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Vatikan billigt AusgabenWas es mit dem „Persilschein“ für Woelki auf sich hat

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Woelki nachdenklich

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln 

Köln – Klarer geht es nicht, oder? „Weder Sie, Eminenz, noch Ihr Generalvikar haben in der Angelegenheit der Finanzierung der beiden Gutachten zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Köln und bei der Finanzierung der Beratung durch die vom Erzbistum beauftragte Kommunikationsagentur das kirchliche Recht verletzt.“ Das hat der kanadische Kardinal Marc Ouellet, der Präfekt der Bischofskongregation in Rom, dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki mitgeteilt – anderthalb auf Deutsch verfasste Seiten mit dem Datum 29. April 2022, die die Rundschau einsehen konnte. Woelki brauchte demnach keine Gremien zu fragen, als er Mittel aus einem Sondervermögen, dem BB-Fonds, entnahm.

Was war Gegenstand der Prüfung in Rom?

Auslöser des Verfahrens in Rom war eine interne Prüfung, die Weihbischof Rolf Steinhäuser als Apostolischer Administrator während Woelkis Auszeit hatte anstellen lassen. In der Finanzabteilung des Erzbistums war aufgefallen, dass Aufträge für Gutachten zur Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt vergeben worden waren, ohne dass zwei Aufsichtsgremien – der Vermögensverwaltungsrat und das Domkapitel – eingebunden worden waren. Dabei sieht das Kirchenrecht diese Einbindung vor, wenn Akte der „außerordentlichen Vermögensverwaltung“ im Bistumsvermögen erfolgen. Allgemeine Rechtsgrundlage ist Kanon 1277 des kirchlichen Gesetzbuches (CIC), und für deutsche Bistümer definiert „Partikularnorm 18“ der Deutschen Bischofskonferenz die einzelnen Fälle, zum Beispiel Werkverträge im Volumen über 500.000 Euro – wie die beiden Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei WSW und der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger. Hinzu kamen noch Beratungsleistungen und Krisen-PR, summa summarum 2,8 Millionen Euro.

Steinhäuser ließ das alles begutachten und schickte die Ergebnisse (zwei Ausarbeitungen mit dem Vernehmen nach unterschiedlichen Ergebnissen) nach Rom. Die Bischofskongregation gab dieses Material und weitere Unterlagen an eine andere vatikanische Behörde, die Kleruskongregation unter dem südkoreanischen Erzbischof Lazarus You Heung-sik – und die befand: Kanon 1277 und Partikularnorm 18 seien nicht relevant. Denn: Das Rechtsgeschäft habe „nur den Bischöflichen Stuhl, zu welchem der BB-Fonds gehört“, betroffen: „Das diözesane Vermögen ist nie berührt worden.“

Sind auch weitere Ausgaben betroffen?

Das Vatikan-Schreiben thematisiert nur die erwähnten Gutachten und Beratungskosten. Steinhäuser hatte allerdings eine Prüfung aller Ausgaben der letzten zehn Jahre angekündigt, die auf Anweisung des Vatikan bis zu Woelkis Rückkehr zurückgestellt werden muss. Nach Woelkis Angaben hat sie inzwischen begonnen.

Öffentlich umstritten sind weitere Entnahmen aus dem BB-Fonds: Die Finanzierung der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (im laufenden Haushaltsjahr 3,2 Millionen Euro) und die Nothilfe für einen überschuldeten Priester in Höhe von 493 697,82 Euro. Im Fall des Priester hatte bereits Bistums-Justiziarin Heike Gassert genau so argumentiert, wie es jetzt die vatikanischen Behörden tun: „Beispruchsrechte“ von Gremien seien „gesetzlich eindeutig auf das Diözesanvermögen beschränkt“, und „Stuhl“-Vermögen sei kein Diözesanvermögen (wir berichteten). Nach dem aktuellen Brief aus Rom ist davon auszugehen, dass der Vatikan dies ebenso sieht.

