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Rundschau-Debatte des TagesPersonal im Streik – Ist die Pflege wirklich am Limit?

Lesezeit 5 Minuten
Pfleger auf einer Intensivstation

Pfleger auf einer Intensivstation 

Köln – Experten wie der Hamburger Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg weisen darauf hin, dass die Zahl der Pflegekräfte zwar seit Jahren steige (NRW: von 2018 bis 2020 um rund zehn Prozent), diese bei den derzeitigen Pflegestrukturen in den Kliniken dennoch nicht bedarfsdeckend sei. Letzteres bestätigt Jan von Hagen, Krankenhaus-Experte bei Verdi, der aktuell die Streikenden an den Uniklinikstandorten in NRW unterstützt. „Es gibt kaum Stationen in den bestreikten Kliniken, die keine unbesetzte Stellen haben.“ Auf Normalstationen werde die festgelegte Personaluntergrenze viel zu häufig genutzt, wonach eine Pflegekraft für maximal 15 Patienten zuständig sein dürfe. Auf Intensivstationen kümmere sich eine Kraft oft um drei Patienten, obwohl gesetzlich ein Personalschlüssel von eins zu zwei im Tagesdienst und nur im Nachtdienst von eins zu drei vorgesehen sei, so von Hagen.

Offene Stellen in Kölner Kliniken

Die Angaben der Uniklinik Köln zur Personaldecke im Pflegedienst geben diese Notlage nur zum Teil wider: Für die rund 1200 Patientenbetten, inklusive Intensivbetten, stehen etwa 2450 Voll- und Teilzeit-Pflegekräfte (entspricht 1900 Vollzeitstellen) – verteilt auf drei Schichten – zur Verfügung. Von Hagen weist in diesem Zusammenhang auf die besonderen Anforderungen an die pflegerische Betreuung in den hoch spezialisierten Unikliniken hin. Die seit 2005 stetig steigenden Patientenzahlen hätten eine mögliche Entlastung durch die im selben Zeitraum vorgenommenen Mehreinstellungen im Pflegebereich längst wieder verpuffen lassen.

Deutschland im Vergleich

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sagt, dass es hierzulande 50 Prozent mehr Pflegepersonal (insgesamt 1,04 Millionen) gebe als im OECD-Schnitt. Daher ist nicht die Personalstärke das Problem, sondern die Frage, wie und wo die Pflegekräfte eingesetzt werden – nämlich in zu vielen Kliniken mit zu vielen Betten. Dennoch gebe es in Deutschland pro Bett weniger Personal als in vielen seiner Nachbarstaaten und die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte sei vergleichsweise hoch. (mars)

Der stellvertretende Sprecher des Uniklinikums, Mirko Ristau, entgegnet, dass auf den fachmedizinischen Stationen die vom Bundesgesundheitsministerium festgelegten Pflegepersonaluntergrenzen weitestgehend eingehalten werden. Gerade diese Regelungen (Beispiel Herzchirurgie-Station: eine Pflegekraft betreut maximal 15 Patienten) stehen bei den Streikenden in der Kritik. Die Klinikleitung gab zudem an, dass derzeit rund 160 vakante Vollzeitstellen nicht besetzt sind.

Die städtischen Kliniken Köln beschäftigen aktuell etwa 1500 examinierte Teil- und Vollzeit-Pflegekräfte (entspricht 1000 Vollzeitstellen), die rund 1400 Betten betreuen. Die Einrichtungen haben reagiert und im Mai zusätzliche finanzielle Anreize für flexibles Arbeiten in der Pflege geschaffen. Danach kann ein/e Vollzeit-Intensivpfleger/in im neu geschaffenen Springerpool monatlich bis zu 1000 Euro brutto mehr zu den tariflich festgelegten etwa 4000 Euro (ohne Sonderzulagen) verdienen. Eine Pflegefachkraft in der Normalstationspflege (rund 3650 Euro Tariflohn) erhalte als Springer 500 Euro brutto bei einer Vollzeittätigkeit, sagt die Pflege-Direktorin der städtischen Kliniken, Silvia Cohnen.

Was empfehlen Gesundheitsexperten, um an der Situation in der klinischen Pflege etwas zu ändern?

Mehr Personal

Fachkräfte lassen sich nicht beliebig schnell ausbilden, weshalb auch vermehrt im Ausland rekrutiert wird. Laut Jahresgutachten des Sachverständigenrats für Integration und Migration von 2022 ist bereits jeder sechste Beschäftigte im Ausland geboren.

Zum Thema „Wo soll das Personal herkommen?“ hatte Verdi NRW an der Uniklinik Köln jüngst eine Studie in Auftrag gegeben. Dabei wurde deutlich, dass viele Pflegekräfte, die ausscheiden wollen oder bereits aufgehört haben, zurückkommen würden, wenn die Personaldecke ausreichend aufgestockt werde, beziehungsweise die Arbeitsbedingungen sich entscheidend verbessern. Zudem wollen viele Pflegekräfte weniger arbeiten, um zu große Arbeitsbelastungen zu vermeiden.

Qualifizierung von Personal

Während es bei den qualifizierten Fachkräften mehr Stellen als Bewerber gibt, sind laut Arbeitsagentur viele weniger qualifizierte Pfleger arbeitslos. Entsprechend unterstützt sie hier die Fort- und Weiterbildung, um hier das Potenzial auszuschöpfen. Wie wichtig Qualifizierung ist, zeigt sich auch im Spezialbereich der Intensivpflege. Einer Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zufolge konnte Ende vergangenen Jahres in jedem dritten Intensivbett kein Patient behandelt werden, weil es an Pflegern fehlte.

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Weniger Kliniken, weniger Betten

Mitte 2019 hatte die Bertelsmann-Stiftung noch die Verringerung der Klinikzahl von aktuell knapp 1400 Häusern auf „deutlich unter“ 600 gefordert. Auch wenn diese Debatte mit Corona zunächst in den Hintergrund trat, ist es absehbar, dass sie wieder Fahrt aufnehmen wird.

Dazu müssten sich laut den Befürworten einer Klinik-Strukturreform die verbleibenden Häuser spezialisieren, um die Zahl von fachspezifischen Operationen pro Arzt zu erhöhen und damit die Qualität der Therapie zu steigern. Diese Häuser würden somit über bessere Ausstattung und mehr Personal verfügen. Und zudem würde die Versuchung abnehmen, vorhandene Bettenkapazitäten auch mit Eingriffen an Patienten auszulasten, die mehr betriebswirtschaftlich als medizinisch sinnvoll sind. TK-Chef Jens Baas etwa wird nicht müde zu betonen, dass auch diese Patienten Pflegekapazitäten unnötig binden.

Mehr Eingriffe bei Niedergelassenen

Für Experten wie Jonas Schreyögg wird es neben einer besserer Bezahlung und einer Anhebung der Pflegeuntergrenzen darum gehen, die Zahl der stationär benötigten Pflegetage zukünftig möglichst zu reduzieren. Schreyögg ist überzeugt, dass viele Operationen, die aktuell stationär in Kliniken durchgeführt werden, genauso bei niedergelassenen Ärzten oder in Kliniken ambulant erfolgen könnten. Im vergangenen Jahr erstellte Schreyögg für das Bundesgesundheitsministerium dazu eine Studie, die 30 Prozeduren identifizierte, die häufig stationär durchgeführt werden, aber auch ambulant möglich wären. Allein diese Leistungsbereiche wiesen ein Gesamtvolumen von 2,9 Millionen Fällen mit einer Verweildauer von ein bis drei Tagen auf.