Rundschau-Debatte des TagesWie realistisch sind längere AKW-Laufzeiten?
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Gedrosselte Gaslieferungen und Sorge um Energie-Engpässe: Die Folgen des Ukraine-Kriegs heizen die Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen der deutschen Atommeiler immer wieder an.
Berlin – Es sind Fragen, die in letzter Zeit immer wieder aufflammen: Braucht es angesichts des Krieges in der Ukraine und drohender Gasknappheit eine Abkehr vom deutschen Atomausstieg? Und würde das wirklich mehr Sicherheit bei der Energieversorgung bringen? Hier ein Überblick.
Wie ist die Ausgangslage der Atomenergie?
Der deutsche Atomausstieg ist längst beschlossene Sache. Bis Ende 2022 sollen die drei letzten AKW im niedersächsischen Lingen, das bayerische Isar 2 und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg vom Netz gehen. Damit besiegelt Deutschland eine historische Entscheidung der damaligen Bundesregierung aus dem Jahr 2011. Seitdem wurden immer wieder Zweifel an der Entscheidung laut. Die Atomkraft-Befürworter argumentieren unter anderem auch mit dem Klimaschutz, da AKW über den gesamten Lebenszyklus betrachtet für deutlich weniger Treibhausgas-Ausstoß verantwortlich sind als etwa Gas- oder Kohlekraftwerke. Mit Beginn des Krieges in der Ukraine hat die Debatte an Fahrt aufgenommen – zuletzt auch wegen gedrosselter Gaslieferungen nach Deutschland.
Wird die Bundesregierung ihre Haltung überdenken?
Derzeit sieht es nicht danach aus. Umwelt- und Wirtschaftsministerium hatten Anfang des Jahres einen möglichen Weiterbetrieb geprüft und waren zu dem Schluss gekommen, „dass eine Verlängerung der Laufzeiten nur einen sehr begrenzten Beitrag“ zur Lösung des Problems von Energieversorgungsengpässen leisten würde, wie es im Prüfvermerk vom 8. März 2022 heißt. Ein AKW-Weiterbetrieb wäre mit „sehr hohen wirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken“ verbunden. Weiter hieß es: Man müsste mindestens für drei bis fünf Jahre verlängern, um den Aufwand zu rechtfertigen. Bis 2028 stünden aber, wie es heißt, „andere Möglichkeiten“ zur Verfügung, um eine Stromversorgung zu gewährleisten.
Das ist umstritten. Derzeit liefern die drei noch laufenden AKW etwa 30 Terrawattstunden Strom pro Jahr und machen einen Anteil von fünf Prozent an der deutschen Stromproduktion aus. Sie würden laut Bundesregierung vor allem Strom aus Kohlekraftwerken ersetzen und folglich kaum einen Beitrag zur Erhöhung der Unabhängigkeit von russischen Gasimporten leisten. Längere AKW-Laufzeiten würden aus Sicht der Regierung im Winter 2022/2023 keine zusätzlichen Strommengen bringen, sondern frühestens ab Herbst 2023 nach erneuter Befüllung mit Brennstäben.
Wären Laufzeitverlängerungen überhaupt so kurzfristig möglich?
In der Theorie schon – aber praktisch sind die Hürden sehr hoch. Dafür müsste auch das Gesetz geändert werden. Laut Atomgesetz dürfen die drei restlichen AKW nicht über den 31. Dezember 2022 hinaus betrieben werden. Bei einer kurzfristigen Laufzeitverlängerung könnte eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung nötig sein.
Was sagen die AKW-Betreiber zu der Diskussion?
Gaslage „angespannt“
Seit einigen Tagen pumpt Russland deutlich weniger Gas nach Deutschland – die Gasversorgungslage blieb auch zum Wochenbeginn laut Bundesnetzagentur „angespannt“. Die Debatte um Auswirkungen und Gegenmaßnahmen hält weiter an: Der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil appellierte an die Verbraucher, Gas zu sparen. „Jeder, der die Heizung runterdreht und hilft Energie zu sparen, tut einen großen Dienst, um durch diese Krise zu kommen“, sagte Klingbeil am Montag in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv. „Vor uns liegen harte Monate, aber wir werden da solidarisch und geschlossen durchkommen.“
Der Energieexperte Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen geht von weiter steigenden Gaspreisen aus. Sollte es zu einer weiteren Reduzierung der Gaslieferungen aus Russland oder gar einem Lieferstopp kommen, werde es „einen erheblichen Druck auf die Gaspreise geben“, sagte er. Er hält eine Verdrei- oder gar Vervierfachung der Endkundenpreise gegenüber dem Vorkrisenniveau für möglich. „Es droht, sehr schlimm zu werden.“ (dpa)
Alle drei Betreiber – EnBW (Neckarwestheim), RWE (Lingen) und Eon (Isar 2) – erteilen jeglichen Laufzeitverlängerungen auf Anfrage eine Absage. So erklärte etwa RWE am Dienstag: „Unser Kraftwerk in Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein. Ein Weiterbetrieb über den 31.12.2022 hinaus wäre mit hohen Hürden technischer als auch genehmigungsrechtlicher Natur verbunden.“ Auch EnBW und Eon verweisen auf die Position der Bundesregierung.
Was ist mit dem AKW-Personal und dem nuklearen Brennstoff?
Das ist ein weiteres Problem. Die Verträge mit den Mitarbeitern sind gekündigt, das Personal ist nicht ohne Weiteres kurzfristig verfügbar. Eine weitere Hürde ist der nukleare Brennstoff, der sich Experten zufolge nicht einfach „nachladen“ lässt. Genehmigungsverfahren können mehrere Jahre beanspruchen.
Was ist außerdem mit Fragen der Sicherheit?
Der Krieg führt vor Augen, wie gefährlich Kampfhandlungen in AKW-Nähe sein können. Anfang März sorgte ein Brand auf dem Gelände des ukrainischen AKW Saporischja für Aufregung. Auch aufgrund der Gefahr eines Zwischenfalls hält die Bundesregierung bislang so entschlossen an ihrer Haltung fest. (dpa)