehen die Eltern es erst Stunden oder Tage später wieder.“ Gerade für die Mütter sei auch die hormonelle und körperliche Belastung hoch. „Sie schleppen sich mit Kaiserschnittwunde auf die Kinderintensivstation oder kommen am Tag nach der Geburt per Taxi von einer Klinik außerhalb“, erzählt sie, „sie bringen echt unmenschliche Kräfte auf.“ Die meisten weinten, wenn sie ihr Kind dort so verkabelt liegen sähen. „Alles ist anders, sie haben ständig Angst um ihr Baby, das kann eine traumatische Erfahrung sein.“
Ihre Neugeborenen komplett dem Klinikpersonal anzuvertrauen, sei zu Beginn nicht einfach gewesen, erzählt Louisa Maes. „Kein Wunder“, sagt Kartal, „Eltern sind hier ja völlig ausgeliefert und müssen uns als Fremde blind vertrauen, gegen ihren elterlichen Instinkt.“ Und während andere Eltern ihr Baby ständig um sich hätten, bräuchten Frühchen-Eltern bei jedem Schritt Hilfe. „Sie wollen einfach nur ihr Kind halten, können es aber nicht einmal alleine hochnehmen. Das macht viele Eltern fertig. Sie brechen auch mal zusammen, weil sie nicht mehr können.“
Besorgte Eltern brauchen Empathie und Zuwendung
Hier hätten sie als Pflegekräfte eine ganz wichtige Rolle: „Wir müssen richtig empathisch sein und alle Eltern und ihre Gefühle ernst nehmen“, sagt Kathrin Kartal, „und wenn eine Mutter die 50. Heulattacke hat, dann ist das auch völlig okay.“ Es sei wichtig, hier einen liebevollen Blick auf die Nöte der Familien zu bewahren. Nah gingen ihr persönlich solche Situationen bis heute: „Dann habe ich Tränen in den Augen.“ Natürlich fange sie die Eltern auf, wie es ihre Aufgabe sei, sie fühle aber trotzdem mit. „Routine braucht man – aber ich finde, man kann nicht gut mit Menschen arbeiten, ohne auch etwas an sich heranzulassen.“
Nicht immer sei der Kontakt zu den Frühchen-Familien aber harmonisch. „Manche Eltern sind zum Beispiel mit notwendigen medizinischen oder pflegerischen Maßnahmen nicht einverstanden, dann erleben wir hier auch konfliktreiche Momente.“ Manche Kinder würden auch schon früh vom Jugendamt in Obhut genommen. Für diese Babys seien sie als Pflegekräfte extrem wichtige Bezugspersonen. „Wir versuchen, ihnen extra viel Liebe und Zuwendung zu geben“, erzählt sie, „manche nehmen wir auch mal in ihren Bettchen in unseren Pausenraum mit, damit sie Gesellschaft haben. Und ist ein Kind besonders unruhig, schnalle ich es mir im Tragetuch um und nehme es auf meine Runde mit.“ Durch die Nähe beruhigten sich die Babys meist schnell.
„Ich liebe es, den Kindern diese Geborgenheit geben zu können“, erzählt Kathrin Kartal, „und ich baue auch immer eine emotionale Bindung zu ihnen auf, selbst wenn sie nur kurz bei uns auf Station sind.“ Es sei einfach das Schönste an ihrem Beruf, diese kleinen Menschen gemeinsam mit ihrem Team ins Leben zu begleiten. „Und ich freue mich umso mehr, wenn sie fit und stabil genug sind, um nach Hause zu gehen.“
Bei den Zwillingsmädchen ist es bald so weit. Mutter Louisa Maes kann es kaum erwarten: „Ich bin jetzt schon seit drei Monaten hier, Ende Oktober haben mein Mann und ich sogar im Patientenzimmer geheiratet“, erzählt sie, „jetzt wird es Zeit, die Kinder endlich heim zu bringen.“ Das sei dieses Jahr ihr allergrößter Weihnachtswunsch.
Zur Person: Kathrin Kartal ist Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin an der Uniklinik Köln und machte ihre Ausbildung beim Roten Kreuz in München. Einer ihrer ersten Jobs an der Münchner Uniklinik sei bereits auf der Säuglingsstation gewesen, die sie später mit leitete. Bis heute haben es ihr die kleinsten Patienten angetan: „Die Arbeit mit Frühchen bedeutet mir viel, das ist einfach so meins.“ Sie ist verheiratet, Mutter zweier Töchter und lebt in Köln.