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Rundschau-Debatte des TagesMacht sich die FDP in der Corona-Politik unglaubwürdig?

Lesezeit 4 Minuten

FDP-Chef Christian Lindner (links) und der designierte Justizminister Marco Buschmann.

Berlin – Noch bevor die FDP mit Grünen und SPD offiziell in eine neue Regierung startet, durfte sie am 27. Oktober schon mal einen liberalisierten Corona-Plan auf den Tisch legen. Das Ende der pandemischen Lage von nationaler Tragweite sollte kommen, es war ein lang gehegter Herzenswunsch der Liberalen. Es drohe keine Überlastung des Gesundheitssystems mehr, stellte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Marco Buschmann damals fest. Deshalb: Schluss mit Lockdowns und Schulschließungen. Die Botschaft: Wir liefern, noch ehe wir an der Regierung sind.

Seither allerdings wird die Ampel-Koalition von der Pandemie-Wirklichkeit brutal eingeholt. Warum man die epidemische Notlage am 25. November beendete, während Infektionszahlen in nie gekannte Höhen schnellen und Krankenhausbetten knapp werden, versteht niemand mehr. Das Signal an die verunsicherte Bevölkerung sei verheerend, befinden Experten.

Ampel uneins über Aufhebung der Notlage

Viele in der Ampel-Koalition halten den Schritt hinter vorgehaltener Hand inzwischen für einen Fehler. Doch das Eingeständnis wäre vor allem für die FDP ein schwerer Gesichtsverlust gewesen. Also ließ man es bleiben, ergänzte lieber zahlreiche Maßnahmen im neuen Gesetz. Dass auch sie nicht reichen werden, um die vierte Welle zu brechen, ist inzwischen allen in der Ampel klar, ob auch der FDP, weiß man nicht genau.

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Der Jurist Marco Buschmann zieht sich jedenfalls seither auf rechtliche Argumente zurück. Es sei ihm vor allem darum gegangen, die Entscheidungen in der Pandemie wieder in die Parlamente zurückzuholen. Maßnahmen seien ja trotzdem möglich, die Länder müssten sie nur endlich umsetzen. Im übrigen hätte selbst der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Lage im Oktober anders eingeschätzt als sie nun sei.

Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht

Die nächste Abfuhr für die FDP in Sachen Corona folgt in dieser Woche. Mit ihrem Stil in der Opposition, die Corona-Maßnahmen zu kritisieren, ohne wie die AfD zu überdrehen, war die FDP erfolgreich. Etwa als im Frühjahr die Bundesnotbremse eingesetzt wurde, um bundeseinheitlich schnell und hart auf hohe Infektionszahlen reagieren zu können. Die FDP zog damals siegesgewiss vor das Bundesverfassungsgericht, „für die Grundrechte von 83 Millionen Menschen“. Für „unverhältnismäßig“ und „in ihrer Wirkung fragwürdig“ hielten die Liberalen vor allem die nächtlichen Ausgangssperren.

Lindner macht sich für Impfpflicht stark

Der FDP-Bundesvorsitzende und designierte Bundesfinanzminister Christian Lindner macht sich angesichts der Corona-Lage für eine allgemeine Impfpflicht stark. Zu einer entsprechenden Ankündigung des designierten Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) sagte Lindner am Donnerstag bei Bild Live: „Ich sage offen, dass meine Richtung auch die einer Impfpflicht ist.“ Allerdings kenne er die Anträge dazu noch nicht. Lindner hatte sich lange gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Er habe auf eine Impfquote von 85 Prozent gehofft und sei „enttäuscht, dass die Impfbereitschaft so gering ist“, sagte er am Donnerstag. „Wir kommen deshalb immer wieder in diese Situationen wie jetzt, wo Freiheiten für alle eingeschränkt werden müssen“, sagte Lindner. Er verwies auch auf ausreichende Erfahrungen mit den Impfstoffen. (dpa)

Jetzt urteilt das Bundesverfassungsgericht: Alle Maßnahmen waren mit dem Grundgesetz vereinbar, weil sie „überragend wichtigen Gemeinwohlbelangen“ dienten. Marco Buschmann räumt nun ein, dass „wir uns natürlich insbesondere mit Blick auf die Ausgangssperren ein anderes Ergebnis gewünscht hätten“.Buschmanns irritierende Interpretation Doch der versierte Jurist überrascht dann doch mit der Aussage, das Gericht habe die FDP grundsätzlich in ihrer Haltung bestätigt. Die Verfassungsrichter hätten der Politik einen großen Ermessensspielraum zugestanden, sowohl bei der Bewertung der Lage als auch bei der Auswahl der Maßnahmen. Ausgangssperren seien demnach nicht verboten, aber auch nicht zwingend geboten gewesen. Der Nicht-Jurist kommt da kaum noch mit.

Für Spitzfindigkeiten sieht der baldige Ampel-Kanzler Olaf Scholz ohnehin keinen Anlass mehr. Nahezu alle harten Corona-Maßnahmen gelten derzeit wieder als geeignet oder sogar nötig, um die aktuelle Welle einzudämmen. Scholz will außerdem die allgemeine Impfpflicht durchsetzen, eigentlich auch ein No-Go für die FDP. Buschmann sprach sich nun eilig dafür aus, für die Abstimmung zur Impfpflicht im Parlament wie bei anderen ethischen Entscheidungen den Fraktionszwang aufzuheben. Jeder Abgeordnete soll dann frei entscheiden können. Es ist auch ein Kniff, damit später niemand behaupten kann, ausgerechnet die FDP hätte die Impfpflicht eingeführt.

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Die Realität der Pandemie hat die FDP rasend schnell eingeholt. Von ihrem Einsatz für die Freiheit trotz Pandemie ist im Ergebnis kaum mehr geblieben als dies: Die Corona-Maßnahmen müssen wieder von Parlamenten diskutiert und beschlossen werden. Das dauert allerdings auch länger. Die FDP muss nun aufpassen, nicht zum Buhmann der entglittenen Corona-Lage zu werden.