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Interview

Zusammenlegung von Pfarrgemeinden
Warum hat Woelki Post aus Rom bekommen, Herr Schüller?

Lesezeit 5 Minuten
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki

Der Vatikan macht ihm den Weg zur Gemeindereform nicht einfacher: Kardinal Woelki, hier am Dreikönigstag 2025.

Die geplante Reform der Pfarrgemeinden im Erzbistum stößt auf Bedenken - offenbar auch im Vatikan. Was ist davon zu halten? Was könnte Kardinal Woelki jetzt tun?

Fragen an Kirchenrechtler Prof. Thomas Schüller (Universität Münster)

Herr Schüller, das Klerusdikasterium des Vatikans hat dem Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki einen Aufsatz des früheren NRW-Staatssekretärs Günter Winands aus einer Fachzeitschrift geschickt, in dem Bedenken gegen die in Köln geplante Reform der katholischen Pfarrgemeinden geäußert werden. Ist so ein Lesetipp einfach eine nette Geste aus Rom – oder bedeutet der mehr?

Naja, wenn man die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde“ der gleichen Behörde aus dem Jahr 2020 liest, dann ist das ein klassischer Warnschuss. Herr Winands hat ja die Richtlinien des Dikasteriums und die Fachliteratur zusammengestellt und argumentiert durchaus schlüssig. Das ist schon ein profunder Text. Wenn man aus Rom dann so etwas an einen Bischof schickt und ihm sagt, er mache ja gerade Reformen und solle den Text beachten, dann ist das eine Vorwarnung. Wir haben in Trier und zuletzt in Aachen erleben müssen, dass Gläubige in Rom eine Beschwerde, einen sogenannten hierarchischen Rekurs, gegen Pläne zur Zusammenlegung von Gemeinden eingelegt haben, und dann sind die Bischöfe zurückgepfiffen worden. Die Grundlinie des Dikasteriums lautet: Kein Bischof darf Gemeinden nach einem für die ganze Diözese gleichlautenden Plan zusammenlegen. Nach einem Masterplan. Zusammenlegungen sind möglich, aber nur, wenn der Bischof für jede Gemeinde individuelle Gründe angeben kann, nach denen es mehr Sinn hat, gerade hier eine Zusammenlegung vorzunehmen als die Eigenständigkeit zu wahren.

Ich halte die Position des Dikasteriums für wirklichkeitsfremd. Aber sie ist der Grund, warum Kardinal Woelki jetzt Post aus Rom bekommen hat.
Thomas Schüller

Aber was könnten das für Gründe sein? Grundprobleme wie der Rückgang der Gläubigenzahl stellen sich doch überall.

Ich habe die Position des Klerusdikasteriums auch fachwissenschaftlich kritisiert. In der Instruktion heißt es ja ausdrücklich: Weder finanzielle Gründe noch der Rückgang an Gläubigen noch ein Rückgang an Priestern rechtfertigt eine flächendeckende Zusammenlegung von Gemeinden einer Diözese. Da frage ich: Was sollen es denn sonst für Gründe sein? Ich halte die Position des Dikasteriums für wirklichkeitsfremd. Aber sie ist der Grund, warum Kardinal Woelki jetzt Post aus Rom bekommen hat.

Dann könnte sich Woelki also nur im Einzelfall etwa auf eine Veränderung der Siedlungsstruktur berufen?

