Berlin – Tagelanges Stillschweigen und dann per Bildschirmklick zum Paukenschlag: Schneller als erwartet und nur mit einem Selfie hat das grüngelbe Quartett aus Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie den FDP-Männern Christian Lindner und Volker Wissing Beratungen über eine gemeinsame Regierungsbeteiligung aufgenommen. Dazu nur wenige Worte: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“
Dass es ihnen gelungen ist, sich ganz ohne Öffentlichkeit und Indiskretionen an einem „neutralen Ort“ zu treffen, ist Teil einer Dramaturgie, die auf Vertrauensbildung abzielt und auch an den möglichen größeren Partner eine Botschaft schickt: Wir stehen zusammen und geben das Tempo vor. Es braucht nicht viel taktischen Verstand, um zu sehen, dass beide Parteien gemeinsam mehr Macht haben, als es im Stimmenanteil der Bundestagswahl zum Ausdruck kommt. Am Sonntag wollen Grüne und FDP jeweils allein mit der SPD sprechen, die FDP am Samstag schon mit der Union.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
Wo das Treffen mit der Grünen-Spitze stattgefunden hat, will FDP-Generalsekretär Volker Wissing, der auch das Selfie fotografiert hat, am Tag danach nicht sagen. Auch über die Inhalte könne er wegen der vereinbarten Vertraulichkeit nicht sprechen. Das Quartett habe sich aber entschieden, „dass wir ein Bild sprechen lassen, das haben wir getan, nun aber auch dieses Bild jetzt nicht mit Worten interpretieren, um die Vertraulichkeit der Gespräche zu schützen“.
Selfie wird zum Hit im Internet
Im Netz war der Schnappschuss vom langen Arm des Volker Wissing ein politischer Marketingerfolg. Das Foto wurde vielfach geteilt, kommentiert und war Grundlage für digitale Bastelarbeiten. Eine Nutzerin lässt Baerbock, Habeck, Lindner und Wissing sogar singen und zwar „We are Family“ von Sister Sledge, 15 Sekunden lang bewegen die vier in dem Fake ihre Münder und wippen ihre Köpfe im Takt. Und auch die Klassiker liefen auf Twitter rauf und runter – Fotos, in denen alle 25 Jahre älter wirken, oder bearbeitete Bilder mit Faschingsmasken in den Gesichtern. Den vier Politikern bescherte das Selfie jeweils Tausende neue Follower in den sozialen Medien.
Die Verhandlungen über ein Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen vor vier Jahren waren auch daran gescheitert, dass allzu viel noch während heikler Gespräche nach außen drang. Konfliktpotenzial gibt es – anders als es das Bild zeigt – durchaus: Schuldenpolitik, Tempolimit, Flugverkehr sind nur ein paar Stichworte.
„2017 sollte sich nicht wiederholen“, sagte Baerbock am Mittwoch mit Blick auf eben jene krachend gescheiterten Verhandlungen. „Deswegen ist unser Anspruch, wirklich jetzt zügig Gespräche zu führen, und auch vertrauensvoll Gespräche zu führen.“ Es sei die „herzliche Einladung“ der Grünen an alle anderen Parteien aber auch an sich selbst, Vertraulichkeit zu wahren. Baerbock verwies darauf, dass es wichtig sei, nun Weichen zu stellen für eine Erneuerung. Zudem sollten sich Sondierungen diesmal nicht über Wochen oder gar Monate hinziehen. Wohin das alles führen soll, machte sie aber auch deutlich: zu einer „progressiven Regierung“. Zudem habe die SPD die Wahl gewonnen und es gebe Schnittmengen in der Sozialpolitik. Mit anderen Worten: Am Ende soll aus Sicht der Grünen-Chefin eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP stehen. Gespräche auch mit CDU/CSU schloss sie aber nicht aus.
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Die SPD stört sich nicht an der Selfie-Kommunikation der gewünschten künftigen Regierungspartner. Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte schon am Montag die Linie ausgegeben, dass man die beiden Parteien ruhig erstmal machen lassen will: „Völlig ok“ sei es, dass FDP und Grüne nun zunächst miteinander reden wollten. Nun sagte Generalsekretär Lars Klingbeil: „Erstmal ist ja schön, wenn alle gestern einen guten Abend hatten, das ist sehr wichtig, um gut zusammen zu regieren.“ Die Termine für den Sondierungsstart habe man jedenfalls gemeinsam im Vorfeld besprochen.