In allen deutschen Nationalparks laufen derzeit große Untersuchungen. Unter anderem werden tote Rehe oder verendete Rothirsche ausgelegt.
Bundesweites ProjektForscher legen im Nationalpark Eifel tote Wildtiere aus
Ein totes Reh oder ein verendeter Rothirsch – was passiert mit größeren Wildtieren, wenn sie in ihrem natürlichen Lebensumfeld sterben? Und wie wichtig ist Aas für das Leben anderer Tiere im Wald? Diesen Fragen geht derzeit ein Forschungsprojekt des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) nach: Um mehr über den ökologisch bedeutsamen Lebensraum Aas und das bisher noch wenig erforschte Zusammenspiel seiner Besucher herauszufinden, wurde das Förderprojekt mit dem etwas sperrigen Titel „Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft – Erprobung am Beispiel der Nationalparke“ ins Leben gerufen (siehe auch „Bundesweites Forschungsprojekt“).
Als einer der 16 deutschen Nationalparke ist der Nationalpark Eifel bereits seit Oktober vergangenen Jahres am Projekt beteiligt. Für Projektbetreuer und Forscher Sönke Twietmeyer aus der Nationalparkverwaltung Eifel hat jetzt die Untersuchungsphase begonnen. Regelmäßig zu Monatsbeginn werden nun gezielt tote Wildtiere ausgelegt, um diese bis zu ihrer vollständigen Zersetzung zu beobachten und zu untersuchen. „Im April hat es gerade einmal vier oder fünf Tage gedauert, bis vom Rehkadaver nichts mehr übrig war“, berichtet Twietmeyer.
Nationalpark Eifel: Aas als Festmahl für heimische Tiere
Kolkraben, Rot- und Schwarzmilan besuchten den auf der Dreiborner Hochfläche platzierten Rehkadaver, wie Aufnahmen aus einer in der Nähe aufgestellten Wildkamera zeigen. „Speziell in der kalten Jahreszeit ist so ein Stück Aas natürlich ein Festmahl für die Tiere“, so der Forscher: „Wenn es wärmer wird, nimmt die Bedeutung von Mikroorganismen weiter zu.“
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Projektziel ist es, erstmals über alle deutschen Nationalparke hinweg in den verschiedenen Großlandschaften – vom Gebirge über die Mittelgebirge bis hin zu den Küsten – standardisiert zu untersuchen, wie Aas in den verschiedenen Ökosystemen von Wirbeltieren, Insekten und Mikroorganismen, also Bakterien und Pilzen, genutzt wird.
Das zeigen die ersten Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald
Erste Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald zeigten 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten, 97 Zweiflüglerarten, 1820 Bakterienarten und 3726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse. „Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität“, bringt es Dr. Christian von Hoermann auf den Punkt, der die Beteiligten der Nationalparkverwaltung Eifel zu dem Thema schulte. „Kadaver sind die beste Düngung für den Wald“, so der Kadaverökologe: Aas setze viel mehr Nährstoffe frei als andere tote organische Materie wie Holz oder Blätter.
„Solche Zersetzungsinseln, auf denen Gräser oder Kräuter dann besonders üppig wachsen, lassen sich in den Folgejahren auch von Laien mitten im Wald leicht erkennen“, sagt Twietmeyer. „Das, was sich beispielsweise aus einem 30 Kilogramm schweren Kadaver an Nährstoffen löst, entspricht in vielen Agrarsystemen einer Düngung über 100 Jahre hinweg“, ist auch von Hoermann fasziniert von der enormen Wirkung auf die unmittelbare Umgebung eines Kadavers.
Obwohl dieser Mehrwert für die Artenvielfalt bekannt ist, sei selbst in Nationalparken mit deren Aufgabe der Förderung natürlicher Prozesse das Belassen verunfallter Wildtiere bislang kaum im Schutzgebietsmanagement vorgesehen, so der Kadaverökologe.
Nationalpark Eifel als Vorreiter
Im Nationalpark Eifel ist man da schon weiter. „Verunfallte Tiere werden von der Nationalparkverwaltung meistens von der Straße weg in das Nationalparkgebiet gezogen und dort belassen“, erklärt Twietmeyer. Im Rahmen des Projekts wird jetzt aber erstmals unter wissenschaftlichen Bedingungen erforscht, welche Arten am Kadaver zu finden sind. Große Aasfresser werden mittels Fotofallen, Insekten mittels so genannter Barberfallen, Pilze und Bakterien mit Hilfe von Abstrichen erfasst und genetisch analysiert.
Und aus aktuellem Anlass muss Twietmeyer auch eine Frage zum Wolf beantworten: Wird der nicht sogar angelockt, wenn regelmäßig größere Kadaver im Nationalpark ausgelegt werden? „Es ist nicht das Ziel des Forschungsprojekts, den Wolf anzulocken“, winkt der Forscher ab. Dass auch größere Wildtiere sterben, sei ja ein ganz natürlicher Vorgang, der tagtäglich überall in der Natur vorkomme. „Wir beobachten das hier unter wissenschaftlichen Bedingungen. Das ist der einzige Unterschied“, so Twietmeyer.
Bundesweites Forschungsprojekt
- Das Projekt wird mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) finanziert. Beteiligt sind alle 16 deutschen Nationalparke.
- Über einen Zeitraum von drei Jahren werden dabei jährlich acht natürlich verendete oder bei Wildunfällen getötete und nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignete Rehkadaver an zufälligen Plätzen in den Schutzgebieten belassen.
- In einem sogenannten Blockdesign werden zudem sechs Blöcke (drei im Sommer- und drei weitere im Winterhalbjahr), bestehend aus je drei Teilflächen, eingerichtet. Eine Teilfläche dient dabei als Kontrollfläche ohne Aas, auf einer Teilfläche wird ein Reh als allgegenwärtige Kadaverart ausgelegt und auf der dritten Teilfläche jeweils eine für den Lebensraum spezifische Tierart, wie der Rothirsch im Nationalpark Eifel. (thw)