Was ist eigentlich der Erzbischöfliche Stuhl?

Von der Existenz Bischöflicher und Erzbischöflicher Stühle wussten bis vor einem Jahrzehnt nur Fachleute. Dann, etwa 2012, kam der Bauskandal um ein Diözesanzentrum in Limburg ins Rollen, das der Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst weitgehend aus den Mitteln seines Bischöflichen Stuhls bezahlt hatte. Solche „Stühle“ sammeln oft seit Jahrhunderten Vermögen, während die Bistümer selbst erst seit den 1950er Jahren juristische Körperschaften und damit Vermögensträger sind.

Scan Münster

Ein Auszug aus dem Kirchenrechtskommentar 

Pikant: In den Finanzberichten des Kölner Erzbistums werden Diözesan- und „Stuhl“-Vermögen nicht einmal getrennt aufgeführt. Konsolidiert ergibt sich ein Eigenkapital von (2020) 2,64 Milliarden Euro – wie viel davon auf den Erzbischöflichen Stuhl entfiel, ist nicht ersichtlich. Getrennt veröffentlicht wurde das „Stuhl“-Vermögen zuletzt 2013 mit 166,2 Millionen Euro.

Der BB-Fonds (die Abkürzung bedeutet Bedürfnisse des Bistums oder auch Besondere Bedürfnisse) wurde von Joseph Kardinal Frings initiiert und durch Abgaben von Priestern gespeist. Ende 2020 umfasste er 16,8 Millionen Euro, Anfang des gleichen Jahres waren es noch 26,3 Millionen. Aus dem Fonds werden auch Anerkennungszahlungen und Therapiekosten für Missbrauchsopfer bezahlt.

Wie ist das Schreiben kirchenrechtlich zu beurteilen?

Das kirchliche Gesetzbuch trifft keine eigenen Regeln für Bischöfliche Stühle. Kardinal Ouellet und Erzbischof You Heung-sik greifen zur näheren Deutung auf Fachliteratur zurück: Ein 2010 erschienenes Werk über „Kirchliches Vermögen“ von Helmuth Pree und Bruno Primetshöfer. Pikant nur: Auf der herangezogenen Seite 35 steht das genaue Gegenteil dessen, was die beiden Vatikan-Vertreter behaupten. „Dabei gelten die Beispruchsrechte und Genehmigungsvorbehalte, wie sie für Diözesanvermögen vorgesehen sind“, schreiben Pree und Primetshöfer über die Verwaltung Bischöflicher Stühle, die durch die Finanzverwaltung des Bistums erfolgen dürfe.

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„Damit zeigt sich, dass die Kleruskongregation inkompetent ist, was vermögensrechtliche Fragen angeht“, meint der in Münster lehrende Kirchenrechtler Thomas Schüller. Man habe nichts aus dem Fall Tebartz-van Elst gelernt. Das ganze sei „ein selten peinlicher Vorgang für die Römische Kurie“. Auch die im Statut des BB-Fonds festgeschriebene Freiheit der Mittelverwendung sei rechtswidrig: Kirchliches Vermögen dürfe nur für im Kirchlichen Gesetzbuch definierte Zwecke ausgegeben werden.

Nicht zitiert haben Ouellet und You Heung-sik übrigens den deutschen Standardkommentar zum Kirchlichen Gesetzbuch, den „Münsterschen Kommentar“. Vermögensmassen, die nur deshalb nicht im Eigentum des Bistums stünden, weil dieses früher keine Rechtspersönlichkeit hatte, sei de facto diözesanes Vermögen, schreibt dort der Paderborner Kirchenrechtler Rüdiger Althaus. Das sei „das entscheidende Kriterium für die Anwendung des 1277“. Sonst könnte ein Bischof ja „jegliche Transaktion ausschließlich nach eigenem Gutdünken vornehmen“.

Also wirklich alles klar? Für den Vatikan ja und für Woelki sicher auch – für Fachleute eher nicht.