Warteschlangen, wenig ImpfstoffWarum der Impfmotor in der Region noch stottert
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Der Wunsch nach Auffrischimpfungen ist vielerorts groß, auch die Zahl der Erstimpfungen steigt wieder.
Auf der anderen Seite verhindern fehlende Infrastruktur und Impfstoff-Engpässe, dass der Bedarf gedeckt werden kann. Wo hakt es?
Köln – Bremslichter leuchten nacheinander auf. Immer wieder anfahren, anhalten. Die Autos stehen vor dem Impfzentrum an der Deutzer Arena Schlange. Wer einen Parkplatz ergattert, stellt sich zu Fuß an der nächste Schlange an. Teilweise warten die Impfwilligen am Montag bis zu 90 Minuten. Alles für einen Piks in den Oberarm. Der Großteil der Leute steht sich die Beine für die Booster-Impfung in den Bauch. Es gibt jedoch auch einige, die sich zum ersten Mal impfen lassen.
Marcel (40 Jahre) und Katharina (35) Kühle sind für die Auffrischung gekommen. Beide waren zu Beginn der Pandemie mit dem Coronavirus infiziert, er mit teils starken Symptomen. Die dritte Impfung stand beim Paar nie zur Debatte. „In meinen Augen sollten vor allem die weniger mobilen Leute bei ihren Hausärzten die Impfung bekommen. Wir sind fit und können auch mal etwas fahren und uns eine Stunde anstellen, um den nächsten Piks zu erhalten“, erklärt Marcel Kühle.
Nach Schließung der Impfzentren wird Infrastruktur mühsam wiederaufgebaut
Für Julia (28) und Michael (32) Piechula war es ebenfalls keine Frage, sich noch ein drittes Mal zu immunisieren. Besonders, da bei der 28-Jährigen das Virus im August trotz der zweiten Impfung im Mai ausbrach. Sie erzählt, dass sie beim Hausarzt schnell einen Termin erhalten habe, aber ebenso schnell gemeinsam mit ihrem Mann Termine im neuen Impfzentrum bekommen habe. Auf die Wartezeit hätten sie gern verzichtet, nehmen sie für diesen Zweck jedoch in Kauf. „Es ist extrem blöd gelaufen, dass alle Impfzentren erst geschlossen wurden und nun alles wieder neu aufgebaut werden muss“, bemängelt Julia Piechula.
Nachdem das Land Nordrhein-Westfalen Ende September die Schließung der Impfzentren beschlossen hatte, kämpfen viele Städte und Kreise seit dem Start der Auffrischimpfungen mit dem Aufbau neuer Infrastruktur. Geeignete Räume und genügend Personal dafür zu finden, sei dabei eine große Herausforderung gewesen, sagt eine Sprecherin des Kreises Euskirchen. Gemeinsam mit dem Malteser Hilfsdienst hat der Kreis mittlerweile drei Impfstellen eingerichtet.
Neue Impfstelle in Sankt Augustin für den Rhein-Sieg-Kreis
Auch im Rhein-Sieg-Kreis gibt es seit heute eine Impfstelle in Sankt Augustin. In der kommenden Woche folgt eine zweite in Meckenheim. Die beiden Impfstellen ergänzen die Angebote der Städte und Gemeinden und die mobilen Impfteams. Der Andrang sei hoch, sagt ein Sprecher des Rhein-Sieg-Kreises. So hoch, dass der Kreis derzeit an weiteren Angeboten arbeite.
Im Oberbergischen Kreis impfen rund 90 Hausärzte, dazu kommen drei Impfstellen des Kreises in Waldbröl, Gummersbach und Hückeswagen und ein Impfbus. Laut Gesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach beobachtet der Kreis durch die jüngsten Beschränkungen einen Anstieg der Erstimpfungen. Bei einer Impfaktion in der vergangenen Woche in Bergneustadt habe deren Anteil sogar über 50 Prozent betragen. Insgesamt mache der Anteil der Drittimpfungen knapp unter 50 Prozent aus. Doch derzeit reicht die Infrastruktur nicht, um die hohe Nachfrage nach den Auffrischungen zu decken. Erst im Januar oder Februar ist dies laut Schmallenbach möglich.
Bei der Impfstofflieferung läuft es nicht rund
Probleme gibt es aber auch an anderen Stellen. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) und der Hausärzteverband Nordrhein kritisieren, dass nicht genug Impfstoff bei den Hausärzten ankomme. „Die Impfstofflieferung ist aktuell der begrenzende Faktor“, erklärt Monika Baaken, Pressesprecherin des Hausärzteverbands. „Es ist noch nicht lange her, da hat die Politik den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten vorgeworfen, sie würden die Impfkampagne verschleppen. In Wahrheit sind sie es, die dafür sorgen, dass der Impfmotor nicht stottert. Die Praxen in Nordrhein impfen, was das Zeug hält, sogar am Abend nach den Sprechstunden und an den Wochenenden“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, Dr. Frank Bergmann. Diese Kritik an den Ärzten hält auch Baaken für „vollkommen unangebracht“.
Auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, beklagt einen „unverzeihlichen“ Impfstoffmangel. Eine Rekord-Zahl von 100 000 niedergelassenen Ärzten beteilige sich inzwischen an den Corona-Impfungen. „Da ist es einfach nur frustrierend und unverzeihlich, dass es immer noch zu wenig Impfstoff gibt“, sagt der Kassenarztchef unserer Redaktion.
Zu wenig Biontech geliefert: Impfstoff-Knappheit in Praxen
So seien für die Woche ab dem 5. Dezember rund 4,7 Millionen Dosen Biontech bestellt worden, laut Gassen standen aber nur 2,5 Millionen Dosen zur Verfügung. Dadurch müssten die Bestellungen auf 24 bis 30 Dosen je Praxis gekürzt werden. Hinzu kämen über 3,9 Millionen Booster-Dosen von Moderna. „Das eigentliche Problem ist aber nicht das Boostern, sondern die Tatsache, dass über zwölf Millionen Erwachsene in Deutschland noch gar nicht geimpft sind“, so Gassen.
Dem Rhein-Sieg-Kreis und dem Kreis Euskirchen sind derzeit keine Engpässe bekannt. Die Stadt Köln gab am Montag keine Stellungnahme ab. Der Rhein-Erft-Kreis teilt mit, seine Impfangebote und die niedergelassenen Ärzte seien von der Limitierung der Biontech-Bestellungen betroffen. Der Oberbergische Kreis ist trotz der Kürzungen zuversichtlich, den Bedarf an den Impfstellen zu decken, auch wenn die Auswirkungen „nicht vollständig absehbar“ seien.
Dr. Ursula Sellerberg, stellvertretende Pressesprecherin des Deutschen Apothekerverbands, bestätigt die Engpässe. Sie erklärt den Ablauf: Die Apotheken sammeln die Bestellungen der Hausärzte und Zentren und ordern beim pharmazeutischen Großhandel. Wenn jedoch nicht genug Impfstoff zur Auslieferung zur Verfügung stehe, würden teilweise Mengen gekürzt. „Aktuell gehen die Bestellungen durch die Decke“, so Sellerberg.
Sieben Millionen Impfstoffdosen seien vergangene Woche deutschlandweit ausgeliefert worden, sagt André Blümel vom Bundesverband der Pharma-Großhändler (Phagro). „Wir können nur ausliefern, was der Bund zur Verfügung stellt. Reicht die vorab bereitgestellte Menge nicht aus, müssen pharmazeutische Großhandlungen leider kontingentieren.“ Der Verband habe festgestellt, dass vergangene Woche deutlich mehr Impfstoff von Biontech bestellt wurde als erhältlich sei. Warum die Nachfrage so stark angestiegen ist, lässt sich nur schwer verifizieren. Wahrscheinlich ist aber, dass steigende Infektionszahlen, die Angst vor einer Ansteckung und vor neuen Beschränkungen im öffentlichen Leben zu den Gründen zählen.
Ministerium: Praxen haben zu spät bestellt
Das Bundesgesundheitsministerium erklärt auf Anfrage der Rundschau: „Wegen der speziellen Lagerung, der Vielzahl der Abnehmer und der großen Volumina ist die Auslieferung der Impfstoffe ein hochkomplexer logistischer Prozess. Bis Dienstagmittag müssen die Länder, Arztpraxen und weiteren Abnehmer ihre Bestellungen aufgeben – ausgeliefert wird ab Montag der darauffolgenden Woche. Dieser Mechanismus ist seit April bekannt. Trotzdem haben einige Impfzentren und Praxen in dieser Woche verspätet bestellt. Das Ministerium prüft aktuell gemeinsam mit dem Großhandel, was von den verspätet eingegangenen Bestellungen noch kurzfristig wie adressiert werden kann.“
Die Impfstelle im Kölner Gesundheitsamt hat am Montag jedenfalls noch Kapazitäten. Am frühen Nachmittag stehen rund 30 Personen in der Schlange. Wer einen langen Atem mitbringt, kann auch ohne Termin vorbeikommen. Einige sind für ihre Erstimpfung da, darüber reden will kaum einer. „Meine Freunde haben gesagt, es ist schlecht, wenn ich nicht geimpft bin“, sagt ein 37-jähriger Mann mit bulgarischem Pass. „Und man kann ja nirgendwo mehr hin ohne Impfung.“ Sein Freund, 33 Jahre alt, sieht das genauso, sagt aber: „Ich habe Angst davor, was mit mir nach der Impfung passiert.“ Freunde hätten ihm Geschichten von möglichen Langzeitfolgen erzählt. Ein anderer Mann in der Schlange hat solche Geschichten ebenfalls gehört. „Doch es muss jetzt halt sein, wenn das Leben weitergehen soll.“