Prozess gegen Erzbistum KölnDem Opfer nach dem Missbrauch die Beichte abgenommen

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Vor Gericht: Die Klägerin Melanie F. mit ihren Anwälten (v. l.): Eberhard Luetjohann, Hans-Walter Wegmann und Christian Roßmüller.

Vor Gericht: Die Klägerin Melanie F. mit ihren Anwälten (v. l.): Eberhard Luetjohann, Hans-Walter Wegmann und Christian Roßmüller.

Melanie F., Opfer jahrzehntelangen Missbrauchs durch einen katholischen Priester, sieht ihre Klage auf Schmerzensgeld vom Erzbistum Köln vor dem Scheitern. 

Jahrelang wurde die heute 57 Jahre alte Melanie F. als Kind von dem katholischen Priester Hans Bernd U. missbraucht, doch es sieht nicht so aus, dass sie wegen der Taten von der Kirche ein Schmerzensgeld bekommen wird. Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln hat am Dienstag eine Entscheidung über die Klage der Frau gegen das Erzbistum Köln auf Zahlung von 850 000 Euro bis zum 17. September vertagt, aber die drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richter unter Vorsitz von Dr. Michael Bern ließen in einer sogenannten rechtlichen Erörterung bereits erkennen, dass Melanie F. keine Chance haben wird, mit ihrem Anliegen durchzukommen.

Trennung zwischen Amt und Privatleben

Die Kirche könne nicht in Verantwortung dafür genommen werden, was einer ihrer Seelsorger getan habe. Der Täter habe als Privatmann, nicht als Priester gehandelt, so die Quintessenz der Erörterung. Die Kammer konkretisierte damit einen ähnlichen Hinweis, den sie bereits im März an die Anwälte der Klägerin geschickt hatte.

Das Erzbistum Köln, deren Justitiarin Heike Gassert beantragte, die Klage abzuweisen und auch einen Vergleich ablehnte, hatte der im Oberbergischen lebenden Frau bereits freiwillig 70 000 Euro als Entschädigung gezahlt.

Die Geschichte der Melanie F. ist juristisch belegt. Ihr Peiniger Hans Bernd U. wurde 2022 von einer Strafkammer des Kölner Landgerichts wegen eines jahrzehntelangen hundertfachen Missbrauchs mehrerer Kinder, darunter auch seine Nichten, zu zwölf Jahren Haft verurteilt. In dem Prozess meldete sich Melanie F. als Zeugin, die Strafrichter hörten ihre Aussage, ihr Fall war da aber bereits verjährt, U. konnte also dafür nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Er ist inzwischen aus dem Klerikerstand entlassen worden.

U. hatte die damals Neunjährige, die aus schwierigen familiären Verhältnissen stammte, im Kinderheim Maria im Walde in Bonn-Ippendorf kennengelernt. Später übernachteten sie und ein zwei Jahre jüngeres Kind, das ebenfalls im Waisenhaus aufwuchs, wiederholt im Zimmer des Seminaristen im Priesterheim. Dafür, so das Gericht, gebe es keine Beweise. Konter von F.„s Anwalt Eberhard Luethohann: „Alle Unterlagen sind vernichtet worden.“ Als Zeugen benannte er den heutigen Berliner Erzbischof Heiner Koch, der seinerzeit mit U. im Priesterwohnheim gelebt habe. Das Generalvikariat hingegen versicherte, die zwei von ihm befragten damaligen Priesteramtskandidaten könnten sich nicht daran erinnern, die Kinder in dem Seminar gesehen zu haben.

Als Melanie zwölf Jahre alt war, holte U. sie und den Jungen zu sich ins Pfarrhaus von Alfter, wo er als Diakon eine Wohnung hatte. Ein Priester als Pflegevater – das war einmalig im Erzbistum, aber vom damaligen Erzbischof Joseph Kardinal Höffner selbst genehmigt worden. Hier im Pfarrhaus wurde Melanie F. zwischen 1979 und 1985 missbraucht, oft in der Badewanne. Anschließend, so berichtete es Anwalt Luetjohann, habe U. dem Kind die Beichte abgenommen, „damit du nicht so leiden musst für das, was du gerade getan hast“, soll der Täter gesagt haben.

Zweimal wurde das Mädchen von dem Priester schwanger, einmal ließ er eine Abtreibung vornehmen, ohne dass sie wusste, was ihr geschah. Beim zweiten Mal entschied sie sich selbst für den Schwangerschaftsabbruch. „Die Taten beschäftigen mich noch jeden Tag“, erzählte F. am Rande des Prozesses. Luetjohann: „Dem Opfer wird nicht geglaubt!“ Sein Kollege Hans-Walter Wegmann ergänzte: „Es ist der Kirche hilflos ausgeliefert, weil es nicht gehört wird“.

Kann der Priester im Privaten belangt werden?

Zivilkammern urteilen meistens nach Aktenlage, deshalb verzichtete das Gericht am Dienstag auf Zeugen. So wurden weder die Klägerin noch die von ihren Anwälten als Sachverständige benannten Kirchenrechtler Norbert Lüdecke (Bonn) und Sven Anuth (Tübingen) in den Zeugenstand gerufen. Sie saßen beide unverrichteter Dinge im Saal 142 und lauschten den halbstündigen Ausführungen des Vorsitzenden Richters. Darin ging es vor allem um die Frage, ob die Amtshaftung des Erzbistums nicht nur den dienstlichen, sondern auch den privaten Bereich eines Priesters umfasst. Laut Bern könne das Erzbistum nur dann als Dienstherr von Priester U. für dessen Taten zu belangen sein, wenn diese im Rahmen seines Dienstes ausgeführt wurden. Die Rechtsvertreter der Klägerin erklärten hingegen, es dürfe nicht unterschieden werden zwischen dem Privatmann und dem Seelsorger. Die Fachleute Lüdecke und Anuth teilen diese Meinung.

Im konkreten Fall, so das Gericht weiter, habe aber nicht das Erzbistum dem Priester die Obhut über die Klägerin und ein weiteres Pflegekind überlassen, sondern das zuständige Jugendamt. Zwar habe der Kardinal dem Geistlichen die Betreuung ausdrücklich gestattet. Dies sei aber, ähnlich wie bei einem Beamten, als „genehmigte Nebentätigkeit“ geschehen, womit keine dienstliche Verpflichtung einhergehe. Zudem erstrecke sich die Kontrollpflicht des Bistums auf dienstliche Belange seiner Priester, nicht aber auf Privates. Das Argument der Anwälte, das Jugendamt habe dem jungen Diakon die Kinder nur deswegen in Pflege gegeben, weil er der Institution Kirche angehört habe, fand kein Gehör.

Kirchenrechtler Lüdecke war nach Ende des Verhandlungstages „fassungslos“ über die Argumente der Kammer. Ein Priester sei „nach dem Selbstverständnis der Kirche immer im Dienst“, erklärte der Bonner Wissenschaftler. Für ihn ist die zu erwartende Klageabweisung „eine Lizenz zur Verantwortungslosigkeit“.

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