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ÖPNV für alleWie steht es um die Nachfolge des Neun-Euro-Tickets?

Lesezeit 5 Minuten

Mit dem 9-Euro-Ticket stößt die Deutsche Bahn in Bezug auf die Kapazität an ihre Grenzen.

  1. Die Erwartungen an das 9-Euro-Ticket sind groß und Vorschläge für eine Anschlussfinanzierung reißen nicht ab.
  2. Dabei zeigen erste Studien-Auswertungen, dass die Sonderfahrkarte im ÖPNV wohl kein Allheilmittel für die feststeckende Verkehrswende ist.
  3. Wie sollte die Zukunft des Tickets aussehen?

Berlin/München – Entlastung der Verbraucher, Beitrag zur Verkehrswende, Image-Booster für Busse und Bahnen: Die Erwartungen an das 9-Euro-Ticket im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sind riesig. Etwas mehr als zwei Monate nach dem Start des bundesweit gültigen Tickets wertet Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das Projekt bereits als Erfolg. Dabei läuft die wissenschaftliche Auswertung noch. Und erste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Sonderfahrkarte kaum alle Hoffnungen und Ziele erfüllen kann.

Standpunkte

SPD-Chef Lars Klingbeil hat sich dafür ausgesprochen, einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket mit einer Sondersteuer auf hohe Zusatzgewinne von Energieunternehmen zu finanzieren. Es gebe Unternehmen, die durch den Ukraine-Krieg „massive Gewinne machen, ohne dass sie auch nur einen Handschlag mehr tun“, so Klingbeil bei NDR Info. So würden diejenigen stärker belasten, die ohne eigenes Zutun mehr verdienten.

60 bis 90 Euro sollte ein Nachfolgeangebot des 9-Euro-Tickets kosten – das geht aus einer Befragung der TU Dresden hervor. Damit können sich viele Menschen höhere Preise für ein vergleichbares Angebot vorstellen.

Wie wird das Ticket angenommen?

Die Nachfrage nach dem 9-Euro-Ticket bleibt hoch: Seit dem Verkaufsstart Ende Mai bis einschließlich Montag sind dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zufolge bundesweit 38 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft worden. „Hinzu kommen die jeweils etwa zehn Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die monatlich das vergünstigte Ticket automatisch erhalten“, teilte der Verband am Montag mit. Ferienbedingt habe der VDV lediglich einen leichten Rückgang bei den Verkäufen festgestellt. „Die aktuellen Zahlen bestätigen nach wie vor unsere Prognose von monatlich etwa 30 Millionen 9-Euro-Tickets“, hieß es von VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.

Hat das Ticket den erwünschten Erfolg erzielt?

Ersten Auswertungen mehrerer Studien rund um das 9-Euro-Ticket haben ergeben, dass die Sonderfahrkarte zwar durchaus Wirkung zeige, aber kaum alle Hoffnungen und Ziele erfüllen könne. „Aus den bisherigen Untersuchungen lässt sich nur ein leichter Verlagerungseffekt von der Straße auf den Öffentlichen Verkehr von bestenfalls zwei bis drei Prozent erkennen“, sagt etwa Christian Böttger, Bahn-Experte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW). Das deckt sich mit ersten Ergebnissen einer Studie aus dem Großraum München, die unter anderem die Bewegungsdaten Hunderter Teilnehmer auswertet. Sie kam zum Schluss, dass 35 Prozent der Probanden häufiger mit Bus und Bahn fuhren – aber nur 3 Prozent ihr eigenes Fahrzeug seltener nutzten. Fachleute warnten aber, dass die Datenlage nach wie vor dünn sei.

Es mangelt an Kapazität

Aus Sicht der Forschenden ist der Preis eines ÖPNV-Tickets für den langfristigen Erfolg der Verkehrswende nicht unbedingt ausschlaggebend. „Wenn wir wirklich stabiles Wachstum wollen im Öffentlichen Verkehr, dann müssen wir vor allem die Kapazitäten entsprechend erweitern“, sagt HTW-Experte Christian Böttger. „Was wir gesehen haben, ist, dass das System wirklich am Anschlag ist“ , bilanziert er zum 9-Euro-Ticket.

150 Milliarden Euro – so hoch schätzt Böttger den derzeitigen Investitionsstau allein für den Eisenbahnverkehr beim Neu- und Ausbau – eingerechnet der Baukosteninflation der vergangenen Jahre. Der große Bedarf an Neu- und Ausbauten sei dabei nicht das eigentliche Problem. Denn die Finanzierung sei nach wie vor ungeklärt. Klar ist Böttger zufolge nur eines: „Die Regierung ist weit, weit davon entfernt, diese Investitionen bereit zu stellen.“ (dpa)

Eine radikale Änderung des täglichen Verhaltens sei nicht zu erwarten gewesen, ordnete der Leiter der Münchner Studie, Klaus Bogenberger von der TU München, die Ergebnisse bei ihrer Vorstellung im Juli ein. Er zieht ein positives Zwischenfazit. „Das wichtige Ergebnis ist: Viele haben die öffentlichen Verkehrsmittel in ihren Alltag integriert.“ Allerdings untersucht die Münchner Studie einen Bereich mit relativ dichtem ÖPNV-Angebot. Und Ergebnisse der Universität Kassel zeigen, dass das einen großen Unterschied machen kann. Forscher um Jan Christian Schlüter von der TU Dresden haben sich vor allem der Kaufentscheidung und der Preissensibilität bei möglichen Nachfolgeangeboten gewidmet. Wichtigste Argumente für die Nutzung des 9-Euro-Tickets waren demnach der Preis und die Einfachheit des Angebots.

Zeichnet sich eine Lösung für die Nachfolge des Tickets ab?

Nicht konkret. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) sah noch am Wochenende vor allem den Bund in der Pflicht: „In dieser außergewöhnlichen Situation muss der Bund für weitere Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger sorgen – und zwar ausschließlich der Bund“. Schließlich zahlten die Länder bereits für etliche Entlastungsmaßnahmen des Bundes mit, „obwohl sie diese nicht angestoßen haben“. Zuvor hatte die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Maike Schaefer (Grüne) erklärt, die Länder seien bereit, ein Nachfolgeangebot zum 9-Euro-Ticket mitzufinanzieren. Voraussetzung für eine solche Entscheidung wären aber Fakten, die Verkehrsminister Wissing bisher schuldig bleibe, sagte die Bremer Mobilitätssenatorin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

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Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich weiter gegen eine Finanzierung aus dem Bundeshaushalt für eine Nachfolgelösung des 9-Euro-Tickets ausgesprochen. Dafür stünden in der Finanzplanung keinerlei Mittel zur Verfügung. Der Minister sagte, er sei von einer „Gratismentalität à la bedingungsloses Grundeinkommen“ auch im Öffentlichen Nahverkehr nicht überzeugt. Er halte es nicht für fair, wenn die Menschen auf dem Land, die keinen Bahnhof in der Nähe haben, den günstigen Nahverkehr subventionierten. Die Aussagen des Politikers stießen auf Kritik. „Es wäre Aufgabe der Politik, jetzt den Personennahverkehr im ländlichen Raum auszubauen und nicht davon zu erzählen, dass es unfair wäre, wenn der eine einen Bus hat und der andere nicht“, forderte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, am Montag in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv. (dpa)