Auf so etwas, oder auf neu geordnete Verkehrswege. Auf die Zerstörung von Gebäuden etwa durch Naturkatastrophen. In der Vergangenheit auf die Braunkohleplanung. Bischöfe in anderen Regionen könnten auf Kriegsfolgen verweisen. Besonders wirklichkeitsfremd ist es, dass die vom Dikasterium genannten Ausschlusskriterien – Geld, Gläubigen- oder Priesterzahl zählen nicht – auch für die Profanierung von Kirchen gelten. Hier wird es erst recht wirklichkeitsfremd, aber es hilft nichts: Nach den Vorgaben des Klerusdikasteriums muss der Bischof immer konkrete, individuelle Gründe nennen, etwa den Bauzustand einer in den 1950er Jahren errichteten Kirche. Das Dikasterium hat Woelki mit der Übersendung des Winands-Aufsatzes letztlich deutlich gemacht, er dürfe zwar Gemeinden zusammenlegen, aber er müsse für jeden Fall eine hoch individualisierte Begründung vorlegen. Das Erzbistum Köln besteht aus unterschiedlichen Regionen, Großstädte und ländlicher Raum, katholisch geprägte Gebiete und Diasporaregionen. Da muss er unterschiedliche Begründungen finden. Wie gesagt, das kann man kritisch sehen, aber er ist nicht der erste Bischof, der mahnende Briefe in dieser Frage bekommen hat.

In der Tat, Rom legt den Bischöfen da Steine in den Weg, gerade in einer Situation, in der sich die frühere Volkskirche in Deutschland zur Minderheitenkirche entwickelt.
Thomas Schüller

Apropos wirklichkeitsfremd: Gleichzeitig fordert das Dikasterium die Nähe des Pfarrers zu den Gäubigen. Er soll sie kennen. Und nur Geistliche als Pfarrer dürfen eine Gemeinde leiten, Laien nicht. Wie soll das eigentlich gehen? Über besonders viele Geistliche, die der Aufgabe eines Pfarrers gewachsen sind, verfügen Bischöfe ja heute nicht mehr.

In der Tat, Rom legt den Bischöfen da Steine in den Weg, gerade in einer Situation, in der sich die frühere Volkskirche in Deutschland zur Minderheitenkirche entwickelt. Da sind die römischen Direktiven nicht hilfreich, aber Bischöfe müssen sich daran halten. Mein Rat an Kardinal Woelki wäre, die Linie des Dikasteriums ernst zu nehmen. Wenn er aus guten Gründen Zusammenlegungen wünscht, muss er sie in jedem Fall individuell gut begründen. Und natürlich ist dann jede Fusion dem Priesterrat vorzulegen. Und Sie haben recht, dieses sogenannte unipersonale Leitungsprinzip, Leitung nur durch den Pfarrer, reibt die Geistlichen immer weiter auf. Das ist ja auch die Sorge der Bischöfe. Wie sollen die Pfarrer mit immer mehr Gremien, immer mehr Personal und Einrichtungen in immer mehr gleichzeitig zu leitenden Gemeinden zurechtkommen? Das fragt sich auch der Kölner Kardinal. Aber er muss jetzt eine Lösung mit Augenmaß finden.

Herr Winands kritisiert auch, die Kirchenvorstände, also die aus dem Pfarrer und Laienvertretern bestehenden Organe, die Kirchengemeinden rechtlich vertreten, würden unzureichend angehört.

Der Bischof muss Kirchenvorstände und Pfarrgemeinderäte zumindest anhören. Ihr Votum ist nicht bindend, aber es ist klug, den Konsens zu suchen. Köln hat ja jetzt das sogenannte Spurwechselmodell, also die Kirchenvorstände werden zumindest zu der Frage gehört, ob sie eine ganz große Fusion auf Ebene der 67 Pastoralen Einheiten wollen oder kleinere Lösungen. Aber dass es überhaupt Fusionen geben muss, darum sollen sie nicht herumkommen. Also eine begrenzte Wahlmöglichkeit, mit der Rom nicht zufrieden sein wird. Definitiv nicht, denn diese römische Behörde zieht offensichtlich ihre harte Linie durch. Der Erzbischof von Köln muss das ernst nehmen. Mit einem Masterplan wird er in Rom nicht durchkommen.

ARCHIV - 11.10.2021, Nordrhein-Westfalen, Münster: Thomas Schüller, Theologe und Kirchenrechtler, steht vor dem Münsteraner Dom.  (zu dpa: «Kirchenrechtler: Papst versetzt Bätzing «Schlag in die Magengrube»») Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Prof. Thomas Schüller lehrt katholisches Kirchenrecht an der Universität Münster.