Trotz CoronaDarf ich mein Kind in den Sommerferien zu den Großeltern schicken?
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Nach monatelangem Lockdown stehen nun auch noch sechs Wochen Sommerferien bevor, in denen die Kinder nicht betreut werden.
Viele Eltern haben ihren Urlaub verbraucht. Wohin nun mit den Kindern?
Darf man sie wieder zu den Großeltern schicken? Wir haben Kinderärzte und Virologen gefragt.
Köln – In NRW beginnen heute die Sommerferien, auch in anderen Bundesländern haben die Schüler schon frei. Für viele Eltern ist das dieses Jahr kein Grund zur Freude. Es ist in normalen Jahren schon schwierig, die Kinder sechs Wochen lang zu betreuen. Dieses Jahr ist es eine ganz besondere Herausforderung.
Wegen des monatelangen Lockdowns und der fehlenden Betreuung in Schule und Kindergarten haben viele Eltern ihren Urlaubsanspruch schon aufgebraucht. Nicht alle haben Urlaub gebucht, viele Feriencamps finden nicht statt oder man hat Bedenken, seine Kinder mit fremden Kindern zusammen betreuen zu lassen.
Wohin jetzt also weitere sechs Wochen lang mit dem Nachwuchs? Im Regelfall kann sich glücklich schätzen, wer Großeltern in der Nähe hat, die ab und zu auf die Kinder aufpassen. Doch wegen der Ansteckungsgefahr haben Opa und Oma ihre Enkel schon lange nicht mehr gesehen. Gilt das immer noch?
„Ich würde meine Kinder in den Ferien zu den Großeltern schicken“, hat der Bonner Virologe Hendrik Streeck neulich dem „Stern“ gesagt. Er persönlich habe keine Probleme damit, seine Kinder in die Schule zu schicken. „Ich halte die Gefahr, dass ich mir über Kinder Covid-19 nach Hause hole, für gering“, sagte der Wissenschaftler.
Ebenfalls würde er seine Kinder in den Sommerferien zu Oma und Opa schicken. Streeck plädiert dafür, ältere Menschen nicht zu bevormunden: „Eine 82-jährige Frau hat in ihrem Leben schon viele Risikoabschätzungen getroffen. [...] Sie kann selbst entscheiden, ob sie das Risiko eingehen will, ihre Enkel zu sehen. Das müssen wir nicht für sie tun.“
Kinder stecken sich seltener mit Covid-19 an und haben mildere Symptome
Ist es wirklich so einfach? Einer Studie aus Baden-Württemberg zufolge stecken sich Kinder wohl tatsächlich seltener mit dem Coronavirus an als ihre Eltern. Sie seien daher nicht als Treiber der Infektionswelle anzusehen, sagte Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Kinderklinik am Universitätsklinikum Ulm, zum Ergebnis der Untersuchung.
Kinder steckten sich etwa dreimal seltener an als Erwachsene, schreibt auch das „Deutsche Ärzteblatt“. Kommt es doch zu einer Infektion, sind die Verläufe bei Kindern und Jugendlichen milder. Dem Ärzteblatt zufolge ist allerdings nicht abschließend geklärt, in welchem Ausmaß Kinder relevante Überträger des Virus sind, weil es auch Übertragungen von symptomfrei Erkrankten gegeben habe.
„Wenn Kinder und Großeltern gesund sind, ist das Risiko relativ gering“
Entwarnung kommt vom Kinder- und Jugendarzt Jakob Maske aus Berlin. Er sieht einen Besuch der Kinder bei ihren Großeltern locker – sofern die entsprechenden Hygieneregeln eingehalten werden. „Wenn die Kinder gesund zu ihren Großeltern gehen, sollte das Risiko relativ gering sein. Allerdings kann man als Arzt jetzt auch nicht aktiv dazu raten, es ist immer Abwägungssache, weil weiterhin die über 50-Jährigen am gefährdetsten sind“, erklärt er. Am besten sollten die Großeltern selbst entscheiden, ob sie bereit dazu sind, ihre Enkelkinder zu sehen. Der Erkrankungsgefahr gegenüber stehe die Sorge, nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen: „Die Enkelkinder weiterhin auf eine unbestimmte Zeit nicht zu sehen, ist ein soziales Risiko, was auch nicht unbedingt gesund macht.“ Wenn Kinder ihre Großeltern besuchen, sollten sie darauf achten, die Räume im Haus gut durchzulüften und sich ansonsten möglichst viel draußen aufzuhalten, wenn möglich mit dem nötigen Abstand.
Im Zweifel lieber vorher testen lassen
Dr. Rolf Kaiser ist zertifizierter Fachvirologe (GfV) und leitet seit 2001 die molekulare Diagnostik am Institut für Virologie in Köln.
Er sagt: „Wir haben im Moment eine niedrige Häufigkeit, auch das warme und trockene Wetter spielt uns in die Karten. Von daher dürfte man die Kinder ruhig zu den Großeltern schicken. Wenn die Angst vor der Ansteckung aber zu groß ist, kann das das Vergnügen trüben.“
Bei zu großer Sorge empfiehlt er deshalb, die Enkel vor einem Besuch testen zu lassen, zum Beispiel am Infektionsschutzzentrum der Uniklinik Köln. Sollten während und nach dem Besuch Bedenken wegen fraglicher Kontakte oder gar Symptome bei den Großeltern oder den Kindern auftreten, dann sollte man ebenfalls einen Test machen. „Wir dürfen die Angst vor der Ansteckung nicht nieder reden, sondern sollten die Bedenken ernst nehmen. Wir haben schon so viel geschafft und durch die Maßnahmen so viele Leben gerettet, da sollten wir jetzt nicht leichtfertig sein“, meint er.
„Die Leute sollten eigenständig handeln“
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Homöopathin Dr. Claudia Rust aus Lohmar plädiert ebenfalls für individuelle Lösungen: „Ich bin der Meinung, die Leute können eigenständig handeln und sollten das auch tun. Entscheidend ist das Abwägen: Wie hoch ist das Risiko, dass jemand schwer erkrankt oder stirbt gegenüber all den anderen Dingen, die ich nicht machen kann? Wenn man davon ausgeht, dass die Kinder gesund sind und die Großeltern sich fit fühlen, spricht nicht viel dagegen. Wenn meine Kinder noch klein wären, würde ich sie auch zu den Großeltern schicken – wenn diese das möchten. Ich würde meine Eltern nicht in eine Situation bringen, wo sie ständig Sorge haben, dass sie schwer erkranken oder sterben.“
Entscheidend sei also, wie die Großeltern selbst die Sache sehen und wie es um ihren Gesundheitszustand steht. Wenn Oma und Opa zum Beispiel an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) leiden, ein überreaktives Immunsystem haben, eine Radio- oder Chemotherapie machen oder starke Raucher sind, sollte man genau abwägen, ob man die Kinder zu ihnen bringt. Davon abgesehen rät Rust zu mehr Weitsicht: „Ich bin der Meinung, dass wir diese Situation gar nicht so schnell geändert bekommen, wenn wir sie überhaupt geändert bekommen. Wir leben nicht in der sterilen Welt und nicht unter einer Glasglocke, in der keine Krankheiten existieren. Wir müssen einen Weg finden, wie wir mit dem Erreger weiterleben können und uns vor schweren Verläufen schützen